Vermutlich handelte es sich um einen Böller, der am Samstag in der Frankfurter Nordwestmitte Hunderte Menschen in Panik versetzte. Im Interview mit hr erklärt der Psychologe Can Isyapar, was in solchen Momenten mit uns passiert.
Polizeifahrzeuge parken im nordwestlichen Zentrum. Im Einkaufszentrum in Frankfurt sorgten am Samstag Knallgeräusche bei Besuchern für Panik.
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Ein Knall. Verwirrte Blicke. Schreie. Menschen rennen in Panik. Die Bilder aus dem Frankfurter Nordwestzentrum, wo es am Samstag laut knallte Massenpanik und dann ein großer Polizeieinsatz Ausgelöst werden soziale Netzwerke überflutet. Neun Menschen wurden verletzt.
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06:14 Min||hessenschau
Knall und Panik im Nordwestzentrum: Polizei fahndet nach vier Verdächtigen

Mittlerweile ist klar, dass ein Böller der Auslöser war. Die Polizei sucht in diesem Zusammenhang nach vier Tatverdächtigen. Der hr sprach mit dem Frankfurter Psychologen Can Isyapar darüber, was ein solcher Vorfall in den Köpfen von Zeugen und Betroffenen auslöst.
Das Interview wurde von Koray Elele geführt
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hessenschau.de: Herr Isyapar, viele Menschen hörten einen lauten Knall im Nordwestzentrum und gerieten in Panik. Was löst ein Moment wie dieser in Ihrem Kopf aus?
Can Isyapar: Ich denke, es ist für jeden verständlich, dass die Menschen in diesem Moment enormen Stress und Angst erleben. Solche Situationen können dazu führen, dass wir uns noch Tage nach dem Ereignis nicht wohl fühlen, dass wir unter Umständen Schlafstörungen haben und dass wir Schwierigkeiten haben, uns zu konzentrieren. Es gibt alle möglichen Symptome.

hessenschau.de: Auch wenn sich die Bedrohungslage wie hier im Nachhinein als nicht real herausstellt?
Isyapar: Der Körper kann nicht zwischen realer und unrealistischer Gefahr unterscheiden. Dementsprechend können Erfahrungen wie diese manchmal dazu führen, dass Menschen ein Trauma entwickeln.
hessenschau.de: Hat sich unser Angstempfinden verändert? Mit anderen Worten: Hätte ein lauter Knall vor 20 oder 25 Jahren die gleiche heftige Reaktion ausgelöst?
Isyapar: Das Gefühl der Angst hat sich definitiv verändert, weil sich die Bedrohungssituation oder die wahrgenommene Bedrohungssituation geändert hat. Ich würde es zum jetzigen Zeitpunkt nicht als Überreaktion bezeichnen. Es ist eine normale Reaktion auf das, was die meisten Menschen derzeit als echtes Gefahrenpotenzial ansehen.
hessenschau.de: Weil wir einen lauten Knall mittlerweile automatisch mit einer Explosion oder einem Schuss assoziieren?
Isyapar: Als ich jung war, hätte dich ein Knall vielleicht dazu gebracht, dich für einen Moment umzudrehen. Die meisten Leute hätten wahrscheinlich angenommen, dass es sich um einen schelmischen Streich handelte. Heutzutage hat man ganz andere Bilder im Kopf. Zum Beispiel: Das könnte ein Terroranschlag sein. Dabei kann es sich um einen Amoklauf oder Ähnliches handeln. Der Mensch ist aufs Überleben ausgerichtet. Das heißt, wir gehen automatisch vom Worst-Case-Szenario aus.
hessenschau.de: Auch wenn Sie außer dem Lärm nichts bemerken? Theoretisch kann ein Knall auch von einem herabfallenden Gegenstand oder einer zugeschlagenen Tür ausgehen.
Isyapar: Wie gesagt: In solchen Momenten können wir nicht zwischen realer und nichtrealer Gefahr unterscheiden. Dies ist ein evolutionärer Prozess. Für unsere Vorfahren zum Beispiel bedeutete ein Rascheln im Gebüsch große Gefahr. Es hätte ein Säbelzahntiger sein können, der da rauskam und uns in Stücke riss.
Ähnlich ist es heutzutage mit so einem Knall. Und die Reaktion ist auch nicht falsch. Denn es besteht die Möglichkeit, dass es irgendwann nicht nur ein Knaller ist.
hessenschau.de: Zumal die meisten Leute den Knall wahrscheinlich gar nicht gehört haben, sondern nur gesehen haben, wie andere losgelaufen sind.
Isyapar: Spannenderweise kann dies bei uns eine viel heftigere Angstreaktion auslösen, als wenn wir wüssten, dass eine echte Gefahr besteht. Diese Zweideutigkeit – die Situation könnte harmlos sein, die Situation könnte aber auch absolut tödlich sein – sorgt manchmal dafür, dass wir wirklich die größtmögliche körperliche Reaktion haben. Und in diesem Fall ist das nur die Flucht.
hessenschau.de: Kurz nach dem Vorfall wurden die sozialen Netzwerke mit Bildern und teilweise falschen Behauptungen überschwemmt. Erhöht dies die Unsicherheit?
Isyapar: Das ist sicherlich eine Frage der Medienkompetenz. Nehmen wir den letzten Samstag. Die erste Information, die ich, glaube ich, eine halbe Stunde nach dem Vorfall erhielt, war, dass neun Menschen erschossen worden waren. Das macht dir natürlich Sorgen. Und es gibt durchaus Menschen, für die das auch eine traumatische Erfahrung sein kann.
Editor:
Danijel Majic
Übertragen:
hr fernsehen, hessenschau,
Quelle: hessenschau.de, dpa/lhe

