Ein schwer verletzter Polizist in Prenzlauer Berg, ein entglaster Straßenzug nach der Explosion einer Kugelbombe, ein evakuiertes Haus in Schöneberg, ein erblindeter Mann und viele weitere Böller-Opfer, 400 Festnahmen und 38 verletzte Einsatzkräfte – das ist die Silvesterbilanz für Berlin.
Ein Polizist wurde in der Nacht schwer verletzt. Das sagte Polizeisprecher Florian Nath dem Tagesspiegel. Um ein Uhr wurde der Beamte an der Kreuzung Prenzlauer Allee, Danziger Straße nach ersten Erkenntnissen der Polizei von einem mutmaßlich illegalem Feuerwerkskörper am Bein getroffen.
Der Polizist blutete sehr stark, deshalb bestand der Verdacht, dass lebenswichtige Blutgefäße beschädigt worden sein könnten. Ein Beamter mit Sanitäterausbildung legte seinem Kollegen einen sogenannten Tourniquet an, um den Blutfluss ins Bein zu stoppen. Zur Erklärung: Wenn etwa durch einen Messerstich ins Bein die Arterie verletzt wird, verbluten die Opfer und sterben binnen weniger Minuten.
Der Polizist wurde in ein Krankenhaus gebracht und dort notoperiert. Bei demselben Einsatz in Prenzlauer Berg ist auch eine Polizistin verletzt worden. Splitter trafen laut Sprecher Nath ihre Hand. „Das ist einer der Tiefpunkte des heutigen Abends“, sagte Nath. Polizisten seien bei dem Einsatz auf der Kreuzung von umstehenden Personen angegriffen worden.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
400 Festnahmen, 38 verletzte Helfer
400 Menschen, ähnlich viele wie im Vorjahr, wurden in der Silvesternacht wegen unterschiedlicher Straftaten festgenommen. Das teilte die Polizei mit. Etliche griffen Einsatzkräfte oder andere Menschen mit Pyrotechnik an, andere hatten illegale Waffen oder Böller dabei. Wieder andere fielen wegen Gewalttaten oder Brandstiftung auf.
Die Polizei leitete 670 Strafverfahren ein – überwiegend wegen Verstößen gegen das Waffengesetz sowie das Sprengstoffgesetz, wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Brandstiftungsdelikten und wegen Körperverletzungsdelikten.
Nach einer vorläufigen Bilanz wurden 37 Polizisten und eine Einsatzkraft der Feuerwehr verletzt. Zum Vergleich: Im Vorjahr hatten 54 Polizisten Verletzungen erlitten
„Für den weitaus überwiegenden Teil der Berlinerinnen und Berliner und der Gäste war es ein friedliches Silvester“, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD). „Dennoch kam es zu Straftaten, bei denen Unbeteiligte und Einsatzkräfte verletzt wurden. Ich verurteile diese Taten aufs Schärfste und erwarte, dass sie konsequent aufgearbeitet und strafrechtlich verfolgt werden.“ Solche Gewalt sei ein Angriff auf die gesamte Gesellschaft und werde in Berlin nicht toleriert.
Wegner will Silvester-Täter mit hohem „Ermittlungsdruck“ verfolgen
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) kündigte intensive Ermittlungen nach den Angriffen auf Einsatzkräfte an. „Mit Kugelbomben auf Polizisten schießen, mit Pyrotechnik oder Steinen die Einsatz- und Rettungskräfte der Feuerwehr angreifen – unfassbar“, sagte Wegner dem Tagesspiegel. „Wir werden diese Angriffe auf unsere Einsatzkräfte niemals hinnehmen und auch im Nachgang den Ermittlungsdruck hochhalten. Solche Straftäter müssen die volle Härte des Rechtsstaats spüren. Dabei vertraue ich auf die Berliner Polizei und Justiz.“
Der Regierungschef dankte Polizei und Feuerwehr für den „sehr intensiven Einsatz in der Silvesternacht“, der vielen Menschen einen friedlichen Start ins neue Jahr ermöglicht habe. „Der Einsatz hat aber auch Schlimmeres verhindert, wie die Festnahmen von rund 400 mutmaßlichen Straftätern zeigen.“ Den verletzten Polizistinnen und Polizisten wünschte er eine schnelle Genesung. Zugleich dankte Wegner den Berliner Wasserbetrieben, die mit der Feuerwehr den folgenreichen Wasserrohrbruch in Wedding „in Rekordzeit“ in den Griff bekommen hätten.
