Der Berliner Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar wird von seiner Partei nicht als Direktkandidat für die Abgeordnetenhauswahl 2026 nominiert. Das beschloss sein Bezirksverband Pankow am Samstag auf einer Mitgliederversammlung zur Wahl von Kandidaten. Gelbhaar unterlag seinem Konkurrenten, der zwei Drittel der Stimmen erhielt.
Bei der Abstimmung im Direktwahlkreis 6 stimmten 179 Abgeordnete für Gelbhaars Gegnerin Sunčica Klaas, 47 Jahre alt, Bildungsforscherin. Der 49-jährige Gelbhaarige selbst erhielt 83 Stimmen. Fünf Mitglieder enthielten sich der Stimme. Das Direktmandat in diesem Wahlkreis ist für die Grünen seit fast zwei Jahrzehnten eine sichere Sache.

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Die Mitglieder trafen sich in einem alten Kaufhaus in Pankow, das als Kulturzentrum genutzt wird. Auf dem Weg in die Halle musste Gelbhaar an einem Plakat gegen sexuelle Belästigung vorbeigehen. Vor dem Eingang verteilten Frauen lila Schals als „Zeichen der Solidarität gegen sexuelle Belästigung“. Einige Frauen im Saal trugen sie um Kopf und Hals.
Zu den Hintergründen der Kampagne wollten sie sich nicht äußern. „Worum es geht, sollte klar sein“, sagte einer schlicht. Eine Frau legte Flyer auf die Tische: „Setzen Sie ein Zeichen der Solidarität gegen sexuelle Belästigung: Binden Sie sich einen lila Schal um.“ Mit rund 250 Teilnehmern war die Zahl höher als bei vergleichbaren Aufstellungstreffen.
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Diese Persönlichkeit war nicht nur für Gelbhaars Bezirksverband, sondern auch für die Berliner Grünen eine Bewährungsprobe. Auf den Tag genau zehn Monate ist es her, dass der Bezirksverband Gelbhaar seine Bundestagskandidatur für den Direktwahlkreis Pankow zurückgezogen hat. Hintergrund waren öffentliche Vorwürfe sexueller Belästigung bei einer Wahlveranstaltung. Später stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine Intrige handelte. Die vom RBB verbreiteten Vorwürfe wurden von mindestens einem Grünen-Abgeordneten erfunden.
Der Fall wurde zum größten Skandal in der jüngeren Geschichte der Grünen. Allerdings äußerten sich später auch andere Frauen kritisch zu Gelbhaars Verhalten ihnen gegenüber. Hier geht es nicht um Verbrechen. Die Vorwürfe sind deutlich weniger schwerwiegend. Doch die Frauen werfen Gelbhaar grenzüberschreitendes Verhalten vor.
Tosender Applaus für Sunčica Klaas, bewegungslose Streitereien für Gelbhaar
Schon aus den Reden der beiden ging hervor, dass die Wahl am Samstag für Gelbhaars Kontrahenten ausfallen könnte. Gelbhaar erhielt von vielen Mitgliedern Applaus. Einige Reihen blieben jedoch regungslos. Andererseits gab es tosenden Jubel, als Sunčica Klaas ihre Rede beendete.
Zuvor hatte Gelbhaar über seine politischen Pläne, den Stopp des Weiterbaus der A100, einen erneuten Versuch des Mietendeckels, aber auch über persönliche Erfahrungen gesprochen. „Wenn ein Herz politisch schlägt, hört es nicht auf, es will einfach weiterschlagen“, begann Gelbhaar seine Rede. Die letzten Male waren sowohl persönlich als auch politisch herausfordernd.
„Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich erhalten habe. Ebenso dankbar bin ich für die offenen, kritischen Stimmen. All das hat mir geholfen, genauer hinzusehen, vorsichtiger, aber auch klarer zu sein“, sagte der 49-Jährige. Zugleich stellte er klar: „Wenn Intrigen immer wieder funktionieren, dann wird es noch mehr davon geben.“
Glauben Sie mir, die Lektion wurde gelernt. Ich habe es.
Stefan Yellowhair beantwortet Fragen von Mitgliedern zu den Vorwürfen
In der anschließenden Frage-und-Antwort-Runde wollten mehrere Mitglieder mehr über Gelbhaars Umgang mit patriarchalen Strukturen erfahren. Und wie ein Kandidat Wahlkampf machen und gleichzeitig an „verschiedenen Fronten“ rechtliche Schritte gegen andere einleiten kann.
„Leute, das ist eine schwierige Zeit für mich, das wissen Sie alle“, antwortete Yellowhair. Für ihn geht es im Gerichtsverfahren nicht mehr um seinen guten Ruf, sondern vielmehr darum, herauszufinden, was ihm vorgeworfen wird. Er ist ein glühender Verfechter der Rechtsstaatlichkeit. „Diese Haltelinien gab es bei Bündnis 90/Die Grünen nicht“, sagte er.
Eine „rhetorisch spielerische Art“, die zu Missverständnissen führen könne, wolle Gelbhaar vermeiden
Auf die Frage nach seinem Verhalten gegenüber Frauen räumte Gelbhaar auch Fehler ein. „Glauben Sie mir, die Lektion wurde gelernt. Ich habe es verstanden.“ Er habe mitunter eine „rhetorisch-spielerische Art, die zu Missverständnissen führen kann“ und dies solle in Zukunft vermieden werden. Allerdings kann es in diesem Zusammenhang nicht immer nur darum gehen. „Das Ombudsverfahren werden wir hier nicht gemeinsam durchführen“, sagte er.
