Immer mehr alte Menschen, immer mehr Alzheimer-Erkrankungen in Deutschland: Welche neuen Wirkstoffe und Medikamente gibt es? Und mit welchen Strategien kann man Alzheimer vorbeugen?
Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz, rund 60 Prozent der Betroffenen haben die Demenzform Alzheimer. Weil die Zahl älterer Menschen zunimmt, steigen die Zahlen ständig.
Laut Robert Koch-Institut könnten bis 2070 doppelt so viele Senioren an Alzheimer erkranken wie heute. Eine düstere Prognose – doch viele Experten halten einen Durchbruch in der Behandlung für möglich.
Was ist Alzheimer?
Bei der Alzheimer-Krankheit lagern sich im Gehirn der Patienten falsch gefaltete Proteine ab. Diese Verklumpungen führen zu zunehmenden geistigen Einschränkungen. Bei manchen Menschen spielen die Gene eine Rolle, bei anderen begünstigen Lebensstil und Umweltfaktoren die Entstehung von Demenz.
Auch Menschen, die einen gesunden Lebensstil pflegen, können an Alzheimer erkranken. Doch durch die Vermeidung wichtiger Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder Bewegungsmangel lässt sich der Ausbruch vermutlich verzögern und in manchen Fällen vielleicht sogar verhindern. Einen garantierten Schutz gibt es allerdings nicht.
Neue Wirkstoffe gegen Alzheimer
In den vergangenen Monaten gab es vielversprechende Entwicklungen, aber auch Rückschläge. Jüngstes Beispiel ist der Wirkstoff Lecanemab. Seit Anfang 2023 ist der Antikörper in den USA zugelassen – als erster Wirkstoff, der den geistigen Abbau zumindest etwas verlangsamen kann.
In Europa bekommen Patienten Lecanemab allerdings nicht – die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) lehnte die Zulassung Ende Juli 2024 ab. Aus europäischer Sicht ist die Wirkung recht schwach, sie verzögert das Fortschreiten der Demenz bestenfalls um einige Monate. Gleichzeitig sind schwere Nebenwirkungen wie Schwellungen und Blutungen im Gehirn möglich. Laut EMA überwiegen die Risiken den Nutzen. Unter Experten ist die Entscheidung allerdings durchaus umstritten.
Antikörper eine Sackgasse?
Sind Antikörper gegen Alzheimer also eine Sackgasse? Das lässt sich noch nicht sagen: Die EMA könnte ihre Entscheidung zum Wirkstoff Lecanemab ändern, wenn es weitere positive Daten aus anderen Ländern gibt.
Die Behörde prüft derzeit zudem einen weiteren Zulassungsantrag: Der Antikörper Donanemab könnte nach den USA auch in Europa auf den Markt kommen.
Die Wirkungsweise von Donanemab ähnelt der von Lecanemab – der positive Effekt könnte etwas größer sein. Doch auch hier ist mit riskanten Nebenwirkungen zu rechnen.
Beide neuen Wirkstoffe wirken grundsätzlich nur im Frühstadium von Alzheimer – es bedarf also einer sehr guten Diagnostik. Zudem müssen die Patienten für die Infusionen in eine Klinik gebracht und die ganze Zeit per Hirnscan engmaschig überwacht werden. Das ist sehr teuer und zeitintensiv – eine große praktische Hürde. Darauf weist auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hin.
Fortschritte bei anderen Ansätzen zur Alzheimer-Behandlung
Ein spannender Bereich ist das „Repurposing“, also die Neuverwendung von Medikamenten. Forscherteams suchen dabei nach Wirkstoffen, die eigentlich für andere Erkrankungen zugelassen sind – und möglicherweise auch bei frühem Krankheitsverlauf eine Wirkung haben.
Es gibt immer mehr vielversprechende Studien zu Diabetesmedikamenten. Ein Artikel über Gliflozine und Alzheimer wurde gerade im British Medical Journal veröffentlicht. Gliflozine sind eine spezielle Klasse von Medikamenten zur Behandlung von Diabetes.
Daten von mehr als 200.000 Diabetikern belegen der Studie zufolge einen gewissen Schutzeffekt: Wer die Medikamente einnahmen, hatte ein verringertes Risiko, an Alzheimer zu erkranken.
Positiver Einfluss von Diabetes-Medikamente
Auch neue Schlankheitsspritzen wie Wegovy sollen positive Effekte haben. Studien dazu laufen bereits. Und beim Klassiker Metformin hat gerade eine kleine Studie mit Affen gezeigt, dass deren Gehirn langsamer altert, wenn sie die Diabetes-Pillen nehmen.
Was genau im Gehirn passiert, wenn die verschiedenen Medikamente zur Diabetes-Therapie eingesetzt werden, ist noch unklar. Dabei spielen vermutlich vor allem zwei Faktoren eine Rolle: Entweder beruht der positive Effekt darauf, dass Entzündungsprozesse im Gehirn gebremst werden – Entzündungen fördern bei Alzheimer die Ablagerungsprozesse im Gehirn. Oder der Zuckerstoffwechsel im Gehirn wird verbessert – auch das könnte einen positiven Effekt haben.
Allerdings fehlen noch immer große Studien, die wirklich einen kausalen Zusammenhang zwischen bestimmten Diabetes-Medikamenten und einem – natürlich nicht vollständigen, aber immerhin sicheren – Schutz vor Alzheimer belegen.
Gürtelrose-Impfung zur Vorbeugung von Alzheimer?
Eine Studie im Fachblatt Nature Medicine untersuchte bei mehr als 100.000 Menschen die Wirkung von Shingrix, dem neuen Impfstoff gegen Gürtelrose, auf den Ausbruch von Alzheimer. Alle Probanden wurden vier bis sechs Jahre lang beobachtet. Bei einigen Geimpften wurde Alzheimer diagnostiziert, im Schnitt jedoch rund sechs Monate später als bei Ungeimpften. Bei Frauen war der erstaunliche Effekt sogar noch stärker als bei Männern.
Warum das offenbar funktioniert, ist noch unklar. Eine Theorie ist, dass die Impfung das Herpes-Zoster-Virus unterdrückt, das vermutlich bei der Entstehung von Alzheimer eine Rolle spielt. Weitere Studien müssen nun zeigen, ob sich die Ergebnisse bestätigen – und ob man sich schon früher gegen Gürtelrose impfen lassen sollte, um vom Schutzeffekt zu profitieren.
Strategien zur Vorbeugung von Alzheimer
Im Juli hatte eine Kommission des Fachmagazins Lancet Psychiatry 14 Risikofaktoren für Alzheimer zusammengestellt und die kühne These aufgestellt, rund 45 Prozent aller Fälle könnten verhindert werden. Experten halten diese Zahl für viel zu hoch.
Einigkeit besteht jedoch darüber, dass wir zumindest einen Teil der Kontrolle darüber haben, ob und wann Alzheimer ausbricht. Rauchen, Übergewicht und Diabetes erhöhen das Risiko ebenso wie Bluthochdruck und Bewegungsmangel.
Neu auf der Risikoliste sind erhöhte LDL-Cholesterinwerte und Sehkraftverlust. Schlechtes Sehen scheint, wie schlechtes Hören, den Ausbruch von Alzheimer zu beschleunigen. Dies kann indirekt passieren, weil die Interaktion mit anderen Menschen erschwert wird und das Gehirn weniger Input erhält.
Ulrike Till, SWR, tagesschau, 21.09.2024 09:20 Uhr