Nachrichtenportal Deutschland

Nierentransplantation der Zukunft: Forscher entwickeln „universelle Niere“

Zehn Jahre Forschung, unzählige Rückschläge – und nun ein Hoffnungsschimmer für Tausende Menschen auf den Wartelisten: Wissenschaftler aus Kanada und China haben eine Niere entwickelt, die keine Blutgrenze mehr kennt. Den Forschern zufolge könnte das Organ künftig jedem Patienten implantiert werden – unabhängig davon, ob er die Blutgruppe A, B, AB oder O hat. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature Biomedical Engineering“ veröffentlicht.

Blutgruppen und Transplantation: Warum viele Patienten warten

Nach Angaben des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit (BIÖG) in Deutschland standen zum 31. Dezember 2024 rund 8.575 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Die meisten von ihnen warten auf eine Niere. Im selben Jahr gab es bundesweit 953 Organspender, was 11,4 Spendern pro Million Einwohner entspricht.

Aber selbst wenn eine Orgel vorhanden ist, bedeutet das nicht automatisch Hoffnung. Ob eine Spenderniere angenommen oder abgelehnt wird, hängt entscheidend von der Blutgruppe ab. Es wird durch sogenannte ABO-Antigene bestimmt – winzige Zuckermoleküle auf der Zelloberfläche, die das Immunsystem als „eigen“ oder „fremd“ erkennt. Der Körper reagiert auf fremde Antigene mit Antikörpern und löst eine Abstoßungsreaktion aus.

In der Transplantationsmedizin gilt: Ein Spenderorgan darf immunologisch nicht als fremd erkannt werden – zumindest nicht sofort. Menschen mit Blutgruppe O können in der Regel nur Nieren von Spendern derselben Blutgruppe erhalten. Wenn ihnen ein Organ mit A- oder B-Antigenen verabreicht würde, würde der Körper es innerhalb von Stunden angreifen.

Genau diese Regel macht Patienten der Blutgruppe O zu Verlierern im System. Man muss warten, bis eine passende Niere gefunden ist – und oft vergeblich. Denn Organe der Blutgruppe O sind besonders begehrt: Sie können auch Empfängern anderer Blutgruppen transplantiert werden und sind daher schnell entnommen.

ABO-inkompatible Transplantation: Aktuelle Verfahren sind riskant und teuer

Um den Mangel an Spenderorganen zu lindern, greifen Transplantationszentren seit Jahren auf sogenannte ABO-inkompatible Transplantationen zurück – also Verfahren, bei denen trotz unterschiedlicher Blutgruppen Organe übertragen werden. Möglich wird dies durch aufwändige Vorbehandlungen, die den Empfänger auf die Verträglichkeit des Fremdorgans vorbereiten sollen.

Diese empfängerzentrierte Desensibilisierung zielt darauf ab, körpereigene Antikörper zu reduzieren, die normalerweise eine sofortige Abstoßung auslösen würden. In der Praxis erfolgt dies meist durch Plasmapherese oder Immunadsorption – Verfahren, bei denen das Blut gefiltert und Antikörper entfernt werden.

Doch der Preis ist hoch: Die Behandlung schwächt das Immunsystem, erhöht die Anfälligkeit für Infektionen und birgt das Risiko von Blutungen während der Operation. Hinzu kommen erhebliche Kosten und eine aufwändige Vorbereitung, die meist nur bei Lebendspendern möglich ist – denn der Empfänger muss rechtzeitig auf die Transplantation vorbereitet werden.

Spenderzentrierte Nierentransplantation: Forscher wandeln Organe in universelle Spendernieren um

Während frühere Ansätze darauf beruhten, den Empfänger auf eine fremde Blutgruppe vorzubereiten, kehrt die aktuelle Forschung die Perspektive um. Die jetzt veröffentlichte Studie beschreibt erstmals eine spenderzentrierte Strategie: Statt den Patienten zu desensibilisieren, wird das Spenderorgan selbst so verändert, dass es vom Immunsystem neutral wahrgenommen wird.

Der Vorgang erfolgt bei einer sogenannten hypothermischen Perfusion – einem kontrollierten Fluss durch die Niere außerhalb des Körpers, bei dem das Organ mit einer kalten Nährlösung versorgt wird. In diesem Zustand injizierten die Forscher eine Enzymmischung, die gezielt die A-Antigene von der Oberfläche der Blutgefäße löst.

