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Das Ereignis liegt seit Monaten vor Rügen und der Öltanker wird zur russischen Schattenflotte gezählt. Es wächst die Sorge, dass das Schiff Öl auslaufen könnte. Aber laut NDRDie Veranstaltung wird vorerst nicht in einen Hafen verlegt.
Im Januar trieb die Eventin nach einem Motorschaden manövrierunfähig und unbeleuchtet Richtung Rügen in der Ostsee. Der Öltanker ist Teil der sogenannten russischen Schattenflotte und hatte nach Behördenangaben fast 100.000 Tonnen Öl an Bord. Der deutsche Zoll beschlagnahmte die Eventin. Das Bundesfinanzministerium begründete diese Maßnahme gegenüber dem NDR mit EU-Sanktionsbestimmungen.
Notschlepper zogen die Eventin im Januar an einen Liegeplatz vor Sassnitz östlich der Insel Rügen. Das Schiff bleibt bis heute dort. Aber warum hat sich die Situation seit Monaten nicht geändert? Carmen Kannengießer, Kreistagsabgeordnete des Wahlkreises Rügen, kritisiert, dass die Bundesregierung sehr lax mit der Situation umgehe und große Angst in der Bevölkerung auslöste. Der Nationalpark Jasmund und die berühmte Kreideküste Rügens liegen ganz in der Nähe des Liegeplatzes der Eventin.
Komplizierte rechtliche Fragen
Der deutsche Zoll ging vermutlich davon aus, dass er das Schiff und das mitgeführte Öl nach der Beschlagnahmung schnell entsorgen konnte. Doch der Vorbesitzer des Schiffes, Laliya Shipping Corp., ein auf den Marshallinseln registriertes Unternehmen, erhob Einspruch. Sie reichte Klage beim Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern ein.
Laut NDR– Untersuchungen argumentieren, dass der Zoll keine Rechtsgrundlage für die Beschlagnahmung der Eventin hatte, da sich an Bord kein sanktioniertes Öl befand. Entgegen den Angaben im Frachtbrief handelt es sich bei der Ladung nicht um Schweröl, das den EU-Sanktionen unterliegt, sondern um raffiniertes Öl, das nicht den EU-Sanktionen unterliegt. Zudem gelangte die Eventin nicht absichtlich, sondern aufgrund des technischen Defekts in deutsche Hoheitsgewässer.
Eine gezielte Einfuhr von russischem Erdöl in das deutsche Küstenmeer lag somit nicht vor. Es liegt somit kein Sanktionsverstoß vor. Jedes Schiff kann sich bei einem Unfall auch auf das Nothafenrecht berufen. Die komplizierten Rechtsfragen konnten vor dem Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern nicht geklärt werden. Mit dem Fall befasst sich nun der Bundesfinanzhof. Eine Entscheidung wird voraussichtlich frühestens Ende des Jahres fallen. „Bis das Gericht entscheidet, müssen weitere Vollstreckungsmaßnahmen vermieden werden“, teilte das Bundesfinanzministerium mit NDR.
Eigentümerfirma klagt auch gegen die EU
Die Recherchen zeigen nun, dass der Vorbesitzer des Eventin am 25. April eine weitere Klage eingereicht hat und von der Hamburger Rechtsanwältin Henrike Koch vertreten wird. Diese Klage richtet sich gegen den Rat der Europäischen Union. Die EU hat die Eventin am 24. Februar als Schattentanker gelistet. Dafür liegen laut Klagebegründung keine ausreichenden Beweise vor. Fragen zum aktuellen Stand dieses Rechtsstreits auf EU-Ebene beantwortete der Hamburger Anwalt nicht.
Der Fall zeigt, wie schwierig es ist, auf diese Weise die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sicherheitsstandards sicherzustellen. Insbesondere alte Öltanker wie die 19 Jahre alte Eventin stellen eine erhebliche Gefahr für die Meere dar. Sie gelten als minderwertige Schiffe, da sie in der Regel schlecht gewartet werden. Besonders problematisch ist dies bei Reisen in ökologisch sensiblen Meeresgebieten wie der Ostsee.
Nach internationalem Seerecht ist Deutschland verpflichtet, Umweltrisiken durch die Schifffahrt in der Ostsee zu minimieren. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation hat weltweit 17 Meeresgebiete als besonders empfindlich eingestuft. Zur UN-Unterorganisation gehört auch die Ostsee.
Das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL) ermöglicht es Staaten, besondere Maßnahmen zum Schutz solch sensibler Meeresgebiete zu ergreifen. Dazu gehören auch Beschränkungen für Öltanker.
Auch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) verpflichtet alle Staaten, insbesondere aber die Küstenstaaten, zu aktiven Maßnahmen zum Schutz der Meeresumwelt.
Umgang mit Risikoschiffe
Genau hier setzen Julian Pawlak und sein Team an. Pawlak ist wissenschaftlicher Koordinator des interdisziplinären Forschungsschwerpunkts Maritime Sicherheit (iFMS), einer Kooperation mit dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg). In den kommenden Tagen wird veröffentlicht, welche Möglichkeiten das internationale Seerecht bietet, um den hohen Umweltrisiken durch minderwertige Schiffe zu begegnen.
Einer der wenigen, die den Öltanker Eventin aus der Nähe gesehen haben, ist Schiffsingenieur Patrick Gielow. Er überprüfte den technischen Zustand des Tankers. Das Ergebnis war positiv. Die Veranstaltung sei in einem „wirklich guten technischen Zustand“. Dennoch, sagt Gielow, bleibe ein Restrisiko bestehen.
Greenpeace warnt Worst-Case-Szenario
Die Umweltorganisation Greenpeace warnt vor der Gefahr eines Öllecks aus der Eventin und hat Simulationen beim renommierten Helmholtz-Zentrum Hereon in Auftrag gegeben. Welches Öl genau den Eventin beladen hat, ist noch nicht öffentlich bekannt. Daher wurden Simulationen mit verschiedenen Ölsorten und unterschiedlichen Strömungs- und Windbedingungen durchgeführt.
Der „Worst Case“: Bei vergleichbaren Wetterbedingungen wie bei der starken Sturmflut vor Rügen im Oktober 2023 könnte das Öl innerhalb kurzer Zeit die nahe Küste erreichen, und das unter Bedingungen, unter denen eine frühzeitige Ölbekämpfung kaum möglich wäre.
Die Generalzolldirektion wollte sich zur Ölausbreitungssimulation des Helmholtz-Zentrums Hereon nicht äußern und verwies auf das laufende Gerichtsverfahren.
Die Bewertung der maritimen Sicherheit und der Bedrohungslage durch die zuständigen Sicherheitsbehörden ist jedoch noch nicht abgeschlossen, wobei insbesondere mögliche Wetterentwicklungen stets berücksichtigt werden.
