Verteidigungsminister Pistorius will die Bundeswehr neu aufstellen. Bis Ostern 2026 sollen weitreichende Reformen folgen, bis Mitte der 2030er Jahre soll die Truppe auf 460.000 Mann aufgestockt werden. Auch die Mentalität muss sich ändern.
Die Bundesregierung will die Bundeswehr grundlegend neu organisieren. Deutschland dürfe keine Zeit mehr verlieren, machte Verteidigungsminister Boris Pistorius zum Abschluss der diesjährigen Bundeswehrkonferenz in Berlin deutlich. „Russland bereitet sich auf einen weiteren Krieg vor“, sagte der SPD-Politiker. Er glaubt nicht, dass der Angriffskrieg gegen die Ukraine das Ende der Expansionsabsichten Russlands bedeutet. Die Aggression gehe weit über die Ukraine hinaus, sagte er und verwies auf Cyberangriffe oder Desinformationskampagnen. „Das sind Vorboten. Es geht nicht mehr um abstrakte Szenarien. Russland bereitet sich auf einen weiteren Krieg vor“, sagte Pistorius. Er fügte hinzu: „Um es klarzustellen, es ist kein Alarmismus, wenn ich sage, dass unsere Lebensweise in Gefahr ist.“ Die Bundeswehr muss daher nach innen mobiler werden.
Pistorius kündigte eine Reihe weitreichender Reformen an, von denen einige in Gesetz umgesetzt werden sollen – die Reformen sollen in ihren Grundzügen bis Ostern 2026 abgeschlossen sein. Kernstück ist eine sogenannte Modernisierungsagenda. Es sieht eine personelle Neuausrichtung vor, um die Truppe schnell auszubauen und angesichts der russischen Bedrohung mobiler zu machen.
Die Truppe soll zunächst auf 460.000 Soldaten anwachsen
Weitere Aufträge wurden in seinem Ministerium und der Bundeswehr vergeben, erste Ergebnisse sollen in den kommenden Monaten präsentiert werden. Dazu gehören eine Auswertung der Ausbildung der Wehrdienstleistenden, eine Strategie für die Reserve, ein „Wachstumsplan“ mit konkreten Maßnahmen und Zahlen für die aktiven Truppen sowie Reformvorschläge zur Neustrukturierung der Beschaffungsstelle der Bundeswehr in Koblenz. Bei der Beschaffung will Pistorius auf einen Mix setzen. „Wir brauchen weiterhin große Ausrüstungsgegenstände wie Panzer, Schiffe und Flugzeuge, aber natürlich brauchen wir auch viel mehr innovative Technologien, die es uns ermöglichen, auf dem Schlachtfeld der Zukunft zu bestehen.“
Neben einem neuen Wehrdienstgesetz, das derzeit zwischen Regierung und Parlament debattiert wird und auf eine Melde- und Einberufungspflicht setzt, soll die Reserve deutlich gestärkt werden. Für die Reserve sollen gezielt ehemalige Soldaten angesprochen werden. Der Minister will zudem einen Brief an alle Zeit- und Berufssoldaten richten, um sie zu einer Verlängerung ihrer Dienstzeit zu ermutigen.
Ziel ist es, die Truppenstärke der Bundeswehr bis Mitte der 2030er Jahre auf rund 460.000 Mann zu erhöhen. Derzeit sind rund 182.000 Soldaten in der Bundeswehr im Einsatz. Zur Erfüllung der Verpflichtungen gegenüber der NATO wird eine Aufstockung auf rund 260.000 aktive Kräfte angestrebt. Hinzu kommen 200.000 Reservisten.
„Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Tagen eine Einigung erzielen werden“, sagte Pistorius mit Blick auf die Debatte um das Wehrdienstgesetz.
Pistorius sieht Verteidigung als Gesellschaft als Ganzes Aufgabe
Der Minister forderte zudem einen Mentalitätswandel. Es braucht mehr Mut, Entscheidungen zu treffen. „Wenn jeder nur ein bisschen Verantwortung trägt, ist am Ende keiner verantwortlich“, sagte der SPD-Politiker. Er möchte dem Grundsatz „Führen mit einer Mission“ neues Leben einhauchen. Führung bedeutet, Entscheidungen zu treffen, auch wenn diese unbequem sind. Vorgesetzte in der Bundeswehr dürfen nicht leiten, sie müssen führen. Führung bedeutet, Fehler zuzulassen. „Wenn niemand mehr wagt, falsch zu liegen, dann wagt auch niemand mehr, richtig zu handeln.“
Pistorius plädierte zudem für ein nationales Verteidigungsverständnis. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft tragen gemeinsam Verantwortung. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn Verantwortlichkeiten geklärt und Prozesse eingeübt werden. „Was wir nicht praktizieren, können wir nicht tun, wenn es darauf ankommt“, sagte er. Länder und Kommunen sind „tragende Säulen“. Um die Verteidigungsfähigkeit zu stärken, will der Minister auch den Ausbau der Infrastruktur beschleunigen. Ein bis Ende des Jahres zu erarbeitendes „Infrastrukturbeschleunigungsgesetz“ soll langwierige Genehmigungsverfahren und andere bürokratische Hürden beseitigen.
Merz: Die Bundeswehr sollte die Stärkste sein konventionell eine Armee in der EU werden
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz forderte in einer Videobotschaft Reformen und mehr Tempo. „Wir können den Bedrohungen von heute nicht mit den Verwaltungsvorschriften von gestern begegnen.“ Er forderte die Beamten auf, schneller zu fahren. Das Gebot der Stunde lautet: „Möglich machen“. Die Bundeswehr muss schnell wachsen. „Aber es sind nicht Schiffe, keine Panzer, nicht Flugzeuge, die unser Land verteidigungsfähig machen. Es braucht vor allem Soldaten.“
„Wir wollen die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee in der Europäischen Union machen, wie es einem Land unserer Größe und unserer Verantwortung angemessen ist“, sagte der CDU-Chef. Die Kanzlerin betonte: „Wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Deutschland habe „große Anstrengungen“ vor sich.
Generalinspekteur Carsten Breuer warnte, Russland dürfe niemals davon ausgehen, dass es einen Krieg mit der NATO gewinnen könne. Dies muss bis 2029 sichergestellt sein. Wir werden die Erfahrungen aus der Ukraine nutzen und daraus eigene Konzepte entwickeln. „Denn der Krieg in der Ukraine ist unser Lehrer.“ Allerdings hat sich Russland in der Hoffnung auf einen schnellen Sieg verrechnet. Er geht davon aus, dass die Bundeswehr bis 2039 neu aufgestellt sein wird.
