Nach den Angriffen auf Politiker und Ehrenamtliche, die Wahlplakate aufgehängt hatten, fordern die Innenminister der Länder eine Verschärfung des Strafrechts. Unter anderem könnte das Stalking von Beamten und gewählten Amtsträgern eine Straftat werden.
Beleidigungen oder körperliche Angriffe auf Politiker, Kandidaten oder Freiwillige, die Wahlkämpfe unterstützen, nehmen in Deutschland zu. Am Dienstagnachmittag wurde Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) von einem Termin in einer Bibliothek erschüttert: Ohne Vorwarnung schlug ihr ein Mann mit einer Tüte auf den Kopf und verletzte sie leicht. Der mutmaßliche Täter sei inzwischen identifiziert, sagte eine Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft am Mittwoch.
Am Freitag vergangener Woche wurde der SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden von vier jungen Männern zusammengeschlagen und schwer verletzt. Das Landeskriminalamt Sachsen ordnet mindestens einen mutmaßlichen Täter dem rechtsradikalen Spektrum zu. Am Dienstagabend folgte in Dresden der nächste Angriff: Ein 47-jähriger Grünen-Politiker wurde beim Aufhängen von Wahlplakaten von zwei Personen angegriffen.
Innenminister fordern Prüfung: Reicht das Strafrecht aus?
Insbesondere die Innenminister der Länder nahmen den Angriff auf Ecke zum Anlass, auf einer Sondersitzung am Dienstag über schärfere Maßnahmen zu beraten. Das Ergebnis ist ein Beschluss, in dem die Justizministerkollegen aufgefordert werden, „im Interesse einer verteidigungsfähigen Demokratie“ zu prüfen, „ob die bestehenden Straftatbestände im 17. und 18. Abschnitt des Strafgesetzbuches (StGB) das konkrete Unrecht erfassen, das im Strafgesetzbuch (StGB) vorkommt.“ Der demokratiegefährdende Umstand solcher Angriffe sei erkennbar, „bilde ihn bereits heute hinreichend ab“. Mit anderen Worten: Reichen bestehende Straftaten wie Körperverletzungsdelikte oder Nötigung und Drohung aus, um potenzielle Täter abzuschrecken bzw. die Angriffe angemessen zu ahnden?
Die Antwort des Innenministers darauf ist eigentlich schon klar, sie lautet: Nein: Das geltende Strafrecht erfasst nicht die gezielte Einschüchterung von Amtsträgern und Mandatsträgern als solche, sondern schützt überwiegend die individuellen Rechtsgüter der Opfer, die häufig, aber durch keineswegs immer von solchen Angriffen betroffen. erklärte ein Sprecher des CDU-geführten Innenministeriums in Brandenburg, das derzeit den Vorsitz der Innenministerkonferenz (IMK) innehat.
Straftaten wie Beleidigung (§ 185 StGB), üble Nachrede (§ 187 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder Drohung (§ 241 StGB) und Nötigung (§ 240 StGB) zielen nicht gezielt auf die Einschüchterung von Amtsträgern und Mandatsträgern ab. Würde die Strafverfolgung nur auf der Grundlage dieser Straftaten erfolgen, so Brandenburg, würde die gesamtgesellschaftliche Dimension der Auswirkungen solcher Straftaten nicht ausreichend berücksichtigt. Letztlich hätten die Taten nicht nur schwerwiegende Folgen für die Betroffenen, sondern könnten auch die Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaates gefährden.
Kriminelle Körperverletzung auch ohne Kontakt
Auch der Katalog der Körperverletzungsdelikte reiche nach Ansicht des Innenministers nicht aus: „Die Tatbestände des 17. Abschnitts dienen lediglich dem Schutz des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit und spiegeln das diesbezügliche Unrecht wider.“ Entsprechende Angriffe etwa auf Ein im Rahmen dieser Tätigkeit bzw. Gruppenzugehörigkeit stattfindendes Amts- und Mandatsträgerdasein als Mitglied einer Partei oder auf einer bestimmten Ebene schadet jedoch gleichzeitig dem Vertrauen in die Demokratie und der Bereitschaft sowohl des potenziellen Opfers als auch Dritter, demokratische Prozesse fortzusetzen oder sich aktiv daran zu beteiligen in Zukunft“, erklärt das brandenburgische Innenministerium.
Die Innenminister schlagen daher die Schaffung eines neuen Straftatbestands vor, der den Aspekt der Einschüchterung genauer berücksichtigt. Ein Vorschlag zielt auf eine Neuregelung nach dem Vorbild des aktuellen § 102 StGB. § 102 StGB stellt Angriffe auf Organe und Vertreter ausländischer Staaten unter Strafe, ohne dass der konkrete Vertreter tatsächlich verletzt werden muss. Vielmehr reicht die gezielte Bedrohung durch den Angriff selbst aus.
„Ein Vorbild nach dem Vorbild des § 102 StGB, beispielsweise als ‚§ 106b StGB‘, wäre als unechte Wirtschaftskriminalität geeignet, diesen Umstand abzubilden, so dass die Taterfüllung daher einer Tat bzw. Tat bedarf.“ Zumindest ein körperlicher Kontakt mit einem Mitglied einer politischen Partei oder einem gewählten Amtsträger oder einer politisch aktiven Person muss nicht stattgefunden haben“, erklärt der Sprecher des Innenministeriums in Potsdam. Um diese Menschen zu schützen, wird ein Sanktionsrahmen geschaffen, der bislang nur bei vollständiger, einfacher Körperverletzung zur Anwendung kommt.
Politikerstalking als neue Straftat?
In Sachsen liegt bereits eine konkrete Gesetzesinitiative auf dem Tisch. Der „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Strafschutzes von Amtsträgern und Mandatsträgern“ liegt vor LTO Vor. Seit Dienstag wird er auch vom Bundesjustizministerium untersucht.
Der Vorschlag zielt grundsätzlich auf einen erweiterten Strafschutz für Amtsträger und gewählte Amtsträger ab. Die bisher eng gefassten § 105 StGB (Zwangsgewalt gegen Verfassungsorgane) und § 106 StGB (Zwangshandlung des Bundespräsidenten und der Mitglieder eines Verfassungsorgans) sollen auf die europäische und örtliche Ebene ausgeweitet werden, „um die Ämter und Mandate sicherzustellen.“ „Die für den Rechtsstaat unerlässliche „Angriffe auf die eigene Person“ ohne Furcht auszuüben“, heißt es im Entwurf.
Wirklich neu ist jedoch ein weiterer Aspekt, der im sächsischen Entwurf zu finden ist: Politiker-Stalking soll unter Strafe gestellt werden. Sie schlägt einen neuen § 106a StGB vor, der die Beeinflussung von Amts- und Mandatsträgern unter Strafe stellt, in schweren Fällen sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Unter die Regelung fällt jede Form des Stalkings zum Zweck der politischen Einschüchterung, wie z. B. der Besuch der Privatwohnung des Betroffenen oder seiner Angehörigen. „Auch subtilere Einflüsse sollten einbezogen werden, auch unterhalb von gezieltem Zwang.“ Dazu sollen insbesondere Kommunalpolitiker gehören, die in ihren Gemeinden bisher häufig weitgehend schutzlos vor solchen Einschüchterungsversuchen standen“, heißt es in der Begründung.
