Präsident Shafik im Konflikt mit Protesten

Der Präsident der Columbia University ging hart gegen die pro-palästinensischen Proteste vor und rief die Polizei. Das könnte sie ihren Job kosten. Wer ist diese wilde Frau?

Am 17. April betonte Nemat Shafik bei einer Anhörung vor dem Kongress die Stärke im Kampf gegen Antisemitismus auf dem Columbia-Campus.  Ein Teil der Universität empfindet dies als Verrat.

Am 17. April betonte Nemat Shafik bei einer Anhörung vor dem Kongress die Stärke im Kampf gegen Antisemitismus auf dem Columbia-Campus. Ein Teil der Universität empfindet dies als Verrat.

Alex Wong/Getty

Am 3. Mai, kurz nachdem die Polizei den Campus geräumt hatte, sandte Nemat Shafik eine Videobotschaft an die fast 37.000 Studenten der Columbia University. Sie fordert sie auf, den Frieden auf dem New Yorker Campus wiederherzustellen. Ihre gut formulierten Sätze wirken wie kleine Blasen rationalen Denkens. Die Universität kann den Nahostkonflikt nicht alleine lösen. Aber es könnte ein Modell für Empathie gegenüber Andersdenkenden und für einen zivilisierten Diskurs sein. Sie, Shafik, werden alles tun, um die akademische Gemeinschaft wieder zusammenzubringen.

Die Frage ist nur, ob ihre Botschaft inmitten des ideologischen Konflikts an der Universität noch Anklang finden wird. In den Fakultäten formiert sich der Widerstand Hunderter Professoren mit dem Ziel, ein Misstrauensvotum gegen Shafik durchzusetzen.

Es muss ungewöhnlich sein, dass Nemat Shafik ins Kreuzfeuer der Kritik gerät. Die in Ägypten geborene und im Süden der USA aufgewachsene Wirtschaftswissenschaftlerin hatte nach Abschluss ihrer Dissertation an der Universität Oxford eine herausragende Karriere, die ihr Ruhm und Ehre einbrachte. Shafik ist Träger des Order of the British Empire und wurde von Königin Elizabeth II. zur Baronin geadelt. Sie spricht Englisch, Arabisch und Französisch und ist Doppelstaatsbürgerin der USA und Großbritanniens.

Ein krisenerprobter Spitzenökonom

Beruflich scheint der 61-jährige Shafik immer dort zu sein, wo die Welt brennt. Kurz nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 arbeitete sie in der Osteuropa-Sektion der Weltbank. Mit nur 36 Jahren wurde sie dann zur Vizepräsidentin der Weltbank ernannt. Als stellvertretende Direktorin des Internationalen Währungsfonds leitete sie dessen Aktivitäten in der Eurozone während der Schuldenkrise; Im Chaos nach dem Arabischen Frühling geschah dasselbe im Nahen Osten. 2014 wechselte sie zur Bank of England und half der Zentralbank als stellvertretende Gouverneurin, durch die Brexit-Turbulenzen zu navigieren.

Nach sechs Jahren an der Spitze der London School of Economics wird sie 2023 zur Präsidentin der Columbia University gewählt. Drei Tage nach deren Amtseinführung massakrierte die Hamas am 7. Oktober mehr als 1.100 Menschen in Israel. Unmittelbar danach begannen die ersten pro-palästinensischen Proteste auf dem Universitätscampus.

In ihrer Antrittsrede am 4. Oktober 2023 strahlt Nemat Shafik aufgeklärten Optimismus aus. Sie spricht von den Rissen in der Gesellschaft, zerfallenden Demokratien und dem Aufstieg eines gefährlichen „Anti-Intellektualismus“. Gleichzeitig wird aber auch die entscheidende Rolle der Universitäten bei der Bewältigung der Welt aus ihrer Misere betont. Dafür bedarf es eines „neuen Gesellschaftsvertrages“ zwischen Universität und Gesellschaft. Sie nennt Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau, Karl Marx und Adam Smith als Beispiele für die fruchtbare intellektuelle Debatte, die die akademische Welt auch heute noch prägt.

Shafiks ästhetische Rede wird sofort von der Realität überholt. Im Hintergrund protestieren Studierende gegen sexuelle Übergriffe durch einen ehemaligen Campus-Gynäkologen. Ihre Stimmung gegenüber der Universitätsleitung ist bereits aufgeheizt.

Das Hamas-Massaker und der anschließende Gaza-Krieg lösten eine Kettenreaktion aus, über die man im Nachhinein nur staunen kann. Innerhalb weniger Tage sind Universitäten in den USA zum Kampfgebiet pro-palästinensischer Proteste geworden, obwohl die schreckliche Bluttat der Hamas noch sehr jung ist. Doch die Demonstranten drehen die Schuldfrage um: Sie sehen das Massaker als reine Folge der langen Unterdrückung der Palästinenser. Sie ignorieren die Komplexität der Nahostpolitik. Aufgestaute Empörung und Wut werden freigesetzt – von Shafiks Vision einer vernünftigen künftigen Elite ist wenig zu sehen.

Shafik geht hart gegen Studentenproteste vor

Nemat Shafik steht im Epizentrum eines Protests, der die altehrwürdige Universität in ihren Grundfesten erschüttert: Der Gaza-Krieg spaltet nicht nur die Studentenschaft, sondern reißt auch Gräben zwischen und innerhalb der Fakultäten auf. Bereits im Oktober solidarisierten sich Hunderte Professoren mit den Demonstranten. Die Präsidentin der Columbia University sieht zu, wie ihre Kollegen aus Harvard und Penn es sorgfältig vermeiden, ihre protestierende Studentenschaft bei einer Anhörung im Kongress als antisemitisch zu bezeichnen – und werden bald ihres Amtes enthoben.

Tausende Menschen haben in den letzten Wochen an der Columbia University demonstriert.

Sarah Yenesel / EPA

Spätestens da muss Shafik erkannt haben, wie groß die Gefahr ist, zwischen den Lagern zerquetscht zu werden. Bei Studenten, Professoren, Spendern, Vorstandsmitgliedern und Politikern brodelt es – wenn der Kessel zu explodieren droht, warum nicht das Ventil lösen und den Präsidenten feuern?

Aber Shafik behauptet sich bisher. Sie beschloss von Anfang an, härtere Maßnahmen zu ergreifen. „Wir müssen die Kräfte zurückweisen, die uns auseinanderreißen“, war ihre erste Reaktion im Oktober. Kurz darauf wurde der Campus geschlossen und zwei pro-palästinensische Gruppen, Students for Justice in Palestine und Jewish Voice for Peace, verboten. Über Weihnachten hat sich die Lage etwas beruhigt. Doch der Krieg in Gaza geht weiter und fordert immer mehr palästinensische Opfer. Die Studierenden der Columbia University haben sich unter der Dachorganisation Columbia University Apartheid Divest neu und besser organisiert. Sie warteten auf den richtigen Moment für ein koordiniertes Vorgehen.

Der Moment kommt am 17. April, als Nemat Shafik vor dem Bildungsausschuss des Repräsentantenhauses aussagt. Im Gegensatz zu ihren entlassenen Kollegen aus Harvard und Penn unternimmt sie keine Anstalten, den Antisemitismus klar und deutlich zu verurteilen. Als die Demonstranten am selben Tag ein Zeltlager auf dem südlichen Rasen des Columbia-Campus aufschlugen, zögerten sie nicht, die Polizei zu rufen und das Gebiet zu räumen. Als Studenten am Ende eines Ultimatums ein zentrales Gebäude der Universität übernehmen, ruft sie ein zweites Mal die Sicherheitskräfte an. Die Universität ist jetzt geschlossen. Die Abschlussfeier wurde abgesagt und die Polizei ist auf unbestimmte Zeit anwesend.

Teile der Fakultäten revoltieren

In Teilen der Fakultäten, insbesondere in den Geisteswissenschaften, herrscht großes Entsetzen. Sie betrachten Nemat Shafik als Verräter. Hinter den Kulissen formiert sich unter der Schirmherrschaft der American Association of University Professors Widerstand. Bei einem Videotreffen am vergangenen Freitag, an dem über 300 Personen teilnahmen, koordinierten Gewerkschaftsmitglieder ihre Bemühungen, ein Misstrauensvotum für die letzte Sitzung des Universitätssenats in dieser Woche zu erzwingen.

Die Kritik an Shafik in der schriftlichen Stellungnahme ist hart: Es sei ihr nicht gelungen, die Situation durch Verhandlungen zu deeskalieren, sie habe dem politischen Druck aus Washington zu Lasten der Universität nachgegeben und sie habe einen „militarisierten Lockdown“ des Campus eingeleitet. Sie verletzten die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit von Studierenden und Professoren und untergruben den Senat mittels Notstandsrecht.

Und damit ist dieser Sturm für Nemat Shafik noch nicht zu Ende. Sie könnte als Universitätspräsidentin in die Geschichte eingehen, die für Frieden und Ordnung kämpfte, nur um noch mehr Chaos zu schaffen. Oder es gelingt ihr, so lange auf dem Vulkan weiterzutanzen, bis sich die Gemüter wieder beruhigen.

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