Mehr Abwechslung und mehr Spannung, aber auch mehr Spiele und mehr Druck: An der neuen Champions League scheiden sich die Geister. Bei den Bundesliga-Teams ist die Spannung riesig.
Viele beim VfB Stuttgart würden jenen 17. März 2010 gern aus ihrer Erinnerung streichen. Im im Umbau befindlichen Camp Nou erlebte man Lionel Messi noch einmal in Höchstform, als der Bundesligist im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League den damals noch von Pep Guardiola trainierten Katalanen mit 0:4 unterlag.
Jens Lehmann im Tor, Sami Khedira im Mittelfeld und Cacau im Angriff waren auf der Gegenseite nicht gut genug. Für die Schwaben fühlte es sich an wie ein Abschied auf unbestimmte Zeit aus der Champions League, nun führt ihr Comeback aber direkt zu Barças Erzrivalen und Titelverteidiger Real Madrid (Dienstag, 21 Uhr).
Viele der knapp 15.000 VfB-Fans wollen T-Shirts mit der Aufschrift tragen: „Stuttgart International – nach all dem Mist ist es Zeit zu reisen.“ Der Vizemeister weckt das Interesse der Bundesliga, die zuletzt für ihre gute Leistung mit einem fünften Startplatz belohnt wurde, der Borussia Dortmund als Champions-League-Finalist zugutekommt, der beim FC Brügge startet (Mittwoch, 21 Uhr). Zuvor spielt der FC Bayern bei Dinamo Zabreb (Dienstag, 21 Uhr), anschließend tritt Bayer Leverkusen bei Feyenoord Rotterdam an (Donnerstag, 18.45 Uhr) und RB Leipzig spielt bei Atlético Madrid (Donnerstag, 21 Uhr).
Langer Weg nach München
Insgesamt sind 189 Spiele nötig, um den neuen Champions-League-Sieger zu ermitteln. Das Finale findet am 31. Mai 2025 in München statt. Deshalb muss Bayern-Vorstand Max Eberl sagen: „Ich bin aufgeregt. Es juckt mich schon.“ Sein Trainer Vincent Kompany weiß, dass die Königsklasse der Maßstab für einen Trainer beim Rekordmeister ist.
Vereine wie Paris St. Germain, Manchester City, Juventus Turin, FC Barcelona, Real Madrid und FC Arsenal gelten neben den Bayern als erste Anwärter auf den Pokal. Dass sich die üblichen Verdächtigen spätestens im Frühjahr auf der sogenannten „Road to Munich“ befinden, lässt sich nicht verhindern. sind unter sich, aber auch Slovan Bratislava, Sturm Graz, Young Boys Bern und Shakhtar Donetsk dürfen sich zumindest Hoffnungen auf den Einzug in die KO-Runde machen – und sei es nur in die neuen Playoffs.
Größte Reform seit 1992
Damit hat der Wettbewerb endlich die größte Reform seit seiner Namensgebung 1992 erfahren, als der Europapokal in die Champions League überführt wurde. Die Europäische Fußball-Union UEFA, die wegen der Super-League-Ambitionen massiv unter Druck steht, hat lange gemeinsam mit der mächtigen Klubvereinigung ECA nach einem Format gesucht, das einerseits deutlich mehr Spiele bringt, um die Einnahmen zu steigern, zugleich aber dem Eindruck einer Verwässerung entgegenwirkt.
Ob das Ligasystem ein Erfolgsmodell ist, weiß niemand mit Sicherheit. Unbestritten ist, dass der Europapokal durch die Ausweitung auf noch mehr Termine eine noch stärkere Strahlkraft in der Öffentlichkeit entfalten wird. Bayern-Geschäftsführer Jan-Christian Dreesen zählte zu den klaren Befürwortern: „Die Idee dahinter ist, dass wir am Ende einer Gruppenphase nicht mehr die ‚toten Spiele‘ haben, wo nach vier Spieltagen schon die ersten beiden Teams feststehen. Da hoffe ich tatsächlich auf mehr Spannung.“
Exklusive Termine bringen mehr Marketing-Möglichkeiten
Zudem scheinen acht verschiedene Gegner für mehr Abwechslung zu sorgen, denn viele der acht Vierergruppen wirkten bisher zu vorhersehbar. Dass der erste Champions-League-Spieltag auf drei Tage verteilt wird und Europa League und Conference League noch eine Woche auf den Start warten müssen, zeigt, wie groß das Geltungsbedürfnis der Geldelite ist. Noch exklusivere Schauvorstellungen bringen bessere Vermarktungsmöglichkeiten. Das bisherige Rampenlicht reichte offenbar nicht – und die Gewinne fielen noch geringer aus.
Allein aus den Europapokal-Wettbewerben hat die UEFA zuletzt stolze 4,4 Milliarden Euro eingenommen, zuvor waren es 3,5 Milliarden. Knapp 2,5 Milliarden gehen an die Vereine in der Champions League. Die Garantiesummen für Stammteilnehmer sind längst so hoch, dass sie einen eklatanten Wettbewerbsvorteil darstellen. Um diese Lücke in den nationalen Ligen auszugleichen, kann es nicht genug Solidaritätszahlungen geben.
Carlo Ancelotti findet den Zeitplan zu anspruchsvoll
Um ein Dutzend Teams auszuschalten, müssen bis Ende Januar 144 der 189 Spiele absolviert werden. Das kostet über den Winter viel Energie, die bei einem großen Turnier im Sommer deutlich fehlt. Franzosen, Belgier und Engländer wirkten schon bei der EM in Deutschland erschöpft.
Am Montag (16. September 2024) trat mit Carlo Ancelotti ein weiterer prominenter Kritiker auf. „Der Zeitplan ist zu anspruchsvoll“sagte der Trainer von Real Madrid: „Wenn die Dachverbände nicht anfangen, darüber nachzudenken, dass sich Spieler verletzen, weil sie zu viel spielen, haben wir ein Problem.“ Er plädiert für weniger Spiele, um „attraktivere Wettbewerbe“ um sicherzustellen.
Kritik am vollen Terminkalender
Auch Topspieler aus England schlagen zunehmend Alarm. „Der Zeitplan ist völlig verrückt“beklagte sich der Portugiese Bernardo Silva. Und der Schweizer Manuel Akanji kritisierte: „Man kann nicht einfach immer mehr Spiele hinzufügen und erwarten, dass alles so weitergeht wie bisher.“ Nur will die UEFA diesen Zusammenhang irgendwie nicht wahrhaben – oder ihn zumindest nicht thematisieren.
Die Spielergewerkschaft FIFPRO hat wegen der ebenfalls in den Kalender gequetschten Klub-WM im Sommer 2025 vor allem den Weltverband FIFA ins Visier genommen und Klage eingereicht, deren Ausgang noch unbekannt ist. Auch die Deutsche Fußball Liga (DFL) hatte jüngst angekündigt, stärker an der Kalendergestaltung beteiligt werden zu wollen.
Viel zu spät, denn FIFA und UEFA haben für die nächsten Jahre bereits alles festgezurrt. Dass danach weniger werden könnte, scheint reine Illusion zu sein. Dafür profitieren alle zu sehr von der Maschinerie. Zuletzt gab es in der baden-württembergischen Landeshauptstadt auch einen 1893 gegründeten Bewegungsspielverein.