Eine Übersetzer-App steht im Mittelpunkt eines Mordprozesses in Gießen. Es liefert entscheidende Hinweise im Fall einer zerstückelten Frau aus Lauterbach. Tausende Akten wurden ausgewertet. Es ist ein Todesfall, dokumentiert in der Google Cloud.
Wie belastend ein Google-Suchverlauf oder eine Sprachnachricht sein kann, ist vor deutschen Gerichten gut dokumentiert. Immer wieder geben Verdächtige ihr Wissen über die Täter online preis, beispielsweise durch Recherchen nach tödlichen Dosen, Leichenorten oder vermissten Personen – oft lange bevor diese öffentlich bekannt werden.
Allerdings gewährt eine Übersetzer-App auf dem Smartphone tiefe Einblicke in private Gespräche und als Beweismittel vor Gericht Aufschläge sind bislang neu in Hessen.
Körper zerstückelt und im Fass versteckt
Ein 58-jähriger Frührentner aus Lauterbach (Vogelsberg) und seine 44-jährige Lebensgefährtin werden derzeit vor dem Landgericht Gießen angeklagt.
Die Einzelheiten des Falles sind schockierend: Das mutmaßliche Opfer war geistig behindert, die Leiche des 55-Jährigen wurde zerstückelt und monatelang in einem Fass im Keller versteckt. Das von Gewalt, Demütigung und Ausbeutung geprägte Verhalten im Haus wurde auch mehrfach vor Gericht thematisiert.
22.000 Spracheingaben ausgewertet
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Paar vor, den Mieter durch Unterlassung getötet zu haben – um frühere Misshandlungen zu vertuschen. Konkret sollen ihr mehr als 70 Tabletten Psychopharmaka verabreicht worden sein. Während einer dreitägigen Qual soll keine Hilfe gebracht worden sein.
Die beiden Angeklagten (mit ihren Anwälten) verbergen ihre Gesichter hinter Ordnern.
Bild © Rebekka Dieckmann (hr)                                                                            
Das Besondere: Zentrale Belege stammen aus Google Translate. Die App wurde im Haus ausgiebig genutzt, um mit einem inzwischen verstorbenen rumänischen Mitbewohner zu kommunizieren.
Die Ermittler konnten nicht nur die übersetzten Inhalte einsehen, sondern auch rund 22.000 originalsprachliche Einträge, die Google offenbar monatelang in der Cloud gespeichert hatte. Insgesamt wurden 23 Gigabyte Daten analysiert. Diese Woche wurden erstmals Audioausschnitte im Gerichtssaal abgespielt.
Audioaufnahmen zeigen aggressiven Umgang
Die Aufnahmen dokumentieren einen äußerst aggressiven Umgangston im Haus. Sie offenbaren auch, dass der Angeklagte darüber gesprochen habe, der Frau Medikamente zu geben, um sie zu beruhigen.
Die Leiche wurde im Sommer 2024 in Lauterbach gefunden
Bild © Fuldamedia                                                                            
Wie die Aufnahmen zeigen, verschlechterte sich der Zustand der Frau innerhalb von drei Tagen – ein Umstand, der von den anderen Bewohnern bemerkt und besprochen wurde. Der Angeklagte äußerte sich dazu unter anderem damit, dass die Frau „den Verrückten spielte“. Sie will nicht aufstehen und versucht nicht, „eine normale Frau zu sein“.
Der Angeklagte untersuchte die Wirkung
„Sie spielt einfach nur diesen Mist“, ist auf den Aufnahmen der Angeklagte zu hören. „Lass sie ruhen und dann werden wir später sehen – vielleicht kommt sie zu sich.“
Aus den Aufnahmen geht außerdem hervor, dass der Angeklagte die Frau mehrfach überprüfte. Sie googelte auch nach der Wirkdauer der verabreichten Medikamente. „Normalerweise geht es einem nach acht Stunden wieder gut“, sagte sie.
„Lasst uns sie zurücklassen“
In ihrer ersten Vernehmung gab die Angeklagte an, dass sie ihr Mobiltelefon kaum genutzt habe. Es war hauptsächlich ihr Partner, der es mit ihr zu tun hatte. Er hat es bereits zugegeben den Körper zerschnitten und versteckt haben. Beide bestreiten den Mord.
Der Angeklagte ist auf den Aufnahmen deutlich weniger präsent. Er bemerkte, dass das Opfer schließlich auf dem kalten Boden lag und sagte: „Lassen wir sie dort liegen.“ Im Hintergrund hört man einen Fernseher laufen.
Einer Autopsie zufolge starb die Frau unter anderem an den Folgen von Unterkühlung und Vergiftung.
Staatsanwälte forderten Datenzugriff von Google
Für die Staatsanwaltschaft Gießen ist dies der erste Fall, bei dem Beweise aus einer Übersetzungs-App eine zentrale Rolle spielen.
Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger erklärte, die Daten seien von der Google-Europazentrale in Irland angefordert worden. „Wir waren tatsächlich überrascht, dass wir die Akten bekamen.“
Toxikologie-Experte sagt aus
Am Donnerstag ging es vor Gericht um die Frage, wie schnell und wie es zum Tod der Frau kam. Die Verteidigung stellte in Frage, ob die Medikamente möglicherweise über einen längeren Zeitraum verabreicht worden seien. Das könnte die Tötungsabsicht relativieren.
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00:40 Min||Rebecca Dieckmann
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Das wurde noch einmal gesagt der toxikologische Sachverständige von. Eine konkrete Anzahl der Tabletten nannte er nicht. Er bestätigte jedoch, dass die bei der Obduktion festgestellte Dosis „im Grammbereich“ liege, worauf die Staatsanwaltschaft ihre Hochrechnung stützt.
Der Experte erklärte, dass es möglich sei, dass die Medikamente entweder alle auf einmal oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten verabreicht wurden – allerdings nur über einige Stunden, nicht über Tage.
Der Prozess geht weiter. Mit einem Urteil wird Anfang nächsten Jahres gerechnet.
Übertragen:
hr3, die Hessenschau für Mittelhessen,
Quelle: hessenschau.de
