Damals, etwa Anfang der 10er Jahre, gab es auf „StudentVZ“ und „Facebook“ einen Reiter „Beziehungsstatus“, unter dem Nutzer auch die Option „Es ist kompliziert“ zur Auswahl hatten. Der Status „Es ist kompliziert“ deutete auf ein aufregendes Leben voller emotionaler Tiefe und Drama hin, während man in Wirklichkeit nur ein pingeliger 17-Jähriger mit einem langweiligen Leben war, der zu viel Counterstrike spielte und Energy trank.
Die Amazon-Serie „Maxton Hall“ kann man getrost als so etwas wie den verfilmten „It’s Complicated“-Button von StudentVZ bezeichnen. Die Prime Video-Adaption der Buchreihe aus Mona Kastens Bestseller-Trilogie „Save Me“ ist ein Teenagerdrama, das weltweite Streaming-Geschichte geschrieben hat. Die deutsche Serienproduktion schaffte mit der ersten Staffel den Sprung auf Platz 1 der Streaming-Ansichten in über 120 Ländern und ist damit laut Amazon Prime der erfolgreichste Start einer nicht-amerikanischen Eigenproduktion in der Geschichte der Plattform. Uff.
Die Geschichte ist so einfach wie simpel: Das aus einfachen Verhältnissen stammende Stipendiatinnen Ruby (Harriet Herbig-Matten, „Bibi & Tina“) geht auf die englische Eliteschule „Maxton Hall“, wo sie auf Stolz, Vorurteile und jede Menge Klassenunterschiede stößt. „Das britische Königshaus, der Sohn des Trainers von Manchester United, der Cousin des Emirs von Dubai, sie sind alle hier. Sie feiern auf den gleichen Partys, landen in den gleichen Jobs, heiraten die gleichen Leute“, hieß es zu Beginn der ersten Staffel und gab damit sofort den Ton an.
In diesem Mikrokosmos der Millionäre trifft die Aschenputtel-artige Ruby auf James Beaufort (Damian Hardung, „Wie man Drogen online verkauft (fast)“), reicher Erbe eines Modeimperiums und eine Mischung aus Robert Pattinson und „Betriebswirt Justus“ mit Pennyloafers, schmal geschnittenen Anzügen und welliger Bro-Flow-Frisur.
Die anfängliche Antipathie zwischen den beiden entwickelte sich in der ersten Staffel schnell zu einer Teenager-Liebesgeschichte, deren Höhepunkt sich an den nächsten jagte, was in der Folge zum Geschlechtsverkehr inklusive eines gemeinsamen After-Sex-Selfies im Staffelfinale führte. „Bilder oder es ist nicht passiert!“ GenZ würde sagen, dass ein Ereignis nicht stattgefunden haben kann, wenn es keine fotografischen Beweise dafür gibt.
Auch die Tatsache, dass eine deutsche Serie mit englischem Internats-Flair ein Welthit wurde, sagt viel über die heutige Zeit des Geschichtenerzählens aus. Statt des üblichen deutsch-depressiven Besorgnisdramas oder des hemdsärmeligen Bully-Herbig-Slapsticks liefert „Maxton Hall“ rasanten Hochglanz und andauerndes Gefühlsfeuer im Sekundentakt.
