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Markenwelt auf den Kopf gestellt: „Europäische Autohersteller können nicht bieten, was BYD bietet“

Markenwelt auf den Kopf gestellt


„Europäische Autohersteller können nicht das bieten, was BYD bietet“

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Künstliche Intelligenz stellt die Markenwelt auf den Kopf. Das zeigt ein aktuelles Ranking der wertvollsten Firmennamen. Mehr Neueinsteiger als je zuvor, extreme Schwankungen bei Technologie- und Automarken. Im Interview mit ntv.de erklärt Nina Oswald, geschäftsführende Gesellschafterin von Interbrand, warum deutsche Marken an Attraktivität verlieren.

ntv.de: Sie sprechen von einer „Disruption“ im diesjährigen Markenranking. Was ist dieses Mal anders als in den letzten 25 Jahren?

Nina Oswald: Die Entwicklung war in den letzten Jahren recht stabil. Dieses Jahr haben wir jedoch mehr Neulinge als je zuvor – und enorme Aufsteiger. Die Top Ten bleibt weitgehend konstant, im Mittelfeld hat sich jedoch viel bewegt. Dort wurde das Ranking durcheinandergewirbelt. Etablierte Marken wurden durch wachstumsstarke, neue Marken verdrängt.

Gibt es dafür einen bestimmten Grund?

KI hat dabei eine große Rolle gespielt. Dadurch können Unternehmen ihre Dienstleistungen digitalisieren, Kunden stärker binden und völlig neue Geschäftsfelder erschließen, in die sie bisher nicht vordringen konnten. Es sorgt für mehr Reichweite – und auch neue Markenerlebnisse.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Besonders deutlich wird dies in der Medienbranche. Marken wie YouTube, Instagram und Netflix haben neue Betätigungsfelder gefunden und sind in den letzten drei Jahren um 40 Prozent schneller gewachsen als die durchschnittliche Wachstumsrate der „Best Global Brands“. Netflix beispielsweise hat seine Marke vom Streaming auf Gaming, Sport und sogar Live-Events ausgeweitet. Das macht die Marke zu einer erfolgreichen Erlebnisplattform.

Mussten Sie aufgrund der Veränderungen durch den KI-Boom Ihre Bewertungsmethode ändern?

Unsere Methode ist robust, da sie auch stark auf Finanzanalysen basiert. Allerdings hat KI den Zugang zu Daten massiv verändert – wir können schneller und umfassender auswerten, auch wenn wir nur öffentlich verfügbare Daten nutzen.

Im Ranking machen sich extreme Ausschläge bemerkbar: Nvidia gewinnt über 100 Prozent beim Markenwert, Tesla verliert ein Drittel, BYD steigt in die Top 100 ein und landet auf Platz 90. Wie erklären Sie sich die Riesensprünge?

Nvidia verzeichnet einen kometenhaften Aufstieg: Das Unternehmen verfügt mit seinem Fokus auf Halbleiterprodukte über ein klares Alleinstellungsmerkmal und dominiert damit seinen Markt. Allerdings könnte ein „Disruptor“, ein Unternehmen, das die Branche durch innovative Ideen und risikofreudige Ansätze revolutioniert, diese Marke zerstören, wenn es nicht in langfristiges „Marken-Storytelling“ investiert, also nur Fakten und Slogans präsentiert, anstatt eine Marke durch fesselnde, emotionale Geschichten zum Leben zu erwecken. Größe ist keine Markenstrategie.

BYD wiederum stellt den Wendepunkt in der Automobilindustrie dar: die Transformation zur Elektromobilität. Mit seiner fortschrittlichen Technologie und seinem breiten EV-Portfolio ist BYD ein Disruptor. Gleichzeitig steht die Marke vor der Herausforderung, außerhalb Chinas Bekanntheit und Vertrauen aufzubauen. Insbesondere in Europa wird dieses Wachstum ohne Investitionen in den Aufbau der Markengeschichte nicht nachhaltig sein.

Deutsche Automobilhersteller verlieren deutlich an Wert. Ein strukturelles Problem?

Es zeigt die Transformationslücke. Mercedes liegt weiterhin auf Platz 10, BMW auf Platz 14 – beide sind etablierte Vorbilder für erstklassige Markenführung. Doch das Ökosystem rund um die Elektromobilität funktioniert für europäische Hersteller oft noch nicht oder wird gar nicht angeboten. Markenstärke schützt in schwierigen Zeiten, doch Geschwindigkeit und Größe bestimmen zunehmend die Zukunft. Europäische Hersteller konnten das, was BYD präsentiert, in dieser Form und Geschwindigkeit noch nicht reproduzieren.

Sie sprechen oft von „Ökosystemen“ und „Erlebniswelten“. Welche Marken machen das besonders gut?

Dazu gehören neben den bereits genannten Medienmarken auch Unternehmen wie Mastercard und Ferrari. Es gilt, Dynamiken zu nutzen und neue Angebote zu entwickeln. Marken, die das meistern, wachsen überproportional – und werden krisenfester.

Sie sagen, erfolgreiche Marken müssten „agil und empathisch“ agieren. Was bedeutet das konkret?

Es gibt Marken wie Uniqlo, Booking oder Shopify, die ihre Kunden sehr gut verstehen. Sie lösen spezifische und einzigartige Probleme für ihre Kunden und schaffen emotionale Bindungen. Und es gibt globale Marken, die davon ausgehen, dass sie „globale, einheitliche Kunden“ haben. Heute müssen sie wieder stärker auf die Bedürfnisse vor Ort eingehen. Märkte weisen geopolitische und kulturelle Unterschiede auf. Kunden wollen gezielt angesprochen werden.

Welche Branchen haben Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren das größte Potenzial?

Die großen Technologieunternehmen werden dominant bleiben und KI wird der Wachstumstreiber bleiben. Aber auch Handelsunternehmen haben Chancen, wenn sie ihre Angebote emotional aufladen, differenzieren und eine Erlebniswelt schaffen. In der Autoindustrie wird es spannend sein, wer beim Übergang zur Elektromobilität die Nase vorn hat – Tesla hinkt bei Innovationen derzeit hinterher.

Diana Dittmer sprach mit Nina Oswald

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