
Nachdem am Dienstag bei Pager-Explosionen mindestens zwölf Menschen ums Leben kamen, kam es am Mittwoch zu weiteren Detonationen mit Toten und Verletzten. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Nach dem Angriff trifft ein Krankenwagen in einem Krankenhaus in Beirut ein.
Die neuesten Entwicklungen:
- Am Mittwochnachmittag (18. September) explodierten offenbar erneut an zahlreichen Orten im Libanon KommunikationsgeräteNach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden dabei mindestens 14 Menschen getötet und 450 verletzt. Ziel der Angriffe am Mittwoch waren Medienberichten zufolge Funkgeräte von Hisbollah-Mitgliedern.
- Nach den Explosionen im Libanon trifft sich der UN-Sicherheitsrat am Freitag zu einer Krisensitzung.UN-Generalsekretär António Guterres sprach am Mittwoch von einer „ernsthaften Gefahr einer dramatischen Eskalation“. Es müsse alles getan werden, um diese zu verhindern. Guterres äußerte sich auf einer Pressekonferenz und verwies dabei auf die Explosionen vom Dienstag.
- Es bleibt unklar, was und vor allem wer die Detonationen am Dienstag verursacht hat (17. 9.) und Mittwoch ausgelöstDie Art der Explosionen vom Dienstag lässt darauf schließen, dass es sich um einen koordinierten Anschlag handelte. Die schiitische Miliz Hisbollah und der libanesische Ministerpräsident machen den Feind Israel dafür verantwortlich, der sich bislang nicht zu den Vorfällen geäußert hat.
Was über die Explosionen am Dienstag bekannt ist:
Hunderte Pager explodierten am Dienstagnachmittag im Libanon fast gleichzeitig. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums kamen dabei mindestens zwölf Menschen ums Leben, fast 3000 wurden verletzt.
Es wird vermutet, dass Tausende Pager mit Sprengstoff präpariert und ferngezündet wurden. Am Dienstag um 15.30 Uhr hätten die Pager im Libanon eine Nachricht empfangen, die offenbar von der Hisbollah-Führung stamme, schreibt die New York Times unter Berufung auf mehrere Quellen. Die Nachricht habe die Sprengsätze gezündet.
Bisher hat sich noch niemand zu dem mutmaßlichen Angriff bekannt. Verschiedene Medien gehen jedoch davon aus, dass es sich um einen israelischen Angriff handelt.
Die New York Times schreibt unter Berufung auf amerikanische und andere mit der Operation vertraute Beamte, Israel habe die Pager während des Transports abgefangen und in jedem von ihnen 25 bis 50 Gramm Sprengstoff versteckt, bevor die Geräte in den Libanon importiert wurden. Das Material wurde neben der Batterie platziert und mit einem Schalter versehen, der ferngesteuert gezündet werden konnte.
BREAKING NEWS über Reuters
Hunderte Mitglieder der Hisbollah wurden am Dienstag schwer verletzt, als die Pager, die sie zur Kommunikation verwenden, explodierten.
Hier ist ein Video einer der Pager-Explosionen. pic.twitter.com/UDepHvkkEe
— Yashar Ali 🐘 (@yashar) 17. September 2024
Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte Quellen aus libanesischen Sicherheitskreisen, wonach der israelische Geheimdienst Mossad bereits vor Monaten 5.000 von der Hisbollah importierte Pager mit Sprengstoff ausgestattet habe.
Dies könnte ein Angriff auf die Lieferkette sein, bei dem die Geräte während der Herstellung oder des Transports manipuliert wurden. Angriffe auf die Lieferkette haben in den letzten Jahren zugenommen, wobei Hacker während der Entwicklung aus der Ferne auf Produkte zugreifen.
Zunächst kursierten Gerüchte, dass ein Cyberangriff die Pager-Batterien überhitzt und detoniert hätte. Verschiedene Beobachter wiesen jedoch darauf hin, dass Batterien kaum solche Explosionen verursachen könnten.
Sollten die Pager tatsächlich mit Sprengstoff präpariert worden sein, handelte es sich um einen seltenen Hardwareangriff. Die Geräte müssten manuell manipuliert worden sein, was eine hochkomplizierte Operation erfordern würde.
Laut einem Bericht des US-Nachrichtenportals Axios, das sich auf einen ehemaligen israelischen Beamten beruft, der mit der Operation vertraut ist, war Israels ursprünglicher Plan, die Pager als Auftakt zu einer groß angelegten Offensive gegen die Miliz zu zünden. Dem Bericht zufolge befürchtete Israel in den letzten Tagen jedoch, dass die Hisbollah den Plan aufdecken und vereiteln könnte, weshalb es eingriff.
Die meisten Explosionen wurden aus den südlichen Bezirken Beiruts gemeldet, wo die schiitische Miliz Hisbollah besonders präsent ist. Unter den Verletzten waren Berichten zufolge zahlreiche Hisbollah-Kämpfer, Angehörige der Elitetruppe Radwan sowie der iranische Botschafter im Libanon. Er selbst erlitt iranischen Medienberichten zufolge lediglich leichte Verletzungen.
Die Verletzten hatten unterschiedlich schwere Gesichtsverletzungen, fehlende Finger und klaffende Wunden an den Hüften. Ein Augenarzt in einem der großen Krankenhäuser in Beirut sagte der Nachrichtenagentur DPA, die meisten Verletzten hätten schwere Augenverletzungen, andere Chirurgen hätten den Opfern die Arme amputieren müssen. Die Pager hätten sie vermutlich in der Hand oder in der Hosentasche gehabt, als sie explodierten.
