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Mehrsprachigkeit hält das Gehirn fit

Stand: 10. November 2025 17:20 Uhr

Das Altern vollzieht sich nicht bei jedem Menschen gleich schnell. Eine neue Studie zeigt: Mehrsprachigkeit schützt offenbar vor beschleunigtem Altern. Wer regelmäßig mehrere Sprachen nutzt, bleibt kognitiv länger fit.

Von Richard Kraft und Anja Braun, SWR

Altern ist ein komplexer biologischer Prozess – und er vollzieht sich nicht bei jedem Menschen gleich schnell. Während manche Menschen auch im Alter geistig und körperlich fit bleiben, zeigen andere schon früh erste Alterserscheinungen. Forscher sprechen dann von „beschleunigtem Altern“. Körperliche und kognitive Funktionen nehmen dann schneller ab, als statistisch eigentlich zu erwarten wäre. Welche Faktoren diesen Prozess verlangsamen können, ist eine der zentralen Fragen der Altersforschung – von der Ernährung über Bewegung bis hin zu geistiger Aktivität.

Neurowissenschaftler vermuten schon lange, dass Mehrsprachigkeit einer dieser Schutzfaktoren sein könnte. Wer regelmäßig zwischen verschiedenen Sprachen wechselt, trainiert die Aufmerksamkeits- und Kontrollmechanismen, die mit zunehmendem Alter oft schwächer werden. Es war jedoch noch unklar, ob dieser Effekt tatsächlich einen messbaren Einfluss auf die biologische Alterung hatte.

Groß angelegte Studie untersucht Mehrsprachigkeit und Altern

Eine neue, groß angelegte Studie liefert nun erstmals eindeutige Beweise dafür, dass Menschen, die mehr als eine Sprache sprechen, tatsächlich langsamer altern. Um den Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeit und langsamerem Altern zu bestätigen, bezog das Forschungsteam weitere Faktoren für langsameres Altern ein, wie etwa Bildung, körperliche Aktivität oder soziale Einflüsse.

Die neue Studie bestätigte, was in der Alterungsforschung schon lange vermutet wurde. Das sieht auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Peter Berlit, so. Gegenüber der dpa erklärte er: „Diese Studie bestätigt kleinere Beobachtungsstudien, die gezeigt haben, dass Mehrsprachigkeit offensichtlich einen Schutzfaktor gegen Demenz darstellt.“

Gesundheitsdaten aus 27 europäischen Ländern

Die neue Studie wurde am Trinity College Dublin durchgeführt und jetzt in der Fachzeitschrift Nature Aging veröffentlicht. Das Forschungsteam von Agustín Ibañez wertete Gesundheitsdaten von mehr als 86.000 Menschen aus 27 europäischen Ländern aus.

Die Forscher wollten wissen, ob sich der Alterungsprozess von Menschen, die mehrere Sprachen sprechen, messbar von dem ihrer einsprachigen Kollegen unterscheidet. Dazu berechneten sie für jeden Menschen ein sogenanntes „biobehaviorales Alter“ – ein Maß, das zeigt, wie stark sich körperliche, geistige und soziale Funktionen bereits verändert haben.

Das Ergebnis war, dass Menschen, die regelmäßig mehr als eine Sprache verwenden, deutlich seltener Anzeichen einer beschleunigten Alterung zeigten. Dieser Zusammenhang blieb auch dann bestehen, wenn andere Einflussfaktoren wie Bildung, Einkommen oder Luftqualität berücksichtigt wurden.

Je mehr Sprachen, desto größer der Effekt

Besonders spannend ist, dass die Schutzwirkung in der Studie dosisabhängig war. Wer zwei oder mehr Sprachen spricht, altert messbar langsamer als Menschen, die nur eine Sprache sprechen – und das galt nicht nur zum Zeitpunkt der Studie, sondern auch über mehrere Jahre hinweg.

Wie genau Mehrsprachigkeit dazu führt, dass der Körper widerstandsfähiger gegenüber dem Alter wird, bleibt unklar. Allerdings vermuten die Forscher, dass der ständige Wechsel zwischen Sprachen eine Art „Gehirntraining“ darstellt, das wichtige kognitive Netzwerke aktiv hält. Laut dem Forschungsteam erhöht sich dadurch unsere kognitive Reserve, also die Fähigkeit des Gehirns, sich vor Schäden – etwa im Alter – zu schützen.

Wann Mehrsprachigkeit entfaltet seine schützende Wirkung

Es bleibt jedoch fraglich, ob Mehrsprachigkeit einen Einfluss auf das Altern hat. Michael Wagner, Professor an der Universität Bonn, hatte bereits vor zwei Jahren in einer Studie mit seiner Kollegin Elizabeth Kuhn Anzeichen für die schützende Wirkung der Mehrsprachigkeit festgestellt. Er betonte in einem Interview: „Wer sich nach der Pensionierung in einen Spanischkurs stürzt und Vokabeln lernt, um gegen künftige Demenz gewappnet zu sein – das wird wahrscheinlich nicht helfen.“ Zum jetzigen Zeitpunkt ist es dafür bereits zu spät. Auf jeden Fall ist es gut, mit zunehmendem Alter die bereits erlernten Sprachen weiter zu sprechen und sich generell geistig und körperlich aktiv zu halten.

Das Forscherteam um Agustín Ibañez will dieser Frage in künftigen Studien genauer nachgehen. Ziel ist es, nicht nur zu untersuchen, wie sich der Zeitpunkt des Spracherwerbs auf das Altern auswirkt, sondern auch, welchen Einfluss das individuelle Sprachniveau jeder Sprache hat.

Die Erkenntnisse der Studie könnten in Zukunft dazu genutzt werden, wichtige Maßnahmen zur Verhinderung einer beschleunigten Alterung zu entwickeln. Beispielsweise könnte das Schulsystem einen stärkeren Fokus auf den Erwerb mehrerer Sprachen legen. Vorerst können sich auch Länder freuen, in denen es üblich ist, mehrere Sprachen zu sprechen, etwa die Niederlande, Indien oder viele afrikanische Länder.

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