Das Maxton-Hall-Prinzip funktioniert so: Das Drehbuch liefert archetypische Konfliktbausteine, die Kamera übersetzt sie in eine zeitgemäße Social-Media-Filterästhetik, die Schauspieler leisten ihren Beitrag in Form bedeutungsvoller Blicke und zitternder Unterlippen. Der Soundtrack tut sein Übriges in den grotesk häufig eingesetzten Montagesequenzen, die ein effizientes Stilmittel zur Verdichtung sein können (z. B. in „Rocky“), in der Filmwissenschaft aber auch als faules Drehbuchmittel in Verruf geraten, mit dem eine Entwicklung nur behauptet, aber nicht gezeigt wird. Der singende Singer-Songwriter-Pop mit zupfenden Gitarren in den Montagen verleiht jeder Folge den Anschein eines 40-minütigen Musikclips oder Instagram-Reels, unterbrochen nur von Dialogfetzen im Format einer ARD-Vorabendserie. Ein Auszug aus Folge zwei der neuen Staffel:
James: „Ich brauche dich, Ruby!“
Ruby: „Weißt du, was ich brauche? Ich brauche Frieden und Zeit, um über dich hinwegzukommen. Du hast mir mein verdammtes Herz herausgerissen und ich hasse dich dafür. Aber ich liebe dich auch und das macht es so viel schwieriger.“
James: „Ich will nur dich, denn wenn ich bei dir bin, bin ich glücklich.“
Ruby: „Es ist nicht meine verdammte Aufgabe, dich glücklich zu machen, okay!?“
„Maxton Hall“ ist eine Serie, die Gefühle zur Schau stellt, statt sie zu erzählen, doch genau das scheint den Nerv einer Generation weltweit zu treffen.
Und genau das passiert
Doch worum geht es eigentlich in der neuen zweiten Staffel? Aufgrund der strengen „Do Not Reveal“-Richtlinien von Amazon für Journalisten lässt sich darüber wenig schreiben, nur so viel: James hat es vermasselt – großes Drama natürlich –, Ruby will nichts mehr mit ihm zu tun haben, weshalb James die ganze Staffel damit verbringt, mit wehleidigem Blick das einstige Mauerblümchen zurückzugewinnen. Beziehungsstatus „Es ist kompliziert.“ Die Tatsache, dass die Serie mit dem „Louis de Funès“-artigen Liebesprinzip „Nein! Ja! Oh!“ ausgestattet ist. Ross und Rachel in „Friends“ oder Jim und Pam in „The Office“ haben bereits bewiesen, dass sie es über mehrere Staffeln tragen können, und es besteht Grund zur Befürchtung, dass auch „Maxton Hall“ dieses Pferd reiten wird, bis es erschöpft zusammenbricht.
Die Serie hält weiterhin hartnäckig an den gängigen „Tropen“ aus dem Buch fest, das derzeit zu den unglaublich erfolgreichen Genres der „Young Adult“-Literatur zählt. „Tropen“ sind in diesem Zusammenhang genretypische Handlungsmuster, aus denen eine Geschichte modular zusammengesetzt wird. Böse Zungen würden es „Lego-Literatur“ nennen, die dank ihrer festen Topoi immer wieder bestehende Klischees bestätigt und kaum Raum für Ambivalenzen lässt.
„Maxton Hall“ bedient sich mehrerer solcher Tropen. Neben dem „Enemies to Lovers“-Motiv in Form der zunächst kämpfenden, dann liebenden Liebenden gibt es vor allem das relevante „Darc Academia“-Motiv, also ein Setting in elitärer Schul- oder Universitätsatmosphäre, wo unter der altehrwürdigen Oberfläche meist moralisch verrottete Strukturen und Rivalitäten zum Vorschein kommen – Grüße aus „Harry Potter“.
Apropos: Die für die Regie verantwortlichen Regisseure Martin Schreier und Tarek Roehlinger drehten die Internatsszenen auf Schloss Marienburg südlich von Hannover. Mit seiner neugotischen Vierflügelanlage und den spitzen Zinnen und Türmen erinnert die ehemalige Sommerresidenz Georgs V. von Hannover frappierend an das zauberhafte Internat Hogwarts.
Vielleicht lässt sich die „Maxton Hall“-Formel so zusammenfassen: ein bisschen Teenie-Romantik, ein bisschen „Old Money“-Attitüde, obendrauf eine Prise „Harry Potter“ und das alles in Szenen direkt aus Social-Media-Clips. Eigentlich gar nicht so kompliziert.
„Maxton Hall 2“ ist auf Amazon Prime.
