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Martin Hikel: Was der Rückzug des Bürgermeisters über die SPD verrät

Martin Wanderel
Was der Rücktritt des Neuköllner Oberbürgermeisters über die SPD verrät




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Aus Sicht vieler Genossen geht der Neuköllner Oberbürgermeister zu hart gegen Clans und zu deutlich gegen Islamisten vor. Sein Rückzug stürzt den Berliner Landesverband in eine Krise.

Der Rückzug eines Kommunalpolitikers sorgt selten für landesweite Schlagzeilen. Doch der Fall von Martin Hikel, dem sozialdemokratischen Oberbürgermeister von Berlin-Neukölln, sagt viel Grundlegendes aus: über die Lage der SPD einerseits und verdrehte Identitätsdebatten der politischen Linken andererseits.



Hikel, der Neukölln seit 2018 regiert, wollte am vergangenen Wochenende erneut als Bürgermeisterkandidat antreten. Doch die SPD-interne Sitzung eskalierte. Dem 39-Jährigen werde wegen seines Vorgehens gegen kriminelle Großfamilien Rassismus vorgeworfen, gleichzeitig habe er aber zu wenig über antimuslimischen Rassismus gesprochen, hieß es. Am Ende stimmten nur 68 Prozent der Delegierten für den beliebten Bürgermeister. Hikel zog sich enttäuscht zurück.

Der Rückzug von Martin Hikel ist ein politisches Erdbeben

Für die Berliner SPD kommt sein Rückzug rund zehn Monate vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin einem Erdbeben gleich. Hikel ist auch Landesvorsitzender seiner Partei – vorerst. Er wurde erst vor anderthalb Jahren von den Mitgliedern in sein Amt gewählt. Seitdem führt der Neuköllner Oberbürgermeister gemeinsam mit seiner Co-Chefin Nicola Böcker-Giannini den Landesverband in einem Umfeld weit links von ihm stehender Funktionäre. Beide erzielten auf dem Wahlparteitag trotz eines deutlichen Votums der Mitglieder schlechte Ergebnisse.


In Neukölln Hikel hat sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt, dass das Land härter gegen kriminelle Strukturen in Neukölln vorgeht im Einsatz, konnte bei Razzien persönlich gesehen werden. Hikel ist daher vielen Parteilinken ein Dorn im Auge. Teile der SPD weigern sich, den Begriff „Clan“ überhaupt zu verwenden. Wer es nutzt, gilt schnell als Rassist. Und daher unwählbar. Dafür reicht ein kontroverses Wort.

Vereine und liberale muslimische Organisationen in Neukölln berichten hingegen von einer guten Zusammenarbeit. Es ist Hikel zu verdanken, dass sich radikale Vereine und gewalttätige Großfamilien in Neukölln nicht noch weiter ausbreiteten. Allerdings scheinen diese Erfolge den Bezirkschef nicht vor Widerständen aus den eigenen Reihen zu schützen. Darüber berichtet ein muslimisches Vereinsvorstandsmitglied Sterndass ihm kürzlich von SPD-Vertretern geraten wurde, weniger eng mit Hikel zusammenzuarbeiten.




Und das, obwohl Hikels Einsatz gegen politischen Extremismus und für Verständigung auch bundesweit Beachtung fand. Während Neukölln nach Beginn des Gaza-Krieges zu dem Ort wurde, an dem der Hass auf Israel so deutlich durch die Straßen hallte wie nirgendwo sonst in Deutschland, versuchte Hikel, die demokratischen Kräfte in seinem Bezirk gegen den Aufstieg der Radikalen zu bündeln. So öffnete er beispielsweise sein Rathaus für ein Treffen zwischen jungen Israelis und jungen Menschen arabischer Herkunft. In diesen spannungsgeladenen Zeiten sei das Treffen zu einem politischen Statement geworden, berichtete die „Tageschau“ um 20 Uhr


Oder ein Treffen im Dezember 2023. Nach den Krawallnächten von Hamas-Anhängern in Neukölln lud er unter starkem Polizeischutz zum Jüdischen im Rathaus ein Chanukka-Fest. Vor Vertretern muslimischer, jüdischer und christlicher Verbände erklärte er: „Wir werden nicht zulassen, dass der Antisemitismus einiger weniger die Lebensfreude und Hoffnung vieler beeinträchtigt.“

Selbst unter kritischeren Genossen wird Hikels Leistung als Bürgermeister anerkannt. Kritisiert wird seine schlechte Kommunikation innerhalb der Partei. Es heißt, er reagiere nicht angemessen auf Kritik, sondern ignoriere sie. Aber reicht das aus, um einen beliebten Bürgermeister zu vertreiben?





