In dem mit Spannung erwarteten Urteil im Urheberrechtsstreit und in Fragen zur Ausbildung künstlicher Intelligenz (KI) befand das Landgericht München I, dass die klagende Verwertungsgesellschaft GEMA überwiegend Recht hatte. Laut der 42. Zivilkammer hat Open AI beim Betrieb seines KI-Chatbots ChatGPT die Urheberrechte von Songwritern verletzt. Aus diesem Grund kann die GEMA von Open AI eine Unterlassungserklärung, Auskunft über den Umfang der verwendeten Songtexte und Schadensersatz verlangen.
Der Versuch der GEMA, persönlichkeitsrechtliche Ansprüche ihrer Mitglieder durchzusetzen, blieb jedoch erfolglos. In diesem Fall wiesen die Richter die Klage ab (Az. 42 O 14139/24). Dennoch ist die Entscheidung als wegweisendes Urteil zu werten, insbesondere weil es das erste in Europa in einer Klage einer Verwertungsgesellschaft gegen einen der KI-Betreiber ist.
„Sowohl das Einprägen in die Sprachmodelle als auch die Wiedergabe der Liedtexte in den Ausgaben des Chatbots stellen einen Eingriff in die urheberrechtlichen Verwertungsrechte dar“, erklärte das Landgericht. Diese unterliegen nicht den Beschränkungen, insbesondere der Barriere für Text- und Data-Mining. Zur Einordnung: Das deutsche Urheberrecht ermöglicht eine solche automatisierte Analyse digitaler oder digitalisierter Werke, um Aufschluss über Muster, Trends und Zusammenhänge zu erhalten. Allerdings kam die Kammer in ihrer Beurteilung im Fall ChatGPT zu dem Schluss, dass diese Prämisse nicht stichhaltig sei. „Im Gegenteil greifen die vorhandenen Reproduktionen im Modell in das Verwertungsrecht der Rechteinhaber ein“, heißt es im Urteil.
„Das Internet ist kein Selbstbedienungsladen“
Entgegen der Meinung von Open AI erklärten die Juroren, dass der Liedtext nicht als irrelevant und entbehrlich neben dem gesamten Trainingsdatensatz angesehen werden dürfe. Der Eingriff der Beklagten in die Verwertungsrechte der Klägerin sei auch nicht durch die Zustimmung des Rechteinhabers gerechtfertigt, weil das Training von Modellen nicht als eine übliche und zu erwartende Art der Nutzung angesehen werden könne, mit der der Rechteinhaber rechnen müsse.
„Das Internet ist kein Selbstbedienungsladen, und menschliche Kreativleistungen sind keine freie Vorlage“, kommentierte GEMA-Chef Tobias Holzmüller die Entscheidung: „Heute haben wir einen Präzedenzfall geschaffen, der die Rechte von Urhebern schützt und klärt: Auch Betreiber von KI-Tools wie ChatGPT müssen sich an das Urheberrecht halten.“
Die Entscheidung der Zivilkammer zeichnete sich bereits in der mündlichen Verhandlung vor einigen Wochen ab. Ende September deutete die Vorsitzende Richterin Elke Schwager im Münchner Justizpalast an, dass sie den Argumenten der GEMA in praktisch allen zentralen Punkten des Rechtsstreits lieber folgen wolle. Neben einer Entscheidung hatten die Richter auch die Möglichkeit, den Rechtsstreit auszusetzen und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen. Seit diesem Frühjahr verklagt ein ungarisches Medienunternehmen Google gegen Google.
Ein Sprecher von Open AI sagte, man sei mit dem Urteil nicht einverstanden und erwäge weitere Schritte. „Die Entscheidung betrifft nur einen begrenzten Teil des Liedtextes und hat keine Auswirkungen auf die Millionen Menschen, Unternehmen und Entwickler in Deutschland, die unsere Technologie täglich nutzen.“
„Das Münchner Urteil wird keine gravierenden Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der KI-Anbieter haben“
Auch wenn es sich nur um eine erstinstanzliche Entscheidung handelt, dürfte die Entscheidung den Handlungsdruck auf die Politik weiter erhöhen. Denn in Brüssel und Berlin verfolgt man die Klage der GEMA mit großer Aufmerksamkeit. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) wies am Montag auf die bevorstehende Entscheidung hin. Sie gehe davon aus, dass der Streit erhebliche Auswirkungen auf die Lizenzbereitschaft von KI-Unternehmen haben werde, sagte Hubig auf der Tagung der Urheberrechtsinitiative in Berlin. Neben den Erkenntnissen zur Regulierung gilt es auch, die Situation für Urheber zu verbessern. „Sollte der Lizenzmarkt nicht spürbar anziehen, müssen wir insbesondere auf EU-Ebene über rechtliche Anpassungen diskutieren“, betonte Hubig.
Unterdessen mahnen Experten zum Schutz des geistigen Eigentums (IP) zur Vorsicht, wenn es um den Umfang der Entscheidung geht. „Das Münchner Urteil wird keine gravierenden Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle von KI-Anbietern haben“, sagt Jens Matthes, IP-Partner bei der Anwaltskanzlei A&O Shearman. Erst die zahlreichen weiteren Gerichtsverfahren vor allem in den USA und Europa würden über die künftige Freiheit von KI-Modellen und andererseits über die Beteiligung kreativer Menschen an KI-Erlösen entscheiden – „sofern sie nicht vor der Fertigstellung verglichen werden“. Derzeit sind in Amerika mehr als 50 Urheberrechtsklagen gegen globale Technologieunternehmen und KI-Betreiber anhängig, einige davon als Sammelklagen. Besonderes Aufsehen erregte ein Vergleich des KI-Betreibers Anthropic: Weil zahlreiche Raubkopien von Büchern US-amerikanischer Autoren zum Trainieren des KI-Chatbots Claude genutzt wurden, zahlt Anthropic 1,5 Milliarden US-Dollar, um eine mögliche Sammelklage zu beenden.
Im Gegensatz zu Europa beinhaltet das US-amerikanische Urheberrecht eine Doktrin namens „Fair Use“. Dabei werden verschiedene Kriterien abgewogen, ob die Nutzung urheberrechtlich geschützten Materials ohne Vergütung und ohne Zustimmung des Urhebers zulässig ist. Einer der Faktoren ist der „transformative“ Charakter der neuen Schöpfung – darauf bestehen die KI-Unternehmen. Aber auch die Folgen für einen bestehenden Lizenzmarkt spielen eine Rolle.
Tatsächlich betrachtete der Richter im Antrophic-Fall die Schulung als faire Nutzung. Allerdings sah er in der Beschaffung der Bücher aus Pirateriedatenbanken eine Urheberrechtsverletzung. Die Musikindustrie hofft auf eine andere Einschätzung im US-Verfahren gegen die KI-Anbieter Suno und Udio. Beide generieren zeitnah komplette Songs, die sich dann bei Streaming-Diensten echte Tantiemen einbringen lassen. Es kann auch als Hintergrundmusik in Restaurants, Geschäften, in sozialen Medien oder in Filmen und Werbung verwendet werden. Auch die GEMA verklagt Suno. Die Verhandlung ist für Januar geplant – erneut am Landgericht München.
