Am Ende kichert das Premierenpublikum. Was bei vielen anderen Filmen ein gutes Zeichen wäre, bedeutet hier genau das Gegenteil. Denn auf der Leinwand verglüht gerade ein Vampir im ersten Morgenlicht, und das sollte eigentlich nicht zum Lachen anregen. Es sollte doch alles stimmen an diesem Dezemberabend, an dem der Klassiker des Horrorfilms in neuer Inszenierung uraufgeführt wird. 102 Jahre nach der Premiere von Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens im Marmorsaal des Zoologischen Gartens in Berlin findet die erste Vorstellung des Remakes von Robert Eggers im Zoo Palast statt.
Die Gäste haben sich aufgerüscht für das Event. Es gibt perfekt geschminkte Gruselfratzen, viel schwarze Spitze und lange Samtschärpen, man fühlt sich wie auf einer Party der Addams Family. Handys müssen in goldenen Plastiktaschen verschwinden, denn nichts darf nach außen dringen vom Look des neuen Vampirs. Kurze Enttäuschung kommt auf, als klar wird, dass die Hauptdarstellerin Lily-Rose Depp wegen Krankheit verhindert ist. Aber Willem Dafoe ist da, der Regisseur Eggers natürlich und der „Graf“ Bill Skarsgård (zuletzt gefürchtet als Clown Pennywise in Es).
Der US-amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Eggers (The Lighthouse, The Northman), so erzählt Moderator Steven Gätjen auf der Bühne, habe Nosferatu als Neunjähriger gesehen und sei seitdem vom Wunsch beseelt (oder sollte man lieber sagen: verflucht?) gewesen, seine eigenen Bilder des berühmten Vampir-Epos zu erschaffen.
Als der Vorhang schließlich aufgeht, fühlt man sich tatsächlich kurz ins Jahr 1838 versetzt: Es gibt sogar Szenenapplaus für die Schwarz-Weiß-Einführung in das Schauermärchen. Doch schon bald merkt man: Es sind keine Bilder, die man noch nie gesehen hat. In vielen Einstellungen ähnelt Eggers‘ Film dem Noferatu von Werner Herzog aus dem Jahr 1979 (mit Klaus Kinski, Bruno Ganz und Isabelle Adjani). Das beschauliche norddeutsche Küstenstädtchen, der junge Makler Thomas Hutter (Nicholas Hoult), der von seinem Chef nach Transsilvanien zu einem ominösen Grafen geschickt wird; die anämische junge Ehefrau Ellen (Lily-Rose Depp) des Sturm-und-Drang-Helden, den es nach Abenteuern und sozialem Aufstieg dürstet. Bis er auf einen Mann mit noch größerem Durst stößt: Graf Orlok, Nosferatu, Obervampir.
Mit dieser Figur steht und fällt natürlich alles. Welchen Platz wird Bill Skarsgård im Dracula-Ranking einnehmen, zwischen illustren Kollegen wie Max Schreck, Frank Langella, John Carradine, Udo Kier, Leslie Nielsen und zuletzt Nicolas Cage? Die großen Nosferatu-, Dracula- oder Orlok-Darsteller fügten der Gestalt immer eine besondere Charaktereigenschaft hinzu: Klaus Kinski war der sanfte Killer, Gary Oldman der verzweifelte Verführer, Christopher Lee der sexuell aggressivste und Bela Lugosi, der sich aus dieser Rolle nie befreien konnte (schauen Sie bei Gelegenheit den tollen Film Ed Wood) der mystischste. Seine Adaption des Nosferatu, sagte Regisseur Eggers der Vanity Fair, orientiere sich mehr an den Vampiren der rumänischen Volkssagen, die äußerlich eher Zombies glichen. Sein Vampir sei keiner von der Art „Ich schaue super aus und bin tot.“
Das mit dem Nicht-gut-Ausschauen kann man unterschreiben. Das Besondere an Skarsgårds Graf Orlok ist eindeutig dessen Schnurrbart. Der wirkt weder furchterregend noch sexy, sondern tatsächlich: einfach hässlich. Viel mehr als den Schnauzer sieht man in den ersten Szenen auch nicht von der Hauptfigur. Es scheint zunächst so, als wollte der Regisseur seinem Vampir gar kein Gesicht geben: Bei der Begegnung mit Hutter in seinem Schloss bleibt Orlok immer im Schatten, ungesehen von seinem Gast. Hätte Eggers diese Herangehensweise durchgehalten, wäre das zumindest eine konsequente Entscheidung gewesen, die ihren eigenen Horror hätte entwickeln können. Leider sieht – und hört – man dann aber noch mehr als genug von Orlok. Akustisch wirkt der Graf unfreiwillig komisch, weil er mit dem historischen dakischen Akzent spricht, der in der Region des Dracula-Transsilvaniens üblich war. Was so übärrrtrieben klingt, dass es den Grusel vertreibt. Fazit: Nicht jeder Horrorclown ist auch ein angsteinflößender Vampir.