Unterstützung erhält Hikel vom Neuköllner Integrationsbeauftragten Güner Balci. Sie scheint geradezu verärgert zu sein: „Die Islamisten in Berlin haben hier Erfolg gehabt, indem sie sich mit willigen und naiven Unterstützern aus der SPD zusammengetan haben“, kommentierte sie den Rückzug.

Balcis Beschreibung der Lage für Neukölln ist drastisch: Es gebe teilweise gewalttätige Angriffe von Radikalen auf gemäßigte Muslime, die sich gegen den Terror der Hamas aussprechen. „Wir sehen salafistische Prediger in den Moscheen“, sagt Balci, „Clan-Gewalt auf den Straßen.“ Hikel hat diese Probleme erkannt und bekämpft. Er hat die große Mehrheit der Neuköllner hinter sich.





Ähnlich äußerte sich auch die Rektorin der Deutsch-Arabischen Schule Neukölln, Hudhaifa Al-Mashhadani. Hikel stehe für eine klare Haltung „gegen jede Form von Extremismus – ob religiös, politisch oder ethnisch motiviert“.

Sein Rückzug kommt trotz Kritik aus der SPD überraschend. Selbst im eigenen Lager wird sein Abgang als Scheitern des Versuchs gewertet, den Landesverband stärker an den Interessen der Mitglieder und Wähler auszurichten. Hikels Rückzug markiert den aktuellen Höhepunkt eines langwierigen Konflikts zwischen einer Strömung, die auf pragmatische Regierungsführung setzt, und einer stark linksorientierten Beamtenebene.

Zunehmend auf dem Vormarsch ist das linke Lager – eine Gruppe, die ihre politische Arbeit vor allem in den sozialen Medien betreibt, denen es oft wichtiger erscheint, richtig über Probleme zu sprechen, als wirksam gegen sie vorzugehen.





Hikel ist nicht das erste Opfer dieses Konflikts: Vor ihm traf es seine Neuköllner Vorgängerin Franziska Giffey, die als amtierende Wirtschaftssenatorin nicht einmal einen Listenplatz für die kommende Wahl erhielt. Und der Konflikt reicht weit über Berlin hinaus: Auch Hikel wurde von Beamten bestraft, als er versuchte, in den Bundesvorstand der SPD zu gelangen.

Trotz der langen Geschichte haben viele in der SPD wenig Verständnis für den Rückzug des 39-Jährigen. Das war eine Kurzschlussreaktion, eine Überreaktion. Letztendlich gewann er trotz der Kritik klar die Nominierung. Sieben von zehn Mitgliedern stimmten für ihn.

Mit seinem Rückzug gefährde der Landeschef nicht nur seine eigene Karriere, sondern den gesamten Wahlkampf im Herbst, heißt es. Wie lange kann jemand, der so stark von der Kritik aus den eigenen Reihen betroffen ist, an der Spitze des Landes bleiben? Warum gibt Hikel der lauten Minderheit solche Macht?


Spitzenkandidat Krach will an der Kriminalitätsbekämpfung festhalten

Der Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl, Steffen Krach, bedauert Hikels Rückzug: „Martin Hikel ist seit acht Jahren ein starker SPD-Bezirksbürgermeister und erhält für seine Arbeit viel Anerkennung von den Menschen auf den Straßen Neuköllns.“ Krach sagt, er hätte sich gewünscht, dass Hikel auch in Neukölln weitermachen würde. Krach warnt: „Die Berliner SPD hat verschiedene Flügel und das ist nicht nur gut, sondern geradezu notwendig für eine Partei, die den Anspruch erhebt, alle Themen im Blick zu haben, die unsere ganze Stadt bewegen.“

Begegnung in Neukölln

Araberstämmige Berliner treffen Israelis: „Wir dachten, es wird knifflig“

Krach unterstützt den politischen Ansatz des Neuköllner Oberbürgermeisters: „„Das Bedürfnis nach Sicherheit ist weder konservativ noch links, es ist menschlich“, sagte der ehemalige Regierungspräsident von Hannover und ehemalige Wissenschaftsstaatssekretär in Berlin. Im Kampf gegen Clankriminalität steht er auf der Seite von Hikel: „Ich sehe es als Aufgabe der gesamten SPD, jede Form von Kriminalität in unserer Stadt wirksam zu bekämpfen.“

Am Samstag wird Krach auf einem Landesparteitag der SPD offiziell nominiert. Übrigens wurde er von – Martin Hikel – von Hannover nach Berlin gebracht.

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