Strafverteidiger: „Eine echte Innovation“
Der Augsburger Strafverteidiger Prof. Dr. Michael Kubiciel begrüßt diesen Vorschlag LTO ausdrücklich: „Hier handelt es sich um eine echte gesetzgeberische Neuerung, mit der der Gesetzgeber auf tatsächlich bestehende Probleme reagiert – nicht zuletzt in Sachsen, aber auch in anderen Ländern und auf Bundesebene.“
Unterdessen hält Kubiciel die Rechtslage im Hinblick auf Taten, bei denen es zu tätlichen Angriffen gekommen ist – wie jüngst im Fall Giffey – für ausreichend. „Die Schaffung eines neuen Grundtatbestands oder einer Qualifikation ist nicht erforderlich, da das betreffende Verhalten bereits strafbar ist“, sagte Kubiciel. Der Strafrahmen der §§ 223 ff. Auch der Straftatbestand des Strafgesetzbuches ging so weit, dass dem demokratiefeindlichen Beweggrund Rechnung getragen werden konnte, um die Strafe nach § 46 StGB zu verschärfen.
Ähnlich sieht es der Trierer Strafverteidiger Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi: „Auf den ersten Blick kann ich keine wirklichen Lücken im Strafgesetzbuch erkennen.“ Die durch die Medien bekannt gewordenen Tatsachen sind bereits nach der aktuellen Rechtslage strafbar. Eine angemessene Reaktion auf den Angriff auf den Europaabgeordneten Matthias Ecke könnte laut El-Ghazi die Straftat der schweren Körperverletzung und eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren sein:
BMJ: „Keine offensichtliche Schutzlücke festgestellt“
Offensichtliche Schutzlücken im Strafgesetzbuch gibt es im Bundesjustizministerium (BMJ) derzeit nicht, wie eine Sprecherin gegenüber LTO bestätigte. Dennoch werden die Vorschläge aus Sachsen wohlwollend geprüft.
In der größten Regierungsfraktion im Bundestag besteht jedoch eher gesetzgeberischer Handlungsbedarf: Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, unterstützt ausdrücklich die Vorschläge der Landesinnenminister. „Zentral geht es darum, unsere Demokratie und den Wahlprozess als solchen zu schützen. Diese müssen ungehindert durchgeführt werden können – auch die Werbung für Sendungen und Personen. Aus diesem Grund müssen Angriffe auf Politiker und Kandidaten besonders verfolgt und geahndet werden.“ Der Katalog der Straftaten, die im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen begangen werden, solle erweitert werden, damit gezielte Angriffe auf diesen Personenkreis und seine Einrichtungen noch härter geahndet werden könnten, erklärte Hartmann am Mittwoch.
Union warnt vor Sonderstrafrecht für verletzte Politiker
Allerdings äußerte die Unionsfraktion im Bundestag ihr Verhalten zu diesen Plänen.
Ihr rechtspolitischer Sprecher Günter Krings (CDU) warnte vor einem Sonderstrafrecht zum Schutz von Politikern: „Ein Sonderstrafrecht für verletzte Politiker mit einem generell erhöhten Strafrahmen dürfte ein falsches Signal senden. Denn für Politiker gilt Körperverletzung ebenso.“ schlimm, wenn zum Beispiel irgendein anderer Mensch verletzt wird.“ Laut Krings wäre es auch fatal, wenn die Politik den Eindruck erwecken würde, sie verschärfe die Strafgesetze nur dann, wenn es um ihren eigenen Schutz gehe.
Laut Krings sind die aktuellen Angriffe gegen Politiker Ausdruck der zunehmenden Verrohung unserer Gesellschaft. „Unser Strafrecht kennt jedoch grundsätzlich die richtigen Tatbestände für solche Taten – etwa Körperverletzung und Drohung.“
Allenfalls, so Krings, könne der Schutz demokratischer Wahlen Anlass sein, über konkrete Gesetzesänderungen nachzudenken. „Wenn diejenigen, die sich im Wahlkampf an der Wahlvorbereitung beteiligen, angegriffen werden, könnte das ein Argument für eine Verschärfung der Strafe bei Körperverletzungsdelikten sein.“
Zitiervorschlag
Angriffe auf Politiker und Wahlhelfer: Diese erhöhten Strafen werden diskutiert. In: Legal Tribune Online, 8. Mai 2024, https://www.lto.de/persistent/a_id/54515/ (abgerufen am: 9. Mai 2024)
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