Das Gesundheitssystem im Libanon steht unter enormem Druck und ist auf eine so große Zahl an Verletzten kaum vorbereitet. „Die Krankenhäuser waren überfordert“, sagte Sulaiman Harun, Chef des Krankenhaussyndikats im Libanon, der DPA. Die meisten Verletzten mussten sofort operiert werden, einige mussten nach den Explosionen am Dienstagabend aber bis heute warten.
Pager sind einfache Kommunikationsgeräte, die drahtlos Textnachrichten empfangen und anzeigen können, aber keine Anrufe tätigen können. Sie werden häufig von Notdiensten zu Alarmzwecken eingesetzt.
Im Libanon werden sie fast ausschließlich von Hisbollah-Mitgliedern und -Kämpfern genutzt, da sie im Gegensatz zu Mobiltelefonen nicht geortet werden können. Die extrem geheimnisvolle Organisation hatte ihre Mitglieder bereits vor Monaten gezwungen, auf die Nutzung von Mobiltelefonen zu verzichten.
Nach Informationen des Wall Street Journals waren viele der fraglichen Pager Teil einer Sendung, die die Hisbollah in den vergangenen Tagen erhalten haben soll. Die New York Times berichtet, die Pager seien unter Hisbollah-Mitgliedern im Libanon, im Iran und in Syrien verteilt worden.
Woher die Pager kamen, wer sie herstellte und welche Route sie in den Libanon nahmen, ist allerdings weiterhin unklar.
Die Pager tragen laut verschiedenen Medienberichten das Logo der taiwanesischen Firma Gold Apollo. In den meisten Fällen soll es sich um das neue Modell AP-924 handeln. Das Unternehmen teilte mit, die Pager nicht selbst zu produzieren. Die Fertigung der Pager liege bei einer Firma mit Sitz in Ungarn namens BAC, die eine Lizenz zur Nutzung der Marke Gold Apollo besitzt. „Design und Produktion liegen vollständig in den Händen von BAC“, teilte Gold Apollo mit.
Der Hauptsitz von BAC in Budapest ist ein unauffälliges Gebäude am Stadtrand.
Doch Recherchen zeigen, dass die Firma BAC die Pager offenbar nicht selbst herstellt. Der offizielle Firmensitz in Budapest ist lediglich ein Briefkasten, wie Recherchen der NZZ vor Ort zeigen. Und auch die Geschäftszahlen legen dies nahe. Gegenüber NBC News sagte die Geschäftsführerin von BAC: „Ich bin nur der Mittelsmann.“ Zur Lieferung in den Libanon äußerte sie sich nicht, auch Anfragen der NZZ blieben unbeantwortet.
Einen Tag nach den Detonationen explodierten am Mittwochnachmittag in zahlreichen Städten Libanons erneut Kommunikationsgeräte. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden dabei mindestens 14 Menschen getötet und 450 verletzt.
Offenbar explodierten am Mittwoch die Radios von Hisbollah-Mitgliedern. Ein Augenzeuge in einem südlichen Vorort von Beirut sagte: „Wir hören dieselben Geräusche wie gestern.“ Gleichzeitig fand an mindestens einem der Explosionsorte die Beerdigung von Hisbollah-Mitgliedern statt, die bei den Detonationen am Vortag getötet worden waren.
Videos in den sozialen Medien zeigten, wie sich während der Trauerzeremonie Panik ausbreitete, nachdem Detonationen zu hören waren. Auch in der südlichen Hafenstadt Tyros waren Berichten zufolge Explosionen zu hören.
Am 8. Oktober begann die Hisbollah einen Grenzkrieg gegen ihren südlichen Nachbarn, um die Hamas in Gaza zu unterstützen. Bislang gelang es ihr, eine Eskalation des Konflikts zu verhindern. In den letzten Tagen eskalierte die Situation jedoch erneut.
Am Dienstag, noch vor den Explosionen im Libanon, hatte das israelische Sicherheitskabinett offiziell die Sicherung der Nordgrenze erklärt, aus deren Nähe Zehntausende Israelis wegen des anhaltenden Beschusses durch die Hisbollah fliehen mussten, ein Kriegsziel.
Für die Hisbollah sind die Explosionen eine weitere Demütigung, nachdem einer ihrer obersten Kommandeure, Fuad Shukr, Ende Juli mitten im Beiruter Territorium der Miliz von einer israelischen Drohne getötet worden war. Am Dienstag sprach ein Vertreter der islamistischen Miliz gegenüber Reuters von einer beispiellosen Sicherheitsverletzung.
Sollte sich herausstellen, dass tatsächlich Israel hinter den Explosionen steckt, könnte dies unabsehbare Folgen haben. Es würde auch die Frage aufwerfen, warum die Israelis ausgerechnet jetzt Hunderte Hisbollah-Mitglieder außer Gefecht setzen wollten. Möglicherweise ist dies der Beginn einer bevorstehenden israelischen Offensive. Die Hisbollah erklärte am Dienstag zudem, Israel werde für die Explosionen „seine gerechte Strafe“ erhalten.
Israels Armee hat am Mittwoch ihren Alarmzustand erhöht. In Erwartung einer möglichen Reaktion der Hisbollah seien Luftabwehr, Luftwaffe und Militärgeheimdienst in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden, berichtete der israelische Armeesender. Eine Elitedivision soll im Zuge der verschärften Spannungen zudem aus dem Gazastreifen an die Grenze zum Libanon verlegt werden.
Mehrere Fluggesellschaften haben ihre Flüge nach Tel Aviv und Beirut für mehrere Tage abgesagt, darunter die Lufthansa-Gruppe, zu der auch Swiss gehört, und Air France.
Mit Agenturmaterial.