Konservativ, altmodisch, schrullig? Oh nein! Trachtenlederhosen sind Punk. Das wissen wir seit letztem Jahr, als Campino sie trug. Der Frontmann der Toten Hosen hatte sich für seine Tournee „Für immer – eine kulturelle Aneignung/Aufdrängung“ mit dem Satiriker Gerhard Polt und dem Volksmusikensemble Well-Brüder in bayerische Tracht gekleidet.
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Doch obwohl der gebürtige Düsseldorfer ein karnevalserfahrener Mensch ist und sich am Rosenmontag in seiner Heimatstadt gerne verkleidet, fühle er sich in dem ungewöhnlichen Outfit nach eigener Aussage nicht ganz wohl: „Wenn ich in der Lederhose durch die Straßen von Schliersee laufe und mir kommt ein Bayer entgegen, ist das kein Problem. Aber wenn eine kleine Familie aus Osnabrück mit dem Finger auf mich zeigt und sagt: Da geht der Campino in der Lederhose – das ist der Moment, in dem ich mir blöd vorkomme“, gab der 62-jährige Sänger in einem Interview zu.
„Werk des Satans“: Trachtenhosen in der Kirche verboten
Die Stammgäste, die 1883 in Bayrischzell den ersten Trachtenverein gründeten, müssen sich zunächst dumm vorgekommen sein. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, trugen sie zu besonderen Anlässen Lederhosen – und ernteten dafür den Spott der Einheimischen. Auch die Kirche hielt die „Kniehose“ für moralisch verwerflich. An Prozessionen durften sie in dieser Tracht nicht teilnehmen.
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Bis zum Ersten Weltkrieg galten kurze Hosen unter Geistlichen als „Werk des Satans“. Denn Lederhosen waren keineswegs ein beliebtes traditionelles Kleidungsstück der einfachen Bevölkerung, wie oft fälschlicherweise angenommen wird, obwohl sie ihren Ursprung auf dem Land hatten.
König Ludwig II. ordnet Trachtenvereine an
Anfang des 19. Jahrhunderts trugen Bauern noch Lederarbeitshosen, die bis übers Knie, aber nicht über die Knöchel reichten. Das Material bestand aus Ziegen- oder Schafsleder. Schließlich setzte sich jedoch Loden durch, eine strapazierfähige Wolle. Der Adel in Bayern hingegen ging gerne in knielangen Lederhosen auf die Jagd – und hatte wie damals in anderen Teilen Europas eine romantische Vorstellung vom Landleben. Aus der Begeisterung für bei Hofe inszenierte Bauernhochzeiten erwuchs die Idee einer Tracht. Wenige Jahre vor seinem Tod vollendete Ludwig II. (1845–1886), was sein Vater Maximilian II. (1811–1864) 1853 mit dem Erlass zur „Hebung des Nationalgefühls, insbesondere der Landestracht“ angestoßen hatte: Er unterstützte nicht nur die Initiative der Lederhosenburschen aus Bayrischzell, sondern rief auch Kreis- und Landesbehörden dazu auf, Vereine zur Erhaltung der Tracht zu gründen.
Das Volk gehorchte seinem „Kini“. Und mit dem beginnenden Alpentourismus in den 1920er-Jahren wurden Lederhose und Dirndl auch über die Grenzen Bayerns und Österreichs hinaus populär. Und doch waren und sind die Trachten „ein politisches Werkzeug“, das dem „nationalen Narrativ“ diente und nicht aus der Trachten-, sondern aus der politischen Geschichte stammte, wie die Wiener Ethnologin und Philosophin Elsbeth Wallnöfer in ihrem 2020 erschienenen Buch „Tracht Macht Politik“ (Haymon Verlag) schreibt. Lederhosen zu tragen ist immer auch ein Statement. Aber wozu genau dient es?
Lederhosen als Zeichen der Abgrenzung
Jeder fünfte Deutsche war im vergangenen Jahr bereits auf dem Münchner Oktoberfest, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov in Zusammenarbeit mit Statista ergab. Doch obwohl Kaufhäuser wie C&A und Galeria in den Wochen vor dem Oktoberfest bundesweit für Lederhosen und Dirndl werben, ist die Lust auf Tracht eher verhalten, wie die Studie nahelegt: Nur 31 Prozent gaben an, beim Besuch des größten Volksfests der Welt eine Tracht tragen zu wollen.
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Bei Frauen (36 Prozent) ist sie beliebter als bei Männern (25 Prozent). Und doch gehört sie zur Ausgehuniform von Politikern wie Markus Söder (CSU) oder Friedrich Merz, wenn sie sich auf dem Oktoberfest unters Volk mischen. Für Wallnöfer ist das „Anbiederung an die Unterschichten, an die ganz unten“, wie sie im Interview mit Deutschlandfunk Kultur nach der Veröffentlichung ihres Buches betonte. Allerdings schließe das Tragen der Tracht nicht alle ein: „Gerade heute dient es der Abgrenzung und erst recht der Ausgrenzung.“
Wallnöfer verweist auch auf die Nationalsozialisten, die die Lederhose als Volkstracht, als „Erbtracht unserer Väter“ einführen wollten. Ist es also Geschichtsvergessenheit, mit Lederhosen auf ein Volksfest zu gehen oder wie Campino ein Bühnenoutfit daraus zu machen? So weit würde Wallnöfer nicht gehen. Sie fände es sogar „wunderbar“, wenn die Menschen „dieses schwer beladene Traditionserzählen überwinden“ und einfach aus Spaß, zum Feiern und Spaßhaben die Lederhose anziehen. Noch bis zum 6. Oktober gibt es in München dazu Gelegenheit.