Zuletzt mussten 600 Leiharbeiter das VW-Werk in Baunatal verlassen. Dann begann Autovision, nach neuen Leuten zu suchen.
Kassel/Baunatal – Bei VW hat sich seit dem letzten Winter viel verändert. Auch im Kasseler Werk in Baunatal. Nach den äußerst harten Tarifverhandlungen Ende 2024 weht ein rauer Wind durch das zweitgrößte deutsche Volkswagen-Werk mit 15.000 Mitarbeitern. Der vom Vorstand angekündigte Stellenabbau – 35.000 Arbeitsplätze in allen deutschen Werken bis 2030 – ist allgegenwärtig. In Baunatal führen wir derzeit bereits Aushilfsarbeiten durch. 500 Leiharbeiter mussten Anfang des Jahres gehen, weitere 600 nun im Sommer.
Die 600 hatten – basierend auf der bisherigen Praxis – auf eine Übernahme in die Stammbelegschaft gehofft. Doch im Juli und August endeten die Verträge der Frauen und Männer, die in der Getriebefertigung und der Abgasanlagenfertigung beschäftigt waren. Nach Angaben des örtlichen Betriebsrats wollte der VW-Vorstand in Wolfsburg keine weitere Beschäftigung. Die Arbeitnehmervertreter hingegen schon. Immerhin konnten laut stellvertretendem Betriebsratschef Christian Wetekam 100 Betroffene mit befristeten Verträgen im Originalteilecenter (OTC) und in der Produktion übernommen werden.
Neue Stellenausschreibung bei VW nach Entlassungen
Mehrere ehemalige Leiharbeiter äußerten in einem Interview mit unserer Redaktion ihre Verärgerung über das Vorgehen von Volkswagen. Für besonderen Frust sorgte eine Ausschreibung des VW-eigenen Zeitarbeitsunternehmens Autovision nach ausbleibenden Übernahmeangeboten, in der für den Standort Baunatal festangestellte Ferienhelfer mit einer Vertragslaufzeit von 10 Wochen gesucht wurden. Gewerkschafter sprechen vom sogenannten Drehtüreffekt. Nach dem Motto: Vorne werden Leute entlassen und hinten neue eingestellt.
Im Rahmen unserer Recherche haben wir auch die Werksleitung in Baunatal zu dieser Stellenausschreibung befragt, beispielsweise ob plötzlich wieder Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften bestehe. Ein Sprecher gab kurz darauf bekannt, dass die Anzeige von Autovision kurzfristig entfernt worden sei. Zum Thema Nachfrage sagt er lediglich: „Die Verträge der Leiharbeiter sind planmäßig im Sommer 2025 ausgelaufen. Bedarfsspitzen können intern gedeckt werden.“
Nach Angaben des Betriebsrats gibt es in der Fabrik genügend Arbeit
Ein anderer Leiharbeiter berichtet, dass es in der Fabrik im ersten Halbjahr täglich eine Diskussion gegeben habe, die Produktion von Abgasanlagen nach Spanien auszulagern. „Wir haben die Aufträge erledigt, dann hieß es: Leiharbeiter ciao“, sagt der Kasseler, der ebenfalls im Abgasanlagenbau beschäftigt war und am 31. Juli gehen musste. „Es ist ihnen nicht möglich, neue Leute zu suchen, die keine Erfahrung haben“, sagt ein dritter ehemaliger Mitarbeiter, der in der Produktion des Direktschaltgetriebes DQ 381 tätig war.
Besonders absurd für die Betroffenen und den Betriebsrat ist, dass es in der Fabrik genug Arbeit gibt. „Wir machen derzeit 15 Schichten“, sagt einer der ehemaligen Leiharbeiter. „Und jetzt wollen sie auf 17 gehen, damit sie die geforderten Mengen tatsächlich erreichen. Das ist die klassische Leistungskomprimierung.“
Der Betriebsrat wusste von der Stellenausschreibung
Als Problem des Werks sieht der Betriebsrat die Tatsache, dass die Mehrarbeit auf längere Sicht nicht von der Stammbelegschaft bewältigt werden kann. „Wir haben daher vom Vorstand gefordert, dass ein Teil der Leiharbeiter weiterbeschäftigt wird“, sagt stellvertretender Betriebsratschef Christian Wetekam. „Der Vorstand hat das nicht so gesehen.“
Wetekam betont weiter, dass der Betriebsrat nicht nachvollziehen konnte, wie die Arbeit im Werk mit so viel weniger Mitarbeitern bewältigt werden könne. „Wir haben gefordert: mehr drin lassen.“ Und musste der Betriebsrat der Stellenausschreibung von Autovision zustimmen? „Wir wussten davon, aber wir können es dem Unternehmen nicht verbieten.“ Laut Wetekam wurde jedoch kein grünes Licht für die endgültige Einstellung von Ferienarbeitern gegeben.
Der Betriebsrat will sich nun vor allem auf die Zukunft der Mitarbeiter mit befristeten Verträgen konzentrieren, die zum Jahresende auslaufen. „Sie arbeiten seit sechs Jahren für uns“, sagt Wetekam und betont: „Insgesamt haben wir Probleme mit Personalmangel.“ Zusätzliche Aufträge zum Bau von Hybridgetrieben würden die Situation derzeit noch verschärfen. (Sven Kühling)