Dass Lando Norris beim Grand Prix von Singapur auf die Pole Position gefahren war, machte im Fahrerlager kurze Zeit später kaum noch Schlagzeilen. Immerhin fuhr der McLaren-Pilot am Samstagabend (Ortszeit) auf dem Marina Bay Street Circuit unter Flutlicht die Bestzeit und benötigte für die 4,94 Kilometer lange Hafenrundfahrt im südasiatischen Stadtstaat 1:29.525 Minuten.
Doch schon bald stand Max Verstappen (Red Bull) im Rampenlicht. Nicht wegen seines zweiten Platzes, den der Weltmeister 0,2 Sekunden hinter Norris und vor dem drittplatzierten Lewis Hamilton (Mercedes) erzielte. Sondern wegen der nächsten Eskalation, die Verstappen vor dem Nachtrennen am Äquator an diesem Sonntag (14.00 Uhr MESZ im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1 und bei Sky) zündete – im Streit mit dem Automobil-Weltverband FIA.
„Warum sollte ich vollständig antworten?“
Der Interview-Situation unmittelbar nach dem Ende des Startrennens konnte Verstappen nicht entgehen. Die offizielle Pressekonferenz im Anschluss boykottierte er allerdings mit einsilbigen Antworten. Er wolle sich nicht noch einmal bestrafen lassen, antwortete Verstappen, als der Moderator von ihm ausführlichere Statements verlangte als nur „ja“, „nein“ und „vielleicht“.
„Ich finde offensichtlich, was passiert, lächerlich“, sagte Verstappen. „Warum sollte ich also umfassende Antworten geben?“ Er sagte, die FIA wolle an ihm ein Exempel statuieren. Norris nannte die Strafe für Verstappen „unfair“, Hamilton sprach von einem „Witz“ und empfahl, dass Verstappen die Strafe nicht absitzen sollte. „Ich“, sagte Hamilton, „würde es sicher nicht tun.“
„Sie wurden immer schneller“
Norris‘ nächste Pole Position geriet in den Hintergrund. „Es war hart“, sagte er im Ziel, „die Jungs um mich herum wurden immer schneller, sie setzten mich unter Druck.“ Er sei aber cool geblieben, so der Brite weiter. „Das Auto fühlt sich gut an. Wenn das der Fall ist, kannst du rausgehen und pushen.“ Verstappen sagte, er sei „froh, in der ersten Reihe zu starten.“ Und um den Sieg zu kämpfen? „Das ist schwer zu sagen. In Singapur kann viel passieren“, so der Weltmeister. „Aber wir werden es versuchen.“
Eine gute Startposition ist auf der engen Strecke in Singapur genauso wichtig wie in Monaco. Sonntags gewinnt in der Regel der Samstagssieger. Norris startete in seiner Karriere allerdings sechsmal von der besten Position. Nur einmal, zuletzt in Zandvoort, gelang ihm der Sieg. Jedes Mal verlor er die Führung nach weniger als einer Runde. Das gilt umso mehr, als die Rennleitung in diesem Jahr eine vierte DRS-Zone in Singapur ausgewiesen hat, um Überholversuche zu fördern.
Sainz fliegt los und hat Glück
Bevor der Kampf um die Pole Position im abschließenden Qualifying begann, sprangen plötzlich alle Signale auf Rot. Carlos Sainz verlor eingangs der letzten Kurve die Kontrolle über seinen Ferrari und drehte sich rückwärts in die Barriere. „Ich weiß nicht, ob es an den kalten Reifen oder den Luftturbulenzen lag“, sagte der Spanier, der Oscar Piastri auf der Strecke folgte, über Funk. Bevor er unverletzt aus dem Rennen kam, berichtete er, er sei von einem „großen Schlag“ getroffen worden.
Sainz, der im vergangenen Jahr in Singapur gewonnen hatte, hatte beim Abheben großes Glück. Bei Vollgas wird die Linkskurve mit 190 Kilometern pro Stunde gefahren. Sainz dagegen fuhr im Schneckentempo und bereitete seinen ersten Versuch einer schnellen Runde vor. 15 Minuten lang wurde die Strecke gefegt und die Barrieren repariert, dann hieß es weiterfahren. Und wie.
