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Massenpanik in der Frankfurter Nordwestmitte: Hat die Polizei zu spät kommuniziert? | hessenschau.de

Unmittelbar nach Ausbruch der Massenpanik in der Frankfurter Nordwestmitte verbreiteten sich zahlreiche Falschmeldungen über soziale Netzwerke. Die Polizei hingegen hielt sich lange Zeit bedeckt – und sorgte mit ihrer Kommunikationsstrategie für Irritationen.

Als die ersten Videos in den sozialen Netzwerken die Runde machten, war die Polizei noch nicht einmal da. Samstagnachmittag, 15:25 Uhr, im Frankfurter Nordwestzentrum. Ein lauter Knall, verwirrte Blicke, nur wenige Sekunden später rennen Dutzende Menschen los.

Wenn Sie nicht vor Ort sind, können Sie das Geschehen auf Instagram oder TikTok mit einer Verzögerung von nur wenigen Minuten verfolgen – Falschmeldungen inklusive. Mal ist in einem TikTok-Video von einem Messerstecher die Rede, mal von Schüssen – wie auf dem rechten „Nachrichtenportal“ NIUS. Die Falschmeldungen verbreiten sich schneller, als die Polizei es zulassen würde – wenn sie überhaupt Einfluss hätte.

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00:32 Min|Danijel Majic

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Erste Nachricht nach fast zwei Stunden

„Wir haben nicht die Möglichkeit, die sozialen Medien vollständig zu überwachen“, sagte Polizei-Pressesprecher Patrick Rüter drei Tage später Massenpanik im Gespräch mit der Personalabteilung. In Situationen wie diesen ist nicht die Korrektur falscher Behauptungen im Internet die primäre Aufgabe der Polizei, sondern vielmehr die Weitergabe von geprüften und verifizierten Informationen.

Und doch wirft die Kommunikationsstrategie der Polizei am Samstag Fragen auf. Der Informationsfluss erfolgt langsam und spärlich, auch an die Medien. Im Vorfallbericht an Polizei und Feuerwehr ist von „Schussgeräuschen“ die Rede. Innerhalb weniger Minuten waren die Einsatzkräfte vor Ort und begannen mit der Abriegelung und Durchsuchung des Einkaufszentrums.

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Eine erste Meldung zum Einsatz veröffentlichte das Polizeipräsidium allerdings erst um 17.25 Uhr auf dem Kurznachrichtendienstdie Zahl wird später auf neun korrigiert). Zu diesem Zeitpunkt war das alles fast zwei Stunden her.

Falschmeldungen mit Eigenleben

Auch die Presse, die zu diesem Zeitpunkt bereits vor Ort war, erfuhr nichts Näheres. Die Polizeisprecher im Nordwestzentrum verweisen die Reporter auf die Meldungen unter

Die online geteilten Aufnahmen und angeblichen Augenzeugenberichte entwickeln mittlerweile ein für Social-Media-Kanäle typisches Eigenleben.

Weil ein Video einen großen, roten Fleck auf dem Boden im Keller des Nordwestzentrums zeigt, taucht in den Kommentarspalten verschiedener Medien die Frage auf, woher das Blut kam. Fast zeitgleich machten Videoaufnahmen von der Festnahme eines Mannes durch Einsatzkräfte die Runde. Auf einigen von ihnen ist das Gesicht des Häftlings deutlich zu erkennen. Der Täter?

Genauigkeit vor Geschwindigkeit

Später stellt sich heraus, dass es sich bei dem festgenommenen Mann lediglich um einen alkoholisierten Passanten handelte, der sich den Polizeibefehlen widersetzte. Nach Angaben der Polizei stammte die Blutlache aus einer Kopfwunde, die sich eine Frau bei der Flucht aus dem Einkaufszentrum zugezogen hatte. Das alles kommuniziert die Polizei – mit Zeitverzögerung.

„Selbstverständlich behaupten wir, dass wir Informationen erst dann herausgeben können, wenn wir sie geprüft haben“, sagt Polizeisprecher Rüter. In diesem Fall geht Genauigkeit vor Geschwindigkeit. Im Falle des Nordwestzentrums bedeutete dies die Überprüfung einer Fläche mit einer Gesamtfläche von 94.500 Quadratmetern – mehr als 13 Fußballfelder.

