Expertenanhörungen gehören zum politischen Kerngeschäft. Es gibt sie sowohl in den Landesparlamenten als auch im Bundestag. Ihre Themen umfassen das gesamte Spektrum der Politik. Ein Antrag der AfD war Anlass für eine Expertenanhörung am Donnerstagmorgen für den Innenausschuss des NRW-Landtags.
Dass ein AfD-Antrag Anlass der Anhörung ist, ist ein Problem. Denn der Vorschlag der rechtsextremen Partei ist das Drehbuch für das Clan-Theater in Düsseldorf. Auf acht Seiten zeichnet die rechtsextreme Partei ein äußerst düsteres Bild von Nordrhein-Westfalen und insbesondere dem Ruhrgebiet. Es grenzt an ein Wunder, dass die Polizei es immer noch wagt, ohne Panzerwagen auf die Straße zu gehen. Gleiches gilt für die Tatsache, dass die Bewohner noch nicht zehntausend Mal zu den Waffen gegriffen haben, um sich gegen Ausländerbanden zu wehren. Das Horrorbild des Ruhrgebiets wird mehr oder weniger durch Berichte rechtsalternativer Medien und Schlagzeilen in der Lokalpresse belegt. Die AfD stellt 25 Forderungen an die Landesregierung. Sie lassen sich leicht zusammenfassen: Die Sicherheitsbehörden sollten mehr Daten sammeln und mehr Befugnisse gegen sogenannte Clans haben. Besonders ins Visier sollten syrische Clans geraten, die seit 2015 ins Land gekommen sind und nun ihre Strukturen festigen.
Es werden weitere Abschiebungen von Clanmitgliedern gefordert. Auch die AfD möchte wissen, welchen Status „Rückführungsbemühungen gegen ausländische Clankriminelle“ haben und diese „kontrollierbar“ machen. Um nicht in den „Ausländer raus“-Jargon zu verfallen, betont der AfD-Antrag, dass es der Partei um den Schutz der Deutschen und „gut integrierter und assimilierter Menschen ausländischer Herkunft“ gehe. Die AfD-NRW versucht, sich als gemäßigt zu brandmarken.
Das funktioniert offensichtlich ganz gut. Denn niemand in der Ausschusssitzung stellt die Absichten der AfD in Frage. Alle Fraktionen stellen den Experten Fragen zum Thema „Clankriminalität“. Mit Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter und dem meinungsstarken Bundespolizeigewerkschafter Manuel Ostermann fungieren zwei Polizeiakteure als Experten. Huth geht sein Programm routiniert durch und berücksichtigt dabei aktuelle Forderungen seiner Interessenvertretung. Er fordert mehr Interventionsmöglichkeiten. Huth fordert eine Ausweitung der Umweltermittlungen und möchte heimliche Durchsuchungen durchführen. Gegen Clans hilft mehr europäische Zusammenarbeit. Er fordert die nordrhein-westfälische Landesregierung auf, gegen Überlegungen des Bundes zu protestieren, den Einsatz von verdeckten Ermittlern und Informanten einzuschränken. Diese sind für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität unerlässlich. Ähnliches ist von Manuel Ostermann zu hören, nur mit einer echteren Zunge. Gleichzeitig warnt er vor der Bedrohung durch Terrorismus, Drogen- und Schmuggelkriminalität. Ostermann fordert außerdem mehr Abschiebehaftanstalten und bessere Möglichkeiten zur Beschaffung von Ersatzpasspapieren. Themen, die „Clankriminalität“ nur am Rande betreffen, für rechte Polizeigewerkschafter aber wichtig sind. Und sie passen auch zu den Fragen und Forderungen der AfD.
Auch der Berliner Islamkritiker Ralph Ghadban appelliert an diejenigen, die eine harte Hand gegenüber Clans bevorzugen. Ghadban hat vor einigen Jahren ein Buch über Clans geschrieben. Dort nennt er Fehler bei der Integration von Flüchtlingen aus dem libanesischen Bürgerkrieg in den 1980er Jahren. Allerdings nimmt er im Düsseldorfer Landtag auch mehr Platz ein, um Familienclans als hochkriminelle Netzwerke zu bezeichnen, die nach eigenen, die Demokratie ablehnenden Wertvorstellungen leben. Ghadbans Äußerungen im Landtag sind weitschweifig.
Das ist schade, denn da Dr. Mahmoud Jaraba von der Universität Erlangen-Nürnberg die Fragen beantworten soll, bleibt für die Anhörung nur noch wenig Zeit. Jaraba forscht seit 2015 zu dem Thema und hat Interviews mit Menschen aus „Clanfamilien“ im Ruhrgebiet geführt. Er zeichnet ein differenziertes Bild. Erklärt, dass es weniger um Familienclans als vielmehr um verschiedene kriminelle Banden ging, bei denen andere Faktoren eine größere Rolle spielten. Zu den neuen syrischen Clans, die Anlass für den AfD-Antrag waren, erklärt Jaraba, dass es sich um individuelle Familienstrukturen handele. Er warnt davor, dass sie ihren Einfluss in der syrischen Diaspora ausweiten könnten. Im Gegensatz zu den anderen Experten sieht der Wissenschaftler in angeblichen Clans mehr als nur ein Problem für die Polizei. Auf Fragen von SPD- und Grünen-Abgeordneten antwortete er, er denke viel über Prävention nach. Es muss dort beginnen, wo die Jugendlichen sind, nämlich in den Schulen. Kriminelle Karrieren begannen oft bereits im Alter von 12 Jahren. Jaraba warnt auch vor der Stigmatisierung, die bereits der Begriff „Clankriminalität“ mit sich bringt. In seiner lesenswerten schriftlichen Stellungnahme warnt er, dass der Antrag der AfD Forderungen enthalte, die zu „schwerwiegenden Fehleinschätzungen“ führen würden.
Nach anderthalb Stunden ist die Expertenanhörung im Landtag beendet. Über den Vorschlag der AfD wird demnächst im Landtag abgestimmt.
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