Bei der Mitgliederversammlung am Samstag wurde der Name Gelbhaar in den Reden der Kandidaten für die neun Wahlkreise nicht erwähnt. Und doch ging es auch um ihn. „Wir brauchen einen glasklaren Verhaltenskodex für alle Beamten und diejenigen, die es werden wollen“, sagte Co-Bezirksvorsitzender Nicolas Scharioth, der selbst für den Wahlkreis 9 kandidierte. Eine klare Anspielung auf die Yellow-Hair-Affäre. Am Ende unterlag Scharioth dem Pankower Bezirksvorsteher Oliver Jütting.
In der Partei gab es Gerüchte über den Fall. Die Führung der Landespartei hielt sich bedeckt und wollte sich nicht in die Wahl einmischen. Doch hinter verschlossenen Türen hieß es, dass es für alle besser wäre, wenn Yellowhair einfach loslassen würde. Aber er hat auch Unterstützer.
Dies ist kein Einzelfall.
Katrin Bihari VassGrünen-Abgeordneter in Pankow zu den Vorwürfen gegen Stefan Gelbhaar
Es sei bedauerlich, dass Gelbhaar überhaupt angetreten sei, sagte eine Frau vom Kreisverband vor der Wahl am Samstag. Viele wollten wie sie nicht offen sprechen und lieber anonym bleiben. Gelbhaars Comeback-Versuch polarisiert die Lage unnötig und die Partei hat keine Zeit, sich mit den Ereignissen auseinanderzusetzen. „Bei der Wahl am Samstag wird darüber abgestimmt, was jedes Mitglied zum Fall Yellowhair denkt. Es ist nur eine Abstimmung über ihn“, sagte sie. Sunčica Klaas, die im Vorstand des Bezirksverbandes sitzt und beliebt ist, hat das nicht verdient.
Eine der wenigen, die offen spricht, ist Katrin Bihari Vass, eine einfache Parteigenossin in Pankow. Diese Woche sprach sie mit dem Deutschlandfunk (DLF). Mit seiner Kandidatur stellt Gelbhaar eine offene Flanke für die Partei dar, niemand weiß, welche weiteren Geschichten über ihn ans Licht kommen werden. „Für die Frauen, die ihm grenzüberschreitendes Verhalten vorwerfen, empfinde ich das als Zumutung“, sagte Vass.
Als neues Mitglied wurde ich mit einem Bundestagsabgeordneten konfrontiert, der doppelt so alt war wie ich.
Klara SchedlichAbgeordneter
Vass verwies auf den Bericht der von der Bundespartei eingesetzten Untersuchungskommission. Darin heißt es, dass sich verschiedene Frauen über grenzüberschreitendes Verhalten beschwert hätten. „Dies ist kein Einzelfall“, sagte Vass.
Yellowhair lässt sich nicht beirren. Der 49-Jährige sagte gerade in einem Interview: „Die Vorgänge sind aufgeklärt, die Gerichtsentscheidungen gegen einzelne Medien wegen falscher Verdächtigungen und gegen ein Mitglied wegen falscher Anschuldigungen waren sehr eindeutig.“ Darunter ist eine Entscheidung gegen den RBB. Seine Anwälte sagten, Gelbhaar sei „weitgehend rehabilitiert“ worden. Seine Kandidatur sei „ein Angebot, Gespräche zu führen, Dinge in Ruhe aufzuarbeiten und zu heilen.“
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Eine der betroffenen Frauen, die nicht mitmacht, ist Klara Schedlich. Der gebürtige Reinickendorfer ist Mitglied des Abgeordnetenhauses. Sie war 18 Jahre alt, als sie Yellowhair kennenlernte. Nach einer Verhandlung im Mai untersagte ihr das Hamburger Landgericht Aussagen aus der eidesstattlichen Erklärung, die sie gegenüber dem RBB abgegeben hatte und in der sie grenzverletzendes Verhalten von Gelbhaar geschildert hatte. Dagegen hat Schedlich nun Berufung eingelegt. Der Fall könnte erneut öffentlich vor dem Oberlandesgericht verhandelt werden. Teil des Verfahrens sind eidesstattliche Erklärungen mehrerer anderer Frauen.
Mit seiner Erfahrung sollte er erneut kandidieren und vor allem erneut gewählt werden dürfen.
Uwe LehmannGrünen-Mitglied in Pankow
Dem DLF sagte Schedlich nun: „Als Neuabgeordneter wurde ich mit einem Bundestagsabgeordneten konfrontiert, der doppelt so alt war wie ich. Es ist eine ziemliche Hürde, sofort zu merken, dass man Dinge unangemessen findet.“
Aber es gibt auch andere wie Uwe Lehmann, langjähriges Mitglied und Unterstützer von Gelbhaar. Lehmann beklagte im DLF, dass einige nicht mehr für die Grünen gestimmt hätten, weil Gelbhaar angeklagt worden sei, andere nicht für die Partei gestimmt hätten, „weil wir ihn so behandeln und die Unschuldsvermutung nicht gilt.“
In Deutschland ist die einzige Strafe für Mord eine lebenslange Haftstrafe. Aber wenn es nicht geklärt werde, weder vor Gericht noch im Verfahren eines Partei-Ombudsmanns, „dann muss meiner Meinung nach jemand sagen, du bist immer noch einer von uns, du bleibst dabei“, sagte Lehmann. „Mit seiner Erfahrung sollte er noch einmal kandidieren und vor allem wieder gewählt werden dürfen.“ Andere sind anderer Meinung. Denn es geht nicht um strafrechtlich relevantes Verhalten, sondern um Verhalten, das für eine feministische Partei wie die Grünen ein Problem darstellt.
