Laut UNICEF sind weltweit rund 230 Millionen Mädchen und Frauen Opfer von Genitalverstümmelung. In vielen afrikanischen Ländern wird diese bis heute praktiziert. Eine TikTokerin macht darauf aufmerksam.
Shamsa Araweeloo hält in der einen Hand eine weiße Rose, in der anderen eine Rasierklinge. In ihrem knapp zwölf Millionen Mal aufgerufenen TikTok-Video zeigt die junge Frau, wie weibliche Genitalverstümmelung durchgeführt wird: Sie schneidet zunächst die innersten Blüten heraus, als Symbol für die Klitoris. Dann schneidet sie die größeren Blüten ab, als Symbol für die inneren und äußeren Schamlippen. Zum Schluss näht die junge Frau die abgeschnittene Rosenblüte mit schwarzem Faden zu.
Shamsa, die heute in Großbritannien lebt, wurde 1993 in Somalia geboren. Als kleines Mädchen, im Alter von sechs Jahren, wurden ihre Genitalien verstümmelt. Es geschah im Haus ihrer Großmutter – ohne Betäubung, ohne Schmerzmittel. Sie erzählt, dass sie auch zusehen musste, wie ihre damals fünfjährige Cousine und ihre siebenjährige Schwester von einer Frau beschnitten wurden. Ein Trauma, erinnert sich Shamsa.
Mein ganzer Körper stand unter Schock. Sie hatten mir vorher die Beine zusammengebunden und mir ein Stück Stoff in den Mund gestopft, damit ich aufhörte zu schreien, um Hilfe zu rufen, zu betteln. Das wollten sie nicht hören. Ich kann nicht in Worte fassen, wie es sich anfühlt, als Mensch so zugenäht zu werden. Vor allem nicht als Kind.
Diesen tiefsitzenden Schmerz spürt Shamsa noch heute. Als Kind hatte sie nach ihrer Genitalverstümmelung große Angst und vertraute ihrer Großmutter nicht mehr. Ihre Mutter, sagt die junge Frau, sei damals dagegen gewesen – aus eigener Erfahrung. Doch gegen die tief verwurzelte Tradition konnte sie sich nicht durchsetzen.
Betroffene Mädchen werden immer jünger
In Somalia habe sich in den vergangenen 30 Jahren nichts geändert, sagt Nankali Maksud vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF. Dennoch gebe es auf dem afrikanischen Kontinent eine positive Entwicklung. „Die gute Nachricht ist, dass es in Afrika heute weniger weibliche Genitalverstümmelung gibt. Aber sie existiert immer noch.“
Neben Somalia wird weibliche Genitalverstümmelung beispielsweise auch in Teilen Kenias, Tansanias und Äthiopiens praktiziert, obwohl sie gesetzlich verboten ist.
Hinzu kommt, dass Mädchen vor Jahren mit elf, zwölf oder 13 Jahren beschnitten wurden, also noch vor ihrer Periode. Dank internationaler Hilfsprogramme seien sie heute oft aufgeklärter, gebildeter und selbstbewusster. Deshalb würden Mädchen immer früher genital verstümmelt, wenn sie noch nicht in der Lage seien, sich auszudrücken, sagt die UNICEF-Expertin.
„Wir stellen fest, dass Babys das manchmal tun“, sagt sie. „Deshalb müssen wir mehr mit schwangeren Frauen und jungen Müttern arbeiten, damit diese jungen Mütter sich der Entscheidung bewusst sind, die sie für ihre Töchter treffen.“
Fokus auf Bildung
Doch nicht nur die Frauen entscheiden. Entscheidend seien die Männer, sagt Shamsa. Sie klagt Brüder, Väter und Großväter an: „Sie waren und sind diejenigen, die die weibliche Genitalverstümmelung offen unterstützen. Sie sind diejenigen, die sagen, dass sie keine Frau heiraten werden, die nicht beschnitten ist.“
Für Shamsa gibt es nur eine Waffe gegen die weibliche Genitalverstümmelung: Bildung. Mehr Bildung für Mädchen, für Mütter und auch für Männer.
Karin Bensch, ARD Nairobi, tagesschau, 20.09.2024 14:27