In Österreich steigen die liberalen Neos aus den Koalitionsverhandlungen mit der christlich-demokratischen ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ aus. Das teilte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger am Freitagvormittag in Wien mit. Sie habe zuvor die beiden anderen Parteivorsitzenden, den amtierenden Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Andreas Babler (SPÖ) sowie Bundespräsident Alexander Van der Bellen über diesen Schritt informiert. Sie begründete ihn damit, dass man sich in den rund zwei Monate dauernden Verhandlungen nicht auf die notwendigen „mutigen Schritte“ habe verständigen können. Zudem habe es in den vergangenen Tagen „Rückschritte“ gegeben.
Damit ist die angestrebte „Zuckerlkoalition“ der drei Parteien gescheitert. Welche Folgen das für die Regierungsbildung hat, ist noch nicht absehbar. Die Nationalratswahl Ende September hat die rechte FPÖ unter dem früheren Innenminister Herbert Kickl mit rund 30 Prozent gewonnen. Weil aber keine andere Partei mit dem Wahlsieger koalieren möchte, hat Van der Bellen Nehammer mit der Regierungsbildung beauftragt.
An der Wirtschaftspolitik gescheitert
Van der Bellen sprach sich dabei für eine Regierung aus, die sich auf eine „stabile“ Mehrheit stützen könne. Das legte die Variante der Dreierkoalition nahe. Allerdings hätten rechnerisch auch ÖVP und SPÖ zu zweit eine Mehrheit im Parlament, wenn auch nur um eine Stimme. Alternativ könnte auch versucht werden, die Grünen in die Koalitionsverhandlungen zu nehmen, um die parlamentarische Basis zu verbreitern. Die Grünen regieren seit 2019 mit der ÖVP, doch haben sich die bisherigen Partner zuletzt tief zerstritten. Ansonsten blieben nur Mehrheiten der ÖVP oder der SPÖ zusammen mit der FPÖ, eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten – oder Neuwahlen.
Meinl-Reisinger nannte in erster Linie wirtschaftspolitische Themen als Gründe dafür, dass keine Einigung erzielt werden konnte. Insbesondere sei eine Rentenreform notwendig angesichts der demographischen Entwicklung. Das Antrittsalter für Pensionen müsse deutlich erhöht werden. „Man muss über den nächsten Wahltag hinausschauen“, sagt Meinl-Reisinger.
Die erste Reaktion aus der ÖVP deutet nicht darauf hin, dass sie nun versuchen will, alleine mit den Sozialdemokraten eine Regierung zu bilden. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker maß nicht den Neos, sondern der SPÖ die Verantwortung für die gescheiterten Dreier-Verhandlungen zu. „Das Verhalten von Teilen der SPÖ hat zur aktuellen Situation geführt. Während sich Teile der Sozialdemokratie konstruktiv eingebracht haben, haben in den letzten Tagen die rückwärtsgewandten Kräfte in der SPÖ überhandgenommen, und damit erreicht, dass sich die Neos aus den Verhandlungen zurückgezogen haben“, schrieb Stocker in einer Mitteilung, die nach der kurzfristig anberaumten Neos-Pressekonferenz verbreitet wurde.