Zu Beginn des Monats war die Welt von Daniel Wiegand noch in Ordnung. Zwölf Monate lang sei ihm von der Bundesregierung signalisiert worden, dass das von ihm mitgegründete Start-up Lilium eine Bundesgarantie in Höhe von 50 Millionen Euro erhalten werde, sagte er Anfang dieser Woche der FAZ. Auch in diesem Fall hatte das Land Bayern dem bayerischen Unternehmen eine Bürgschaft in Höhe von 50 Millionen Euro zugesichert, zudem versprachen Privatinvestoren 100 Millionen Euro zusätzliches Kapital. „Das Geld hätte uns viel weitergebracht, über den Erstflug des zertifizierten Flugzeugs Anfang 2025 hinaus“, sagte Wiegand. Nur wenige Augenblicke später sieht die Welt völlig anders aus.
Nachdem der Bund keine Bürgschaft in Höhe von 50 Millionen Euro aufbringen konnte, kündigte das Elektroflug-Startup an, für seine beiden wichtigsten Betreibergesellschaften Insolvenz anzumelden. Der Antrag werde in den nächsten Tagen beim Amtsgericht Weilheim eingereicht, sagte Lilium. Auch die börsennotierte Muttergesellschaft in den Niederlanden muss möglicherweise Insolvenz anmelden. Für Wiegand droht damit ein Traum zu scheitern, der bereits vor der Gründung von Lilium im Jahr 2015 begann: emissionsfrei zu fliegen.
Schon als Kind war er von Flugzeugen fasziniert. Mit elf Jahren baute er Modellflugzeuge mit Elektromotoren und mit 14 Jahren erwarb er seinen Segelflugschein. Damals gewann Wiegand sogar einen Preis von „Jugend forscht“ – für ein Modell eines adaptiven Flugzeugflügels. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Freiburg widmete sich der gebürtige Tübinger beruflich der Luftfahrt und studierte Luftfahrttechnik an der renommierten TU München.
Hohe Ambitionen treffen auf Realität
Noch während seines Studiums kam ihm die Idee eines vertikal startenden Elektrojets. Viele hätten ihn damals für verrückt gehalten, sagte er später. Doch nach einigem Überreden fand er in den Ingenieuren Sebastian Born, Matthias Meiner und Patrick Nathen Kollegen und gründete mit ihnen 2015 Lilium. Das Start-up startet schnell durch – aber nur im wahrsten Sinne des Wortes.
Das Unternehmen lockt prominente Investoren wie Frank Thelen und Skype-Gründer Niklas Zennström an und sammelt für ein europäisches Start-up außergewöhnlich viel Geld ein – bisher 1,5 Milliarden Euro. Doch immer wieder stoßen die hohen Ambitionen auf die Realität.
Anfang 2020 brannte einer der Prototypen bei Wartungsarbeiten ab; Testflüge mit dem anderen Jet müssen vorerst pausieren; Luftfahrtexperten beginnen, Zweifel an den technischen Versprechen von Lilium zu äußern. Und immer wieder kann Wiegand seine Versprechen nicht halten. Als das Unternehmen 2021 in New York an die Börse ging, sagte Lilium, es könne innerhalb von drei Jahren 90 Flugzeuge bauen und einen Umsatz von 250 Millionen US-Dollar erwirtschaften. Doch dazu kam es bekanntlich nicht.
„Sie werden keinen Wettbewerber finden, bei dem dies nicht der Fall war“
Aus den 2015 prognostizierten 500 Kilometern Reichweite und 400 Kilometern pro Stunde Höchstgeschwindigkeit des ersten Jets wurden nach und nach 300 Kilometer pro Stunde und 175 Kilometer Reichweite. Wiegand hält die Kritik daran für überzogen. „Lilium hat bisher genau die Flugzeuge entwickelt und gebaut, die wir vorhergesagt haben“, sagte er in einem Interview mit der FAZ. Nach insgesamt neun Jahren liegt Lilium rund zwei Jahre hinter dem Zeitplan zurück. „Aber ich glaube nicht, dass es einen Wettbewerber gibt, bei dem das nicht der Fall war.“ Kaum ein Flugzeugprogramm kann ohne Verzögerungen überleben.
Wer einmal mit Wiegand gesprochen hat, weiß, dass er eine Leidenschaft für das elektrische Fliegen hat – und zu 100 Prozent überzeugt ist: von der Branche, von Liliums Technologie, von sich selbst. Vielleicht braucht es auch diese absolute Überzeugung, um so etwas wie diese ehrgeizige Idee überhaupt so weit zu bringen. Allerdings könnte Wiegand mit seinem Verhalten einige Leute vor den Kopf gestoßen haben.
Wiegand und seine Kollegen haben in den vergangenen Tagen intensive Gespräche geführt – offenbar vergeblich. Das Unternehmen gibt noch nicht ganz auf. Lilium-Chef Klaus Roewe hofft, dass das Start-up durch ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung „die Chance auf einen Neuanfang bekommt“. Der Vorstand könnte dann das Unternehmen mit rund 1.000 Mitarbeitern unter der Aufsicht eines Verwalters weiterführen und hätte mehr Zeit, neue Investoren zu gewinnen.