Stand: 29. Oktober 2025 10:30 Uhr
Die 20-jährige Pflegefachfrau Emily Fieblinger arbeitet im Stralsunder Pflegehotel. Während andere schlafen, kümmert sie sich alleine um 18 Menschen – mit Geduld, Humor und einem offenen Ohr.
Der blonde Zopf von Emily Fieblinger (20) hüpft auf ihrem brombeerfarbenen Mantelkragen, als sie durch den Flur des Stralsunder Pflegehotels eilt. Eine Pillendose in der Hand, ein Lächeln auf den Lippen. Es ist 18:30 Uhr und die Nachtschicht hat gerade begonnen.
Sie klopft an eine Tür und tritt ein. Auf dem Bett sitzt eine 87-jährige Frau, die nach einem Sturz vorübergehend hier lebt. „Ich möchte mir deine Wunden ansehen. Kannst du dein Bein befreien?“ sagt Emily. Vorsichtig schiebt die Seniorin ihre Pyjamahose hoch. Die junge Krankenschwester ersetzt ein Pflaster und setzt anschließend einen Fersenschutz auf. „Ich bringe später ein Kissen mit, damit du deine Füße hochlegen kannst.“

Krankenschwester Emily Fieblinger ist in der Nachtschicht für 18 Patienten zuständig.
Im Flur trifft Emily auf einen verwirrten Bewohner. „Alles in Ordnung? Möchtest du dich nicht kurz hinlegen? Hier ist nichts mehr los.“ – „Mit mir ist nichts mehr los“, antwortet die Frau. Emily lacht und geht weiter.
Verantwortlich für 18 Pflegegäste
Vor vier Monaten hat sie ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin abgeschlossen. Jetzt trägt sie die Verantwortung – allein in der Nacht, für 18 Gäste. Sie bleiben nur für kurze Zeit: nach Operationen, Stürzen oder wenn Angehörige eine Pause brauchen. Das Pflegehotel ist einzigartig in der Region. Unter einem Dach gibt es 18 Plätze für Kurzzeit- und Verhinderungspflege.
Gerade ältere Menschen verlieren oft die Hoffnung. Wenn ich ihnen ein wenig Mut machen kann, ist das die größte Belohnung.
Emily Fieblinger (20)
Die Einrichtung ist eine der Wohlfahrtseinrichtungen, ein kommunales Pflegezentrum in der Hansestadt Stralsund (Kreis Vorpommern-Rügen). Acht Häuser, 500 Bewohner, 360 Pflegekräfte. Doch die Branche steht unter Druck: Laut Statistischem Bundesamt wird die Zahl der über 80-Jährigen bis 2030 um rund 40 Prozent steigen. Schon jetzt fehlen bundesweit 50.000 Pflegekräfte.
Hilferuf aus dem Nebenzimmer

Pause auf dem Balkon.
„Ich liebe diesen Job – trotz allem.“ Gegen 20 Uhr klopft Emily an die nächste Tür. „Hallo Herr Möller, ich bin Schwester Emily. Ich würde gerne einen Blick auf Ihre Haut werfen.“ Der 74-Jährige, nach zwei Schlaganfällen im Rollstuhl, nickt freundlich. Sein Partner ist im Urlaub – er bleibt zwei Wochen hier. Emily untersucht Beine, Arme und Rücken. „Man muss vorsichtig sein, jede Druckstelle kann gefährlich sein“, sagt sie.
Dann ein Schrei aus dem Nebenzimmer: „Hilfe! Hilfe!“ Emily rennt weg. Ein verwirrter Bewohner hat Angst. „Du solltest die Klingel benutzen“, erklärt sie ruhig. Viele Gäste leiden an Demenz, manche reagieren mit Misstrauen oder Aggression. „Man kann es nicht persönlich nehmen“, sagt Emily. „Ich weiß, dass sie es nicht böse meinen.“
Ab 22 Uhr sind alle versorgt. Nun beginnt die Dokumentation; Jede Pflegehandlung muss protokolliert werden. Stunden später macht Emily eine Pause. Mit einer Tasse Energydrink in der Hand steht sie auf dem Balkon und blickt in die stille Nacht. „Schichtarbeit ist hart“, sagt sie, „aber ich liebe diesen Job. Gerade ältere Menschen verlieren oft die Hoffnung. Wenn ich ihnen ein bisschen Mut machen kann, ist das die schönste Belohnung.“
Kurz vor Mitternacht sucht sie nach einer Frau, die Angst vor der Dunkelheit hat. Emily lässt das Badezimmerlicht an. „Danke, mein Kind“, sagt die Frau leise. Emily sagt gute Nacht und geht zurück zum Computer. Noch zwei Stunden Dokumentation. Gegen 7 Uhr morgens wird sie müde nach Hause fahren – während draußen die Sonne aufgeht.