Eidechse auf der Spur
Abzüglich einer Übungsrunde zum Aufwärmen der Reifen blieb genug Zeit für einen einzigen Versuch. McLaren beeilte sich und schickte Piastri und Norris sofort los. Sie übernahmen die Führung. Verstappen bog als letzter auf die Überholspur ab. Norris legte mehr als 0,4 Sekunden Rückstand auf seinen Kollegen hin, der im letzten Streckenabschnitt einen Fehler machte. Hamilton wähnte sich auf Platz zwei, doch Verstappen konterte in letzter Sekunde. Piastri fiel hinter George Russell im zweiten Mercedes zurück und startete auf Platz fünf. Charles Leclerc kam im zweiten Ferrari nur als Neunter ins Ziel.
Als es dann zu Beginn der ersten Qualifikationsrunde ernst wurde und die Ampel auf Grün schaltete, verirrte sich anders als wenige Stunden zuvor im Abschlusstraining keine Eidechse auf die Strecke. Das verwegene Reptil sorgte für eine vierminütige Unterbrechung. Dass die Fahrer trotzdem über den eidechsenfreien Kurs schlichen, hatte andere Gründe: Bloß nicht schon in der Aufwärmrunde die Reifen verbrennen, sonst war ihnen mit einer guten Zeit nichts mehr zu machen.
Norris machte sofort Eindruck, fuhr in allen Sektoren Bestzeit und ließ Leclerc und Piastri hinter sich. Während Rekordweltmeister Hamilton am Funk über das nervöse Heck seines Mercedes klagte, meldete sich Verstappen zurück. Die Trainingsleistung des Niederländers hatte bei Red Bull große Sorgen bereitet, lag er doch am Freitag noch immer hinter den Führenden zurück.
Schreckmoment für Verstappen
Anschließend verkürzte er den Abstand zu Norris auf etwas mehr als eine Zehntelsekunde, wirkte kraftvoller als erwartet und fuhr im ersten Abschnitt, der 18 Minuten dauerte, die zweitschnellste Zeit. Lance Stroll (Aston Martin), Pierre Gasly (Alpine) sowie die beiden Sauber-Piloten Valtteri Bottas und Zhou Guanyu schieden aus.
Auch der Australier Daniel Ricciardo (Racing Bulls) ist in seinem wohl vorerst letzten Qualifying in der Formel 1 früh gescheitert. Dem Vernehmen nach steht der achtmalige Grand-Prix-Sieger wegen ungenügender Leistung vor der vorzeitigen Disqualifikation.
Im zweiten Abschnitt überlebte Verstappen eine Schrecksekunde. Zu Beginn der Schlusskurve, in der später auch Sainz eingeholt wurde, traf er eine Bodenwelle, die ihn von der Strecke zu werfen drohte. Der Niederländer fing sein Auto meisterhaft ab und verhinderte anders als der Spanier, dass es in die Barriere flog. Trotzdem fuhr er weit über die Begrenzungslinien und die Rennleitung strich seine Rundenzeit. Sein zweiter Schuss traf.
Sein Teamkollege Sergio Pérez schaffte es dagegen nicht ins Finale um die Pole Position und landete auf Platz 13. Auch das Williams-Duo Alex Albon und Franco Colapinto schied aus, ebenso Esteban Ocon (Alpine) und Kevin Magnussen. Sein Haas-Teamkollege Nico Hülkenberg schaffte es in letzter Sekunde noch in die Top Ten und sorgte mit Startplatz sechs für Aufsehen.
Auch Bernd Mailänder muss sich am Steuer seines Safety Cars auf einen arbeitsreichen Sonntag einstellen. Weil die Strecke rutschig ist und die Barrieren wenig nachgiebig, sind Unfälle vorprogrammiert. Seit die Rundstreckenfahrerszene nach Singapur gekommen ist, musste Bernd Mailänder jedes Mal am Steuer des Safety Cars auf die Strecke. Sainz‘ Crash war vielleicht nur ein Vorgeschmack. Und Verstappens Zwist mit der FIA ist noch lange nicht ausgestanden.