Stand: 14.09.2024 08:56
Nach einer Gewalttat in Stralsund gab es schon früh Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund – allerdings nicht für die Ermittlungsbehörden. Dass der Angeklagte auf diese Weise aufgefallen sei, bestätigte nun die Staatsanwaltschaft.
Ende Mai verletzte ein Deutscher in einer Stralsunder Kneipe einen italienischen Staatsbürger mit einem Taschenmesser. Während das Innenministerium des Landes bislang keinen fremdenfeindlichen Hintergrund für die Tat erkennen will, bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte bereits in der Vergangenheit mit ähnlichen Äußerungen aufgefallen sei.
Seit Wochen keine Kenntnis von fremdenfeindlichen Äußerungen
Bei seiner Festnahme soll der damals 64-Jährige den Polizisten gesagt haben, er sei Deutscher und habe nur deshalb so gehandelt, weil das Opfer, ein Italiener tunesischer Abstammung, in der Bar deutsche Frauen angesprochen habe. Der Italiener erlitt dabei eine zwei Zentimeter lange und eineinhalb Zentimeter tiefe Stichwunde. So beschrieb die Staatsanwaltschaft Stralsund am Freitag ihr Ermittlungsergebnis. Das ist durchaus bemerkenswert, denn von fremdenfeindlichen Äußerungen des mutmaßlichen Täters wollten die Behörden auch wochenlang nach der Tat nichts gewusst haben.
Angeklagter bereits auffällig
Ein Augenzeuge hatte dem NDR allerdings wenige Tage nach der Messerattacke berichtet, der Angreifer habe bei seiner Abführung zu den Polizisten gesagt: „Das habe ich für Deutschland getan.“ Und weitere Ermittlungsergebnisse deuten nun in diese Richtung: Schon vor der Tatnacht sei der Mann mit Aussagen wie „Ausländer raus“ oder „Ausländer gehören nicht in diese Kneipe“, aufgefallen, so die Staatsanwaltschaft. Zur Tatzeit war der Angeklagte stark alkoholisiert, ein Blutalkoholtest ergab einen Blutalkoholwert von 2,33 Promille.
Innenminister MV sah kein fremdenfeindliches Motiv
Die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft führen allerdings dazu, dass sich die Landesregierung, genauer gesagt das Innenministerium in Schwerin, nun unbequemen Fragen stellen muss. Auch das für die Polizei zuständige Ministerium stufte den Messerangriff nicht als fremdenfeindliche Tat ein. Auf eine entsprechende Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion antwortete Innenminister Christian Pegel (SPD) Ende Juli, man habe „relevante Erkenntnisse“ bislang „nicht in belastbarer Weise verfestigt“.
Widersprüchliche Aussagen der Behörden
Auch Grünen-Fraktionschefin Constanze Oehlrich wollte vom Innenministerium wissen, ob die Polizisten, die den Angeklagten abgeführt hatten, zu dem Ausruf „Das habe ich für Deutschland getan“ befragt worden seien. Pegel antwortete: „Die eingesetzten und befragten Polizisten haben nichts dergleichen beobachtet.“ Diese Aussage lässt sich nach der Aussage der Staatsanwaltschaft allerdings kaum aufrechterhalten. Hat die Polizei die Aussage des mutmaßlichen Täters nicht ernst genommen, weil dieser betrunken war? Oder haben die Ermittlungsbehörden es versäumt, entsprechende Fragen zu stellen? Der Augenzeuge, der sich wenige Tage nach der Messerattacke beim NDR meldete, wunderte sich, dass er bei seinem ersten Telefoninterview zunächst nicht danach gefragt wurde.
Experten bemängeln Ermittlungsfehler
Ebenso überrascht habe ihn, dass die Behörden die Tat zunächst nicht öffentlich machten. Erst als der NDR rund zehn Tage nach der Tat wegen eines entsprechenden Hinweises bei der Staatsanwaltschaft nachfragte, bestätigte sich der Fall. „Man kann davon ausgehen, dass da etwas vertuscht wurde“, sagte der renommierte Kriminologe Professor Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum dem NDR. Und auch der frühere Leiter des Neubrandenburger Polizeireviers, Siegfried Stang, warf den Ermittlern gravierende Fehler vor. Die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten habe erst neun Tage nach der Tat stattgefunden, in dieser Zeit hätten wichtige Beweismittel aus der Unterkunft entfernt werden können, so der frühere Kriminaldirektor Stang.
Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren möglich
Gegen den zur Tatzeit 64-jährigen Deutschen wird nun Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben. Da der Mann nur einmal zugestochen habe, habe kein Tötungsvorsatz vorgelegen, so die Staatsanwaltschaft. Die Behörde wertet den Fall nicht als politisch motivierte Straftat und verweist darauf, dass bei der Beurteilung des Geisteszustands des nicht vorbestraften Angeklagten dessen „erhebliche Trunkenheit“ zu berücksichtigen sei. Das Strafgericht kann bei schwerer Körperverletzung grundsätzlich eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren verhängen.
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