„Man muss bedenken, dass einige Geschäfte geschlossen waren“, sagte Rüter. Für die Polizei bedeutete das: Auch wenn auf den ersten Blick keine Anzeichen eines Terroranschlags, eines Amoklaufs oder einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen erkennbar waren, musste darauf geachtet werden, dass nichts übersehen wurde.

„Stellen Sie sich vor, es gäbe nach einem Schusswechsel zwischen zwei Personen einen Verletzten, der angeschossen wurde und in einen der Läden flüchtete“, nennt Rüter ein hypothetisches Szenario.

Link zur Stadtbilddebatte

Das Dilemma der Polizei ist verständlich. Eine teilweise Entwarnung, die sich später als falsch herausstellt, kann tatsächlich fatale Folgen haben. Und wenn sich die Information, dass es keine Toten gegeben hat, nachträglich als verfrüht erweist, stellt sich schnell die Frage, ob die Polizei nicht überstürzt gehandelt hat.

Doch umgekehrt befeuerte die umsichtige, aber langsame Informationsweitergabe am Samstag die Spekulationswelle im Internet. Verschiedene Kommentatoren haben den Vorfall in der Nordwestmitte längst mit der von Bundeskanzler Merz angestoßenen „Stadtbild“-Debatte in Verbindung gebracht.

Die Vermutung, die oft nicht einmal explizit geäußert wird, ist, dass das, was im Frankfurter Einkaufszentrum passiert ist, durchaus auf migrantische Täter zurückzuführen sein könnte. Bis heute ist unklar, wer hinter dem „Knallgeräusch“ steckt.

Angebliche Vertuschung

Was die Polizei unter „vorsichtiger“ Kommunikation versteht, wird in dieser Stimmung zum Vertuschungsversuch umgedeutet: „Böller, ja klar. Deshalb hat man auf einem Video die Schüsse gehört und sieht Menschen weglaufen“, kommentierte ein User die Berichterstattung des hr auf Instagram.

„Eine Blutlache wegen der Böller, ich mache mir etwas vor“, lautet ein anderer Kommentar. Die Erklärung für einige Kommentare – ein bewusstes Verschweigen der wahren Hintergründe durch Polizei und Medien im Verbund: „Es ist schön, alles zu verharmlosen! Die Weihnachtsmärkte und Co. stehen vor der Tür. Nur keine Panik, liebe Medien.“

Mehrere Hundert Menschen stecken fest

Doch nicht nur Anhänger von Deep-State-Verschwörungsnarrativen sind irritiert über den langsamen Informationsfluss am Samstagnachmittag. Gleichzeitig sitzen im Nordwestzentrum noch immer mehrere Hundert Menschen fest, etwa in der Titustherme. Viele fragen sich, was passiert ist.

Wie alle anderen erfuhren sie erst um 19:05 Uhr, dass es keine Hinweise auf einen Schusswaffengebrauch gab, sofern sie dem X-Konto der Frankfurter Polizei folgten. Die endgültige Entwarnung erfolgt um 21:30 Uhr

Feuerwehren kommunizieren auf detailliertere Weise

Dass Kommunikation in schwierigen Einsatzsituationen auch anders funktionieren kann, zeigt derweil die Frankfurter Feuerwehr. Bei Großoperationen besteht eine Art interner Bedarf an externer Kommunikation. „Unser Ziel ist es, spätestens 40 Minuten nach Einsatzbeginn erste Informationen zu veröffentlichen“, erklärt Markus Röck, Leiter der Frankfurter Feuerwehr.

Auch bei der Frankfurter Feuerwehr gilt: Es wird nur veröffentlicht, was bestätigt ist. „Als Behörde mit Sicherheitsaufgaben braucht man das Vertrauen der Menschen, dass das, was man kommuniziert, verifiziert ist“, betont Röck.

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Allerdings kommuniziert die Feuerwehr in der Regel ausführlicher, gibt Updates und erklärt, was die Einsatzkräfte gerade tun. Das Publikum wird einigermaßen mitgenommen. Auch im Nordwestzentrum war die Feuerwehr am Samstag vor Ort. Allerdings übernahm die Polizei vereinbarungsgemäß die Außenkommunikation.

Das Frankfurter Polizeipräsidium will die Kritik zum Anlass nehmen, die eigene Kommunikationsstrategie in Großlagen zu überprüfen. „Wir werden das mit allen Beteiligten weiterverfolgen“, erklärt Pressesprecher Rüter.

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