Am Wochenende wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht. Auf dem Bundeskongress des parteinahen Jugendverbandes „Linksjugend“ wurden Mitglieder, die in der Vergangenheit nicht radikal genug gegen den Staat Israel Stellung bezogen hatten, offen angefeindet und sogar bedroht. Mehrere Delegierte reisten vorzeitig ab, nachdem Genossen angekündigt hatten, sie nachts in ihren Hotelzimmern zu besuchen. Ein Kongressteilnehmer sprach gegenüber dem Tagesspiegel von „psychologischem Terror aus den eigenen Reihen“.
Seit drei Wochen herrscht in Gaza ein Waffenstillstand. Seitdem haben antiisraelische Strömungen innerhalb der Partei einen regelrechten Rachefeldzug gestartet. Um zur Zielscheibe zu werden, reicht es aus, die Zwei-Staaten-Lösung öffentlich unterstützt zu haben.
Aktivisten fordern Säuberungen
In internen Chatgruppen werden regelmäßige Aufräumarbeiten gefordert. Wer sich in den vergangenen zwei Jahren nicht radikal gegen Israel ausgesprochen hat, sollte daher aus der Partei austreten oder alternativ zum Austritt gedrängt werden. Man müsse die Gelegenheit nutzen, um gegen solche „Verräter“ oder „Zionisten“ vorzugehen, heißt es.
Zu den Befürwortern von Säuberungen zählen Mitglieder, die Hamas als Freiheitsbewegung betrachten und das Ende des Staates Israel anstreben. Ihren nächsten Sieg wollen sie am 22. November feiern. Die Bundesschiedskommission wird dann entscheiden, ob der Ausschluss des Anti-Israel-Aktivisten Ramsis Kilani aus der Partei rechtmäßig war. Aus Parteikreisen heißt es, es sei nun völlig unklar, ob die Kommission dem Druck des radikalen Flügels nachgeben und Kilani rehabilitieren werde.
Ramzis Kilani verherrlichte den Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 und behauptete, die Hamas habe „das Recht auf militante Selbstverteidigung mit allen Mitteln“. Er stellte auch die Frage, ob israelische Bürger überhaupt wie Zivilisten behandelt werden sollten, da jeder Israeli irgendwann in seinem Leben Militärdienst geleistet habe.
Sollte Kilani tatsächlich wieder in der Partei arbeiten können, wäre ich langsam an die Grenze meiner Erträglichkeit gelangt.
A Mitglied des Bundestages die linke
Trotz seines Ausschlusses durfte er Ende September auf der von der Partei initiierten Großdemonstration „Gemeinsam für Gaza“ in Berlin sprechen. Demo-Anmelder Jorinde Schulz und Kilani kennen sich schon lange.
Die trotzkistische Splittergruppe „Sozialismus von unten“, zu der Kilani gehört, verbreitete daraufhin einen euphorischen Beitrag, in dem es hieß, es sei ihr gelungen, die Demonstration der Partei zu „untergraben“ und Druck auszuüben.
In der Mitteilung heißt es: „Die Demo ist den Linken völlig entgangen, weil sie die Bewegung offensichtlich nicht kannten.“ Auf der Demonstration konnten daher Personen, die von der Partei in der Vergangenheit als antisemitisch bezeichnet worden waren, „als führende Stimmen zu Wort kommen“.
© dpa/Martin Schutt
In Teilen der Partei macht sich nun die Angst vor einer weiteren Austrittswelle breit. Erst im vergangenen Jahr traten Berliner Abgeordnete um den ehemaligen Oberbürgermeister Klaus Lederer aus der Partei aus, und in Sachsen-Anhalt gab die Landtagsabgeordnete Henriette Quade ihre Parteimitgliedschaft zurück.
Andere entschieden sich zu bleiben. Ein Bundestagsfraktionsabgeordneter sagt: „Wenn Kilani tatsächlich wieder in der Partei arbeiten kann, würde langsam das Niveau dessen erreicht sein, was ich ertragen kann.“
Auf dem Bundeskongress der Jugendorganisation gab es am Wochenende nicht nur Drohungen, sondern auch eine Resolution, die den jüdischen Staat Israel wegen seines „kolonialen und rassistischen Charakters“ verurteilte.
Aus der Mutterpartei gibt es scharfe Kritik: Benjamin-Immanuel Hoff, ehemaliger Chef der Staatskanzlei in Thüringen und Beauftragter der Landesregierung für jüdisches Leben, bezeichnet die Abstimmung als „Entscheidung im Zuge eines israelhassenden Antiimperialismus“. Das einzige Ziel der Entscheidung besteht darin, Israel zu dämonisieren und zu verurteilen.
Martha Chiara Wüthrich wurde zudem in den Sprecherrat des Jugendverbandes gewählt. Gegen sie läuft derzeit ein Parteiausschlussverfahren. Wüthrich hatte im Internet behauptet, dass in Gaza „der Holocaust“ stattgefunden habe.
