Musiktheater über soziale Schichten: Wir sind alle Mittelklasse!

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„Die große Klassenrevue“ von Christiane Rösinger feiert Premiere im HAU1 in Berlin. Mit Brecht-Habitus und einem Hauch von Sesamstraßenliedern.
Revolution gegen die eigene Klasse? Schwierig Foto: Christoph Voy
Diese arme, überlegene Tochter! „Ich wäre so gerne wie du: Arbeiterklasse!“ Sie singt – aber die Tropfen sind definitiv gelutscht: einmal aus gutem Hause, immer aus gutem Hause.
Um soziale Schichten geht es in Christiane Rösingers „Große-Klassen-Revue“, die am Mittwoch im HAU 1 Premiere feierte. Und das meist in Reimform und zu Live-Musik: Auf der Bühne steht eine Gruppe von Menschen, die aus der Arbeiterklasse in Ost und West, aus Migrantenfamilien oder einem bäuerlichen Umfeld (Rösinger selbst) stammen.
Zunächst beantworten sie bei einer „Kundgebung“ Fragen zu ihrer Herkunft, um herauszufinden, wer eigentlich das Recht hat, sich zur Arbeiterklasse zu zählen: „Haben Sie sich schon einmal neue Klamotten besorgt?“, „Haben Sie ein Musikinstrument gelernt?“ „Geben Sie Bücher?“, „Waren Sie mit Ihren Eltern im Urlaub?“ lautet die Antwort – und macht deutlich, wie unterschiedlich soziale Ungerechtigkeiten wahrgenommen werden: „Ich sollte immer neue Kleidung tragen, um meine Herkunft zu verschleiern.“ antwortet Minh Duc Pham und muss deswegen trotzdem eine Runde verpassen. Am Ende sind noch sechs Darsteller übrig, aber so einfach ist das nicht: Die Gruppe reimt sich „Ich kann meine Klasse nicht finden – wir sind alle Mittelklasse.“ !” Oder sind sie „Bohemiens“?
Rösinger und ihre Darsteller besingen die „Verachtung von unten“, mit der Menschen, die als „arm“ gelten, auf „reiche Leute“ blicken und postulieren: „Ich werde dir nicht vergeben.“ Brecht-Zitate und -Gewohnheiten ziehen sich durch die gesamte Show, zwischendurch erinnert die Revue mal an das Grips Theater, mal an die überaus lustigen Erklärlieder der Sesamstraße – allesamt passende und tolle Referenzen.
Befreien Sie sich von Manieren, um sich anzupassen
Die „größere Tochter“ (Julie Miess) hingegen hat es schwer: Damit sie endlich zu der – ihrer Meinung nach – viel spannenderen Gruppe prekärer Menschen gehören kann, versucht man, ihr die Gewohnheit abzugewöhnen Höflichkeit und Manieren zu sprechen. Zur Melodie „Es ist so grün, wenn Spaniens Blumen blühen“ bringen sie ihr „S’isch wie’s isch“ bei, eine lustige Umkehrung des „My Fair Lady“-Themas in Rösingers badischem Heimatdialekt, und freuen sich, als die ältere Tochter endlich spricht : „Mein Gott, jetzt hat sie es!“
Auch eine „Neiddebatte“ (Stefanie Sargnagel) in Säuregrün kann das Problem nicht lösen. Die Lieder, deren Melodien bekannte Lieder zitieren, umrahmen die – nicht neue, aber wahre – Erkenntnis, dass weder wirklicher „Aufstieg“ (durch Bildung) noch „Abstieg“ (durch Interesse) möglich ist: Obwohl Definition und Distanz verschwimmen, warten die Reiche landen immer irgendwo mit einem Nachkriegserbe.
Die Schärfe und Bitterkeit Brechts oder das Eintauchen in andere Stücke zum Thema, etwa „Oratorio“, in das die Performance-Truppe „She She Pop“ seit 2017 regelmäßig Zuschauer einbezieht, und der (Un-)Rechtsstreit in einem (manchmal unangenehm) Weg. Persönlich und nachhaltig kann und will die unterhaltsame Revue nicht: Rösingers Waffen sind Humor, Lakonizität und Verse. Dies schützt nicht nur die Darsteller vor jeglicher Art von Viktimisierung, sondern macht die Diskussion auch für alle Teilnehmer der Klasse zugänglich.
Dass andere „Ismen“ jedoch kaum auftauchen, nur ganz kurz in Form von Rassismus in Minh Duc Phams „Wenn du ein Junge aus dem Erzgebirge bist und deine Eltern aus Vietnam kommen“ oder einem Artikel von Sila Davulcu, liegt daran zum Diskurs über Intersektionalität Schade: Sollte man in einer konzentrierten „Klassenschau“ und der Beschäftigung mit Gerechtigkeit nicht zumindest erwähnen, dass manche Menschen in mehrfacher Hinsicht diskriminiert werden – etwa durch Rassismus, aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Erfahrungen mit häusliche Gewalt?
Dennoch: Die Art und Weise, wie die „Klassenrevue“ in guter alter Agitpop-Tradition den „Redistribution“-Song am Ende zu „Eternal Flame“ von den Armreifen singt und tanzt, hat Schlagerqualitäten. Was hat der oft zitierte Brecht noch einmal gesagt? „Wer etwas Schwieriges überwinden will, muss es sich leicht machen.“
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