Es ist ein seltsamer Effekt zu beobachten. Das macht sich auch in Andres Veiels Dokumentarfilm „Riefenstahl“ bemerkbar: Einerseits wird Leni Riefenstahl heute wegen ihrer persönlichen Verstrickung in das NS-Regime deutlich härter moralisch verurteilt als vor Jahren und Jahrzehnten und widerlegt auch die Legende, die sie bis dahin selbst gesponnen hat Nach ihrem Tod war sie als Filmemacherin völlig unpolitisch.
Andererseits erleben wir gerade – eher still – die Renaissance seiner Ästhetik. Denn Riefenstahl, deren Filme von Anfang bis Ende vom Prinzip des Körperkults geprägt sind, – nach dem Tod ihres „Führers“ Adolf Hitler, dem sie mit ihrem Nürnberger Reichsparteitagsfilm „Triumph des Willens“ von 1934 gehuldigt hatte – immer neue Idole gefunden, die sie mit ihren Filmen und Fotos verherrlichten. In einer Zeit, in der Millionenumsätze durch Werbung mit ikonografischen Bildern erzielt werden, in der „Stars“ allein durch die Art und Weise, wie sie fotografiert werden, entstehen und sogar ganze künstliche Bildwelten inszeniert werden, sollte man ganz grundsätzlich darauf achten … Riefenstahl perfektionierte die Botschaft der Bilder.
Vor allem in den USA war (und ist) Riefenstahl zur Zeit der Popkultur wieder gefragt. 1974 ließen Mick und Bianca Jagger sie für eine Serie der Sunday Times fotografieren, Andy Warhol wollte sie treffen und der amerikanische Regisseur Quentin Tarantino sagte dem Spiegel ohne Vorbehalte: „Sie war die beste Regisseurin, die je gelebt hat. Das muss man nur.“ Schauen Sie sich ihre Olympiafilme an, um das zu sehen.“
Leider geht Veiel nicht auf diese Ästhetik des verhängnisvoll schönen Scheins ein. Vor allem will er Riefenstahls Selbstbild als unpolitische Regisseurin zerstören und sie als Lügnerin „entlarven“ (als hätte sie das nicht selbst immer wieder getan). Sie bewunderte Hitler und las mit Begeisterung „Mein Kampf“ – dazu durchsuchte er 700 Nachlasskisten im Auftrag der Produzentin des Films, Sandra Maischberger, die anlässlich des 100. Geburtstags des Regisseurs ein langes, Riefenstahls letztes Fernsehinterview gab. Das sind also keine Neuigkeiten.
Riefenstahl vermachte ihren Nachlass der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wo er seit dem Tod ihres Partners im Jahr 2016 der Forschung zugänglich ist. Zu finden sind viele Film- und Talkshow-Schnipsel, von Riefenstahl selbst aufgezeichnete Telefongespräche, Notizen, Briefe und Prozessakten dort – aber Veiel hatte den Eindruck, dass dieser Nachlass sehr gründlich „vorsortiert“ worden sei. Tatsächlich hatte Riefenstahl in ihrem Kontrollwahn versucht, selbst zu entscheiden, was an ihr in Erinnerung bleiben und was vergessen werden sollte. So etwas weckt immer den Detektivinstinkt, auch bei Veiel. Hat das dem Film geholfen oder nicht? Veiel gelang es 2017 mit seinem Künstlerfilm „Beuys“, uns den künstlerischen Ansatz von Joseph Beuys näherzubringen – der nur aus der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte zu verstehen ist.
Aber in „Riefenstahl“ kommt er nicht annähernd heran – was wohl auch daran liegt, dass Leni Riefenstahl als Person eher uninteressant ist. Denn bei ihr gibt es keinen Raum zum Nachdenken, kein Nachdenken oder Zögern, sondern immer nur eine Selbstgerechtigkeit, die nur schwer zu ertragen ist. Wie viele andere Deutsche war sie vom „Führer“ fasziniert und bereit, ihm überall hin zu folgen, sogar in den Untergang. Und später konnte sie sich nicht mehr daran erinnern.
Doch Veiels Ansatz der Entlarvung greift zu kurz, insbesondere wenn man sich Bücher wie „Riefenstahl – Eine deutsche Karriere“ (2002) von Jürgen Trimborn anschaut, in denen das alles in einer viel systematischeren Form zu finden ist als in dem äußerst erratischen dargestellten von Veiel.
Riefenstahl arbeitete als Filmemacherin mit raffinierten Bildmontagen und überraschenden Schnitten und revolutionierte damit die Filmtechnik radikal – allerdings ganz im Sinne ihrer Auftraggeber Hitler und der NSDAP. Als Mensch zeichneten sie zwei Merkmale aus: übermäßiger Ehrgeiz einerseits und politischer Opportunismus andererseits. Mit „Triumph des