Es ist ein politisches Erdbeben für die Neuköllner SPD, aber auch für die Berliner SPD: Der bekannte und beliebte Bezirksbürgermeister Martin Hikel wird 2026 nicht erneut als Kandidat antreten. Der Co-Landesparteichef zog die Konsequenzen aus dem aus seiner Sicht zu schlechten Ergebnis bei der Kandidatenwahl am Samstag. Die SPD hat nur zwei Bezirksbürgermeister – einer davon ist Hikel.
Die Bezirksabgeordneten der SPD Neukölln wollten am Samstag ihre Kandidaten für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, zur Bezirksverordnetenversammlung und zum Bezirksamt ermitteln. Der 2,08 Meter große Hikel wurde als Bürgermeisterkandidat nominiert, doch bei der Versammlung gab es deutliche Kritik von Seiten der Parteilinken und Jusos.
Kritik an Hikels gemeinsamen Einsätzen gegen kriminelle Clans
Sie warfen dem 39-Jährigen zu häufige Medienauftritte bei gemeinsamen Einsätzen von Behörden und Polizei gegen kriminelle Clanstrukturen vor. Er würde auch den Begriff antimuslimischer Rassismus nicht verwenden und nicht ausreichend mit der Partei kommunizieren.
Seine Kritiker erteilten ihm schließlich eine Lektion, als er nominiert wurde. Hikel wurde nur mit 68,5 Prozent der Stimmen zum Bürgermeisterkandidaten gewählt. Doch dann geschah, was seine Kritiker vielleicht nicht erwartet hatten. Hikel erklärte, dass er nicht erneut für das Amt des Bezirksbürgermeisters kandidieren werde. Er soll den Schritt damit begründet haben, dass das Ergebnis nicht ausreiche, um geschlossen in den Wahlkampf zu gehen.
Ich habe meinem Kreisverband ein Angebot für eine pragmatische Politik gemacht. Das Ergebnis gibt mir nicht genug Rückenwind.
Martin Wanderel auf eine Kandidatur verzichten
Laut „BZ“ sagte er wörtlich: „Ich habe bei meinem Vortrag deutlich gemacht, dass wir uns in einer schwierigen Situation befinden. Kulturell, intern und extern auf uns. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir nächstes Jahr erfolgreich sein können, wenn wir vereint sind. Liebe Genossen, das Ergebnis zeigt, dass es diese Einigkeit nicht gibt. Das ist schade, das ist bedauerlich. Das meine ich ernst. Ich kann in dieser Form nicht Ihr Spitzenkandidat sein.“ Nach Hikels Aussage wurde die Bezirksdelegiertenkonferenz abgesagt.
Abgeordneter spricht von „Super-GAU“ der SPD
„Ich habe meinem Kreisverband ein Angebot für eine pragmatische, den Bedürfnissen meines Kreises entsprechende Politik gemacht“, sagte Hikel anschließend dem Tagesspiegel. „Allerdings gibt mir das Ergebnis der SPD Neukölln nicht genug Rückenwind für einen erfolgreichen Wahlkampf als Bezirksbürgermeister, um die Herausforderungen in Neukölln in den kommenden Jahren zu meistern.“ Daraus zieht er ein Fazit „nach acht Jahren sehr erfolgreicher Arbeit im Landkreis“. Bis zum Ende seiner Amtszeit wird er sich voll und ganz seinem Amt widmen.
Für die Neuköllner SPD sei der Vorfall ein „Crash-Ereignis“ gewesen, sagt ein Sozialdemokrat. Ohne den bekannten Hikel wird die Wahl noch schwieriger. Unklar ist auch, ob seine Kritiker ihn wirklich zu diesem Schritt bewegen wollten. Von einem ungeplanten Unfall ist die Rede. „Wenn die Leute gewusst hätten, was das bedeutet, hätte es wahrscheinlich nicht so viele Gegenstimmen gegeben“, sagt einer.
Wollten die Kritiker Hikel bewusst schaden?
Ein anderer wiederum wirft den Kritikern aus dem linken Lager der Partei Kalkül vor: „Das war eine Ansage.“ Hikel hatte zuvor deutlich gemacht, dass er auch nach parteiinternen Auseinandersetzungen um die Listen mit einem einheitlichen Ergebnis rechnet. Indem sie sich entschieden, trotzdem gegen ihn zu stimmen, akzeptierten die Kritiker bewusst seinen Verzicht.
„Wir als SPD Neukölln danken Martin Hikel ausdrücklich für seine erfolgreiche Arbeit in den letzten Jahren“, heißt es in einer Stellungnahme der Partei. „Unter oft schwierigen Bedingungen hat er mit großem Engagement dazu beigetragen, unseren Bezirk zusammenzuhalten, den sozialen Ausgleich zu gewährleisten und unsere politischen Prioritäten voranzutreiben. Wir bedauern seine Entscheidung.“ Die Neuköllner SPD wird in diesem Jahr ihre Spitzenmannschaft im Bezirk neu aufstellen.
Es ist unklar, ob Hikel, der sich bis zum Jahresende in Elternzeit befindet, unter diesen Umständen weiterhin Landesparteichef im Duo mit Nicola Böcker-Giannini bleiben will. Sein Rücktritt trifft die Partei hart. In einer Woche, am 15. November, will die Berliner SPD auf einem Landesparteitag Steffen Krach zum Spitzenkandidaten für die Berlin-Wahl benennen.
Der Name von Berlins bekanntestem SPD-Politiker war bereits von der Bezirksliste für die Abgeordnetenhauswahl gestrichen worden. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey wurde von ihrem Bezirksvorstand nicht für die Bezirksliste nominiert. Sie war bis 2023 Hikels Vorgängerin als Bezirksbürgermeisterin und Regierende Bürgermeisterin.
Neukölln war der Ausgangspunkt für Giffeys Karriere
Für Giffey ist es ein politischer Rückschlag – wieder einmal. Nachdem ihre Ambitionen, erneut Spitzenkandidatin zu werden, vor einigen Monaten gescheitert sind, kann sie sich nun selbst im eigenen Kreisverband nicht durchsetzen.
Was ihr bleibt, ist der Direktwahlkreis Rudow, den sie 2023 mit 16 Prozentpunkten Rückstand auf die CDU verlor. Daher scheint es nicht unwahrscheinlich, dass Giffey, die 2021 als Hoffnungsträgerin aus der Bundesregierung zurück nach Berlin wechselte, den Einzug ins Abgeordnetenhaus 2026 verpassen wird.
Besonders bitter für Giffey: Neukölln war einst der Ausgangspunkt für eine der beeindruckendsten bundespolitischen Karrieren der jüngeren Vergangenheit. Nur drei Jahre nachdem Giffey 2015 Bezirksbürgermeisterin geworden war, holte sie die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als Familienministerin in ihr Kabinett. 2021 trat sie im Zuge der Affäre um ihre Doktorarbeit zurück, behielt aber ihre Kandidatur als Regierende Bürgermeisterin von Berlin bei.
Zunächst sah es so aus, als ob Giffey freischwimmen könnte: Sie gewann die Wahl und führte fortan als Regierungschefin eine rot-grün-rote Koalition an. Doch das Chaos der Berlin-Wahl, für das Giffey nicht verantwortlich war, holte sie ein. Bei der Wiederholungswahl 2023 gewann die CDU deutlich.
