Coaching-Talent ist entscheidend
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Die Vorstellung, dass der TuS Meersburg vom Bodensee Vereine wie den FC Bayern im Meisterschaftsrennen ausstechen wird, ist absurd. In der Allsvenskan könnte so etwas am 27. Spieltag der Bevölkerung nach zu urteilen wahr werden. Mjällby AIF aus dem 1.400 Einwohner zählenden Fischerdorf in Südschweden braucht nur einen Sieg – oder einen Patzer von Verfolger Hammarby IF aus Stockholm – für den ersten Titel der Vereinsgeschichte. Bemerkenswert ist der Weg des Vereins von der Beinahe-Pleite im Jahr 2016 bis an die Tabellenspitze, mit dem Stadion direkt neben dem Campingplatz und der Ostsee.
Mjällby, gegründet 1939, spielte zunächst in den 1980er-Jahren, dann von 2010 bis 2014 und ununterbrochen seit 2019 in der höchsten schwedischen Liga. Zuvor war der Verein aus der 3. Liga marschiert, nachdem der Abstieg in die vierte Liga und damit die Insolvenz erst am letzten Spieltag im Jahr 2016 vermieden werden konnte. Und das ohne großen Investor: In Schweden gilt wie in Deutschland die 50+1-Regel gilt. Durch konsequente Unternehmensführung legte der Verein den Grundstein für den Erfolg.
„Wir haben unsere Kosten unter Kontrolle gebracht, erzielen eines der niedrigsten Finanzergebnisse in der Liga, haben aber auch einige der niedrigsten Kosten“, sagte Vereinschef Jacob Lennartsson, der zum Zeitpunkt des Beinahe-Unfalls noch Jugendleiter war, im Juli gegenüber der BBC. Transfermarktdaten-Scout „Joelclae“ lobt Lennartsson und Co. für „intelligente Transfers und gründliches Scouting“. Der 36-Jährige und sein Team haben Mjällby in den letzten Jahren von der roten Grenze von rund 400.000 Euro auf eine jährliche Steigerung von 2,6 Millionen Euro gebracht. Laut „Kicker“ liegt der Umsatz bei 9 Millionen Euro und dürfte durch die erstmalige Teilnahme am Europapokal noch weiter steigen.
Diese Finanzdisziplin spiegelt sich auch auf dem Transfermarkt wider. Im Jahr 2026 wird es nicht nur Einnahmen aus den Qualifikationsrunden zur Champions League geben, sondern auch höhere Transfereinnahmen als je zuvor. Die vier bislang teuersten Verkäufe brachten zwischen einer und 1,65 Millionen Euro ein – außergewöhnliche Summen für Mjällby. Darunter Colin Rösler, Sohn des neuen Bochumer Trainers Uwe Rösler, zum Rekordmeister und Titelverteidiger Malmö FF, der in diesem Jahr mit 19 Punkten Rückstand Siebter ist. Gemessen am Kaderwert liegen Malmö und Mjällby trotz einer satten Steigerung von 46,8 Prozent seit Januar 2025 immer noch knapp 20 Millionen Euro auseinander. Die Profis von Trainer Anders Torstensson kosten insgesamt nur 1,65 Millionen Euro an Ablösesummen – und liegen damit auf dem neunten Platz im Vergleich der Einkaufswerte der Allsvenskan. Rekordverpflichtung seit Juli ist Jeppe Kjær, der für 700.000 Euro von Bodø/Glimt kam.
Aksums Wissenschaft: Mjällbys Schlüssel zum Erfolg
Der Schlüssel zum Erfolg liegt jedoch nicht nur in einer klugen Ökonomie, sondern auch in der Art und Weise, wie Sie spielen. Dies hat sich seit Januar 2024 mit der Verpflichtung von Co-Trainer Karl Marius Aksum dramatisch geändert. Der Norweger wechselte aus der Jugendabteilung von Odds BK in seinem Heimatland nach Mjällby. Unter Torstenssons und Aksum haben die Südschweden nicht nur die beste Verteidigung der Liga, sondern auch die zweitbeste Offensive entwickelt – 47 Tore und 17 Gegentore in 26 Spielen. TM-Datenscout „Joelclae“ nennt Aksum den „Gehirn hinter Mjällbys offensivem Spielstil“ und den Hauptgrund für die vielen Tore. Ähnlich äußerte sich Offensivspieler Elliot Stroud in einem Interview mit der BBC: „Früher dachte Mjällby über lange Bälle und Einwürfe nach. Wir waren defensiv immer stark, aber letzte Saison kam ein neuer Co-Trainer mit großartigen Offensivideen.“
Der Norweger bringt wissenschaftliche Expertise mit. Da er selbst nie Profi war, promovierte der A-Lizenzinhaber nach seinem Masterstudium in Coaching und Psychologie zum Thema „Visuelle Wahrnehmung im Spitzenfußball“. „Niemand hat sich so intensiv mit den Augenbewegungen von Fußballern beschäftigt wie ich. Diese Fähigkeit ist im modernen Fußball von entscheidender Bedeutung, weil sich die Spieler schneller bewegen und der Druck steigt. Man muss seine Umgebung ständig im Auge behalten“, sagte er dem englischen Sender. Dies gilt insbesondere für die Spieler im Mittelfeld, die Informationen aus allen Richtungen aufnehmen müssen.
So spielt Aksum Fußball bei Mjällby AIF
Aksum setzt diese wissenschaftliche Methode in Mjällby konsequent um. Mit seinen Techniken formte er Spieler zu „besseren Passgebern und besseren Angriffs- und Verteidigungsspielern“ und nutzte die Freiheit, diese Prinzipien umzusetzen, um das Angriffsspiel zu erneuern. Anstatt sich auf Flanken und Standardsituationen zu verlassen, baut die Mannschaft lieber das Spiel aus der Verteidigung auf, kontrolliert den Ballbesitz und bewegt sich als Einheit nach vorne. Aksum: „Kein Playstation-Coaching, wir geben den Spielern Prinzipien, aber nie die genauen Lösungen. Sie müssen die Entscheidungen treffen.“

Karl Marius Aksum gibt während des Allsvenskan-Spiels gegen Elfsborg Anweisungen
Das Ergebnis: flexibler und moderner Fußball. TM-Experte „Joelclae“ beschreibt: „Mjällby spielt ausgeglichen und pragmatisch. Sie sind kein reines Konterteam, aber sie neigen dazu, Konter effektiv einzusetzen, wenn die Situation es erfordert – insbesondere gegen stärkere Gegner. Mjällby möchte grundsätzlich das Spiel kontrollieren, aber gleichzeitig konzentrieren sie sich bei Teams, die viel Druck ausüben, mehr auf Konter. Sie sind auch bei Standardsituationen sehr effektiv.“
Es gibt keinen einzigen Top-Torschützen in der Offensive: Stroud, Herman Johansson und Abdoulie Manneh erzielten jeweils sieben Ligatore. „Mjällby baut seinen Angriff nicht auf einen einzelnen Stürmer auf. Stattdessen setzt man auf dynamische Bewegungen der Mittelfeldspieler und Flügelspieler, um Tore zu schießen.
Ein wissenschaftlich fundiertes Trainingskonzept, kollektives und dynamisches Angriffsspiel, defensive Stabilität und körperliche Intensität – das sind die Erfolgsfaktoren von Mjällby AIF. Doch ohne die hervorragende Teamchemie wäre das alles nicht möglich. Viele der Spieler wohnen zusammen in einer Art Studentenwohnheim. „Wenn wir nichts zu tun haben, grillen, kochen wir zusammen oder hängen ab“, sagte Offensivmann Stroud der „BBC“. Die Tatsache, dass Cheftrainer Torstensson eigentlich hauptberuflich Lehrer ist und sogar eine Schule leitete, passt perfekt ins Bild. Zum besonderen Spirit trägt auch das Stadion bei: das Strandvallen, das mit 7.500 Sitzplätzen deutlich größer ist als die Stadt Mjällby selbst, liegt direkt neben einem Campingplatz an der Ostsee in Ferienidylle. Es ist immer voll – bei der Heimstärke kein Wunder: Zuletzt verlor Mjällby im Mai 2024 ein Heimspiel in der Liga (1:3 gegen Djurgården), 13 Spiele ohne Niederlage gab es seitdem.

Das Stadion Mjällbys Strandvallen liegt idyllisch neben einem Campingplatz direkt an der Ostsee
Mjällby und die schwächelnde Konkurrenz: Wie geht es 2026 weiter?
„Joelclae“ ordnet den Triumph realistisch ein: „Das ist Mjällbys sechste Saison in der Allsvenskan seit dem Aufstieg 2019. Seitdem hatten sie immer eine gute Defensivbilanz. Was Mjällby in dieser Saison natürlich auch geholfen hat, ist, dass die Topteams schlechter waren als sonst. Das tut dem Erfolg allerdings keinen Abbruch, denn sie haben die Chance sehr schnell genutzt, als sich der Titelkampf entwickelte.“
Bleibt die Frage: Was folgt nach diesem historischen Erfolg? Wird sich die Transferpolitik ändern, wenn der Titel gewonnen ist und Europa ruft? Wahrscheinlich nicht, prognostiziert „Joelclae“: „Die Kaderstruktur und die Ausgaben für 2026 hängen sicherlich davon ab, welche Schlüsselspieler bleiben. Torwart Noel Törnqvist beispielsweise ist bereits nach Como gewechselt und nur ausgeliehen, sodass Mjällby einen neuen Torwart verpflichten muss.“ Als Abgangskandidaten nennt der Schweden-Experte Stroud, den wertvollsten Kaderspieler mit einem Marktwert von 2,5 Millionen Euro, seine Offensivpartner Manneh und Johansson sowie Verteidiger Abdullah Iqbal.
„Der einzige Grund, warum Manneh im Sommer nicht verkauft wurde, ist, dass Mjällby ihn wegen des Titelkampfs bis zum Ende der Saison behalten wollte.“ Allerdings ist der Schweden-Experte davon überzeugt, dass der Klub auch dann keine Unsummen ausgeben wird, wenn all diese Spieler für viel Geld gehen. „Mjällby ist in seiner Struktur sehr streng und das schon seit zehn Jahren, als der Verein kurz vor dem Bankrott stand. Es würde mich also nicht überraschen, wenn ein Großteil des Geldes in die Akademie, die Einrichtungen und andere wichtige Dinge rund um den Verein fließen würde.“ Das betonte auch Klubboss Lennartsson im „BBC“-Interview.
Wichtiger als der Verbleib einzelner Spieler ist wohl eine andere Persönlichkeit: Kann Mjällby Karl Marius Aksum behalten? Der Co-Trainer ist einer der Architekten dieser Erfolgsgeschichte – und hat sich längst einen Namen gemacht. Aber „Joelclae“ sagt: „Er hat auf jeden Fall großes Potenzial, aber ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hat, bei Mjällby zu bleiben. Cheftrainer Torstensson könnte irgendwann eine höhere Position beim Verein bekommen und Aksum könnte seine Rolle bekommen – wenn die Top-Klubs bis dahin nicht schon angerufen haben.“