Zwei Enzyme spielen die Hauptrolle: Fp-GalNAc-Deacetylase und Fp-Galactosaminidase. Sie wirken wie eine molekulare Schere, die die Zuckermoleküle entfernt, die die Blutgruppe A charakterisieren. Übrig bleibt das sogenannte H-Antigen – die Grundstruktur, die typisch für die Blutgruppe O ist. „Es ist, als würde man den roten Lack von einem Auto entfernen und die neutrale Unterschicht freilegen“, erklärt Stephen Withers von der University of British Columbia, einer der Hauptautoren der Studie, in einer Stellungnahme. „Wenn das passiert, erkennt das Immunsystem das Organ nicht mehr als fremd.“

Forscher präsentieren eine enzymkonvertierte Typ-O-Niere („ECO-Niere“), die unabhängig von der Blutgruppe transplantiert werden könnte.
© (InvictaHOG/Public Domain/Wikimedia Commons) | (InvictaHOG/Public Domain/Wikimedia Commons)

Nierentransplantation im Test: Erster erfolgreicher Einsatz der Universalniere

In einem Ex-vivo-Modell, also außerhalb des Körpers, zeigte die behandelte Niere nach Blutkontakt keine Antikörper-vermittelte Schädigung. Ermutigt durch diese Erkenntnis wagte das Forscherteam den entscheidenden Schritt: Sie transplantierten eine enzymumgebaute Typ-O-Niere in den Körper eines hirntoten Empfängers mit Blutgruppe O, der einen hohen Titer an Anti-A-Antikörpern aufwies – ein Szenario, das unter normalen Umständen sofort eine massive Abstoßungsreaktion ausgelöst hätte.

Das Ergebnis war bemerkenswert: Es kam zu keiner hyperakuten Abstoßung. Die Niere blieb zwei Tage lang funktionsfähig und zeigte keine Anzeichen einer durch Antikörper vermittelten Schädigung. „Dies ist das erste Mal, dass wir diesen Effekt in einem menschlichen Modell beobachtet haben“, sagt Withers. „Dies gibt uns wertvolle Einblicke in die Verbesserung langfristiger Ergebnisse.“

Immunreaktion nach Nierentransplantation: So reagierte das Organ nach drei Tagen

Nach zunächst stabilen Ergebnissen kam es am dritten Tag zu einer entscheidenden Veränderung: Auf der Oberfläche der transplantierten Niere bildeten sich erneut A-Antigene, die zuvor enzymatisch entfernten Zuckermoleküle. Gleichzeitig entdeckten die Forscher Gewebeschäden durch Antikörper und Komplementablagerungen – ein klassisches Zeichen einer beginnenden Immunreaktion.

Auch die sogenannten Banff-Scores, die das Ausmaß der Ablehnung quantifizieren, stiegen. Die Daten deuten darauf hin, dass das Immunsystem des Empfängers begonnen hat, auf die wiederkehrenden Antigene zu reagieren, wenn auch weniger heftig als bei einer herkömmlichen, inkompatiblen Transplantation, heißt es in der Studie.

Gleichzeitig fand im Inneren des Organs ein bemerkenswerter biologischer Prozess statt: Genetische Analysen der Nierenzellen zeigten eine erhöhte Aktivität von Genen, die mit Toleranz und Anpassung verbunden sind. Die Forscher nennen dieses Muster „Akkommodation“. Dieses molekulare Signal könnte daher darauf hinweisen, dass der Körper begonnen hat, das Fremdorgan zumindest teilweise zu akzeptieren. „Das ist besonders aufregend“, sagt Withers. „Es könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Immunsystem auch bei anfänglicher Unverträglichkeit in einen Gleichgewichtszustand übergehen kann.“ Auch Bluthochdruck und Diabetes gefährden die Nieren – oft unbemerkt.

Nierentransplantation der Zukunft: „Universalniere“ mit Potenzial für eine gerechtere Organzuteilung

Sollte sich das Verfahren in zukünftigen klinischen Studien als erfolgreich erweisen, könnte es das Prinzip der Organzuteilung grundlegend verändern. Eine Niere müsste dann nicht mehr wegen Blutgruppenunverträglichkeit ausgeschlossen werden – sie könnte enzymatisch verändert und so jedem Empfänger transplantiert werden.

Dabei handele es sich nicht nur um eine technische Innovation, sondern auch um eine Frage der Gerechtigkeit, betonen die Forscher. Die Möglichkeit, Spenderorgane immunologisch zu „neutralisieren“, könnte die Verfügbarkeit drastisch erhöhen und die teilweise jahrelangen Wartelisten verkürzen.

Ein FUNKE der Liebe

Alle zwei Wochen sonntags: Antworten auf Beziehungsfragen – ehrlich, nah und alltagstauglich.

Mit der Anmeldung zum Newsletter erkläre ich mich mit der Werbevereinbarung einverstanden.

Aber die „universelle Niere“ ist immer noch ein Experiment. Bevor es an lebenden Patienten getestet werden kann, müssen weitere Studien zeigen, wie sich die Enzymbehandlung langfristig auf Organfunktionen und Immunantworten auswirkt. Auch regulatorische und ethische Fragen sind offen – etwa wie weit eine solche Operation an Spenderorganen gehen kann und wer über ihren Einsatz entscheidet.

Die mobile Version verlassen