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„Mittlere Studie“: Jeder Fünfte ist extremen und nationalistischen Positionen gegenüber aufgeschlossen

„Grauzone verfestigt sich“


Studie: Jeder siebte Deutsche befürwortet diktatorische Zustände

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Die sogenannte Mitte-Studie gibt jedes Jahr einen Einblick in die Einstellungen der Deutschen zur Demokratie. Obwohl sich 80 Prozent der Befragten als Demokraten bezeichnen, offenbart die Umfrage auch besorgniserregende Entwicklungen.

Laut einer Studie würde mehr als jeder siebte Mensch Zustände wie in einer Diktatur in Deutschland unterstützen. Sogar etwa jeder Fünfte ist extremen und nationalistischen Positionen gegenüber aufgeschlossen. Laut der neuen „Mitte-Studie“ der Universität Bielefeld und der Friedrich-Ebert-Stiftung teilen 3,3 Prozent eine eindeutig rechtsextreme Weltanschauung. Abfällige Meinungen über Asylbewerber und Langzeitarbeitslose sind für viele zur Selbstverständlichkeit geworden.

Allerdings ist den neuen Umfragedaten zufolge der Anteil der Menschen mit eindeutig rechtsextremen Einstellungen im Vergleich zur Vorgängerstudie von vor zwei Jahren um 4,7 Prozentpunkte von acht gesunken. Doch im langfristigen Vergleich ist das Niveau konstant: Seit 2014 gab es stets zwischen zwei und drei Prozent Rechtsextremisten.

Zu einer solchen rechtsextremen Weltanschauung gehört die Befürwortung einer Diktatur, die Verharmlosung des Nationalsozialismus, einer völkisch-nationalistischen Ideologie, Fremdenfeindlichkeit oder Sozialdarwinismus, also eine Unterscheidung zwischen Höherem und Minderwertigem, wie der Studienautor Andreas Zick erläuterte. „Wir reden hier von Leuten, die 18 Aussagen eindeutig zustimmen.“ Eine Grauzone bleibt konstant, die teilweise Zustimmung liegt bei 21 Prozent.

Mehr als die Hälfte der Deutschen ordnet sich in der „Mitte“ ein

Nach eigener Einschätzung ordnen 57 Prozent der Befragten ihre politischen Ansichten „genau in der Mitte“ ein – Tendenz leicht steigend. „Die Mehrheit der Menschen in Deutschland ist demokratisch und äußert Bedenken hinsichtlich des zunehmenden Rechtsextremismus“, sagen die Autoren um den Bielefelder Konfliktforscher.

Rund 20 Prozent stehen rechtsextremen und nationalchauvinistischen Äußerungen ambivalent gegenüber, das heißt, sie stimmen diesen weder zu noch lehnen sie ab. „Diese Grauzone“, so die Experten, „ist im Vergleich zum Vorjahr stärker geworden und zeigt eine Offenheit gegenüber antidemokratischen Orientierungen.“

Fast ein Viertel der Befragten stimmte dem Satz zu: „Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und das Ansehen zu geben, die es verdient.“ 30 Prozent glauben, dass dies teilweise/teilweise der Fall ist. 15 Prozent stimmen voll und ganz oder überwiegend zu: „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland mit starker Hand zum Wohle aller regiert.“ Zehn Prozent finden dies teilweise/teils, rund 75 Prozent lehnen die Aussage ab. Ein Viertel meint: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige, starke Partei, die die nationale Gemeinschaft als Ganzes verkörpert.“

Das Misstrauen gegenüber der Demokratie nimmt zu

„Das Misstrauen gegenüber der Demokratie hat deutlich zugenommen“, sagte Zick. Für die Mehrheit derjenigen, die misstrauen, ist dies eine umfassende Haltung. Zwei von fünf Bundesbürgern haben kein Vertrauen in demokratische Institutionen. Rund 18 Prozent mangelt es an Vertrauen in demokratische Wahlen – dreimal so viel wie vor vier Jahren. Nur 52 Prozent der Befragten stimmen darin überein, dass die deutsche Demokratie insgesamt recht gut funktioniert. Ein Viertel (24 Prozent) sagt Nein – ein Rekordwert.