Feuerwehr mit fast 1900 Einsätzen – vermehrt auch in Wohngebäuden
Die Berliner Feuerwehr bilanzierte über den Jahreswechsel zwischen 19 Uhr und 6 Uhr 1892 Einsätze. Das waren 294 mehr als im Vorjahr. Darunter waren laut einer Mitteilung 825 Brände, 847 Rettungsdiensteinsätze sowie 220 technische Hilfeleistungen und sonstige Einsätze. In 13 Fällen wurden Einsatz- und Rettungskräfte laut Feuerwehr angegriffen oder bei ihrer Arbeit behindert.
© dpa/Soeren Stache
„Auffällig waren in diesem Silvester vermehrt Brände in Wohngebäuden mit gefährdeten Personen, die durch die Berliner Feuerwehr gerettet und versorgt wurden“, hieß es in einer Mitteilung. Außerdem sei die Feuerwehr zu zwei Einsätzen ausgerückt, bei denen es durch pyrotechnische Erzeugnisse zu erheblichen Personen- und Gebäudeschäden gekommen sei.
Schöneberg: Bewohner suchen Zuflucht in Kältebus der Feuerwehr
In Schöneberg explodierte in der Nacht gegen 2 Uhr nach ersten Erkenntnissen eine Kugelbombe. Die Fenster der Fassaden von sieben Wohnhäusern im Bereich Hauptstraße, Ecke Vorbergstraße und Belziger Straße sind durch die Druckwelle zerstört worden, ebenso wie vier Autos. Ebenfalls zerbarsten die Scheiben einer Apotheke, die daraufhin laut Polizei von mehreren Personen teilweise geplündert wurde. Die Apotheke wurde daraufhin von Polizeikräften gesichert. Nach Angaben der Polizei wurden fünf Personen, eine 15-Jährige, eine 27-Jährige, zwei 29 Jahre alte Frauen und ein 30-jähriger Mann, verletzt. Drei Personen wurden festgenommen.
„So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagte ein Beamter. Auf der Hauptstraße hätten sich den ganzen Abend schon Gruppen mit Böllern beschossen. Zum Zeitpunkt der Detonation sei seine Einheit nur zehn Meter entfernt gewesen. „Wären wir nur ein paar Meter weiter gewesen, hätte es uns voll erwischt.“ Ein anderer Beamter sagte: „Sowas haben wir noch nicht erlebt. Die haben Silvester mit Krieg verwechselt.“
Das Haus in der Vorbergstraße 1 wurde von der Polizei evakuiert, für die Bewohner stellte die Feuerwehr einen Kältebus bereit. Auch eine Familie mit kleinem Kind musste dort in den frühen Morgenstunden Zuflucht suchen. Nach Angaben der Polizei mussten Kriminaltechniker anrücken, um weitere Gefahren auszuschließen.
Ein Sprecher der Feuerwehr sagte am Neujahrstag, dass 36 Wohnungen infolge der Explosion vorerst unbewohnbar seien. Der Sprecher beschrieb die Szenerie als „Schlachtfeld“.
Zuvor detonierte gegen 0.30 Uhr schon in Tegel soll eine Kugelbombe im Eingangsbereich eines Wohnhauses, wie die Polizei mitteilte. Acht Menschen wurden nach Feuerwehrangaben verletzt, darunter zwei lebensbedrohlich. Unter den beiden Schwerstverletzten ist ein Siebenjähriger, der in einem Krankenhaus notoperiert werden musste. Ein 41-Jähriger erlitt ebenfalls schwere Verletzungen und wurde stationär in einer Klinik aufgenommen.
Etwa zeitgleich explodierte in der Okerstraße in Neukölln eine Kugelbombe. Durch die Druckwelle wurden laut Polizei Fensterscheiben von vier Wohnhäusern sowie drei Fahrzeuge beschädigt.
Auch andernorts waren im Verlauf der Nacht bombenartige Detonationen zu hören, die weit über das normale Maß von Silvesterfeuerwerk hinausgingen.
© REUTERS/Christian Mang
In der Kreuzberger Ritterstraße stand laut Angaben der Feuerwehr nach Mitternacht ein ehemaliges Parkhaus auf zwei Etagen in voller Ausdehnung in Flammen. Rund 90 Einsatzkräfte rückten allein zu diesem Brand aus. Es gab keine Verletzten. Am Silvesterabend hatten in einer Tiefgarage in der Waldemarstraße, ebenfalls in Kreuzberg, fünf Autos und ein Motorroller gebrannt.
In Hakenfelde warf laut Polizei ein Unbekannter einen Feuerwerkskörper in einen BVG-Bus; der Fahrer wurde durch die Detonation leicht verletzt. In Neukölln beschädigten rund 40 Personen, die teils vermummt waren, die Scheiben eines BVG-Busses. In Hellersdorf bewarf ein 17-Jähriger Kräfte der Feuerwehr während Löscharbeiten von brennende Mülltonnen gezielt mit Pyrotechnik. Auch andernorts wurden Einsatzkräfte den Angaben nach gezielt mit Pyrotechnik beworfen.
Insgesamt gab es in der Silvesternacht zwischen 18 und 6 Uhr 2168 Polizeieinsätze, im Vorjahr waren es 2214.
Fünf Verletzte durch Kugelbomben im Krankenhaus, ein Mann erblindet
Das Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) meldete mindestens 17 Bölleropfer. Diese waren zum Teil schwerstverletzt, allein fünf von ihnen wurden Opfer von Kugelbomben. Auch Kinder seien unter den Verletzten, teilte Kliniksprecherin Angela Kijewski dem Tagesspiegel mit. Ein junger Mann sei vollständig erblindet. Andere hätten Finger oder Teile von Händen verloren. Neben Verbrennungen seien auch viele Gesichtsverletzungen und ungewöhnlich viele Augenverletzungen zu verzeichnen gewesen.
„Die Anzahl der Patienten ist im Vergleich zu den Vorjahren eher durchschnittlich oder etwas unterdurchschnittlich. Die Schwere der Verletzungen ist aber ungewöhnlich“, erläuterte die Sprecherin. Sie sprach von extremen Verletzungen und „Zerreißungsfrakturen“ bei den Opfern aufgrund der großen Sprengkraft der illegalen Böller.
Es sei eine „anstrengende Nacht“ in der Klinik gewesen, sagte Kijewski – nicht nur für die Brandspezialisten und Handchirurgen, sondern auch für die Mund-/Kiefer-/Gesichtschirurgie sowie die Fachleute der benachbarten Augenklinik, die mit dem UKB besonders zum Jahreswechsel eng kooperiert.
„Wir erwarten am Neujahrstag mindestens noch mal so viele Verletzte“, sagte Kijewski, die schon viele Jahreswechsel als Kliniksprecherin miterlebt hat. „Viele werden sich jetzt erst wach und werden sich der Schwere ihrer Verletzungen bewusst, wenn die Wirkung des Alkohols nachlässt.“ Außerdem beschere das Aufsuchen von Blindgängern meist eine hohe Anzahl weiterer Bölleropfer.
Einsatzkräfte wiederholt mit Pyrotechnik beschossen
In den Böllerverbotszonen am Alexanderplatz, im Steinmetzkiez in Schöneberg und im Reuterkiez in Neukölln sei es weitgehend ruhig geblieben, sagte Polizeisprecher Nath. Es habe dort keine größeren Zwischenfälle gegeben.
Allerdings seien drumherum immer wieder Rettungskräfte der Feuerwehr und Polizisten „immer wieder mit Pyrotechnik beschossen worden“, sagte Nath. Bis zum Jahreswechsel sei es weitgehend ruhig gewesen, zwischen null und zwei Uhr sei Polizei besonders gefordert gewesen. Wo es Angriffe gegeben habe, sei die Polizei sofort energisch eingeschritten. Das zeigen auch Videos in den sozialen Medien.
Die Polizei habe nach vorläufiger Bilanz Verstöße gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz festgestellt, sagte Nath. Es habe nur wenige Gewaltdelikte und einige Widerstandshandlungen gegen Beamte gegeben. Die Polizei sei vorbereitet gewesen und habe Gewalt unterbunden.
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Stephan Weh, forderte Konsequenzen. „Es werden immer mehr, die Raketen, Böller und Batterien für Angriffe nutzen, die Zahl der Kugelbomben steigt“, beklagte er. „Wir kämpfen als GdP für ein Pyrotechnikverbot für den Privatgebrauch. Denn Feuerwerk gehört in die Hände von Fachleuten.“