Mit diesen Zweifeln gehen der Analyse zufolge Einstellungen einher, die „dem liberalen Geist des Grundgesetzes“ widersprechen: Knapp 88 Prozent sind der Studie zufolge der Meinung, dass in einer Demokratie die Würde und Gleichheit aller Menschen an erster Stelle stehen sollte. Doch laut der Umfrage sind 34 Prozent der Meinung: „Im nationalen Interesse können wir nicht jedem die gleichen Rechte gewähren.“ Ein Viertel meint, es werde zu viel Rücksicht auf Minderheiten genommen. 7,5 Prozent befürworteten körperliche Gewalt gegen „Fremde“.

Generell stellen die Wissenschaftler „Gewöhnungseffekte und Normalisierungen“ bei rechtsextremen Einstellungen fest. Mehr als 30 Prozent haben eine abfällige Einstellung gegenüber Asylbewerbern, 36 Prozent gegenüber Langzeitarbeitslosen und 19 Prozent gegenüber Transsexuellen. Ein Drittel wirft Flüchtlingen sozialen Missbrauch vor. Acht Prozent glauben, dass in Deutschland „zu viel Aufwand“ für Menschen mit Behinderungen betrieben wird.

Antisemitismus ist nach wie vor weit verbreitet

Und wie verbreitet ist Antisemitismus? Die Zustimmungswerte fassen die Forscher als stabil zusammen. 5,5 Prozent glauben eher oder vollständig, dass Juden eine Mitschuld an ihrer Verfolgung tragen. Knapp 13 Prozent meinen dies teilweise. Aufgrund des Nahostkonflikts sagten 17 Prozent, sie könnten „gut verstehen, dass die Menschen etwas gegen Juden haben“.

Fast vier von fünf Befragten bezeichnen sich generell als überzeugte Demokraten – sechs Punkte mehr als vor vier Jahren. Drei Viertel lehnen rechtsextremistische Einstellungen ab, 70 Prozent sehen im zunehmenden Rechtsextremismus eine Bedrohung für Deutschland. 88 Prozent glauben, dass Würde und Gleichheit an erster Stelle stehen sollten.

Der Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung, der frühere SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, forderte die Verantwortlichen und die Zivilgesellschaft zum Handeln auf. „Mandatsträger, von der Kommunal- über die Landesebene bis zum Bund und darüber hinaus, müssen zeigen, dass sie mit den Mitteln der Demokratie die bestehenden Herausforderungen meistern und den Alltag der Menschen spürbar verbessern können.“

Der Klimawandel spielt eine geringere Rolle

Der Studie zufolge geht ein High-School-Abschluss mit einer deutlich geringeren Unterstützung für demokratiefeindliche Einstellungen einher. Männer unterstützen deutlich häufiger als Frauen Rechtsextremismus und Gewalt. Im Osten gibt es mehr Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Im Westen sind Sozialdarwinismus und Klassismus, also Herabwürdigungen aufgrund der sozialen Herkunft, weiter verbreitet.

Der Studie zufolge vertritt ein Viertel der Befragten eine „libertär-autoritäre Ideologie“. Motto: Jeder sollte in erster Linie auf sich selbst achten. Diese Gruppe neigt deutlich stärker zu einer rechtsextremen Weltanschauung und befürwortet eher politische Gewalt. 20 Prozent der Befragten mit dieser Ideologie stimmten der Aussage zu: „Man muss Gewalt gegen politische Gegner anwenden, um nicht zu verlieren.“

Der Anteil derjenigen, die den Klimawandel als große Bedrohung sehen, ist von rund 70 auf 56 Prozent gesunken. Demnach sinkt der Anteil der Bevölkerung, der eine „eindeutig klimaprogressive Einstellung“ vertritt, auf etwas mehr als die Hälfte. Der Studie zufolge sind aus Sicht der Forscher klimapolitisch regressive Einstellungen häufig mit Demokratiedistanz verbunden.

Für die repräsentative Befragung der Hochschule führten die Umfrageinstitute Uzbonn und Nhi² vom 30. Mai bis 4. Juli 2001 Interviews mit 18- bis 94-Jährigen. Auftraggeber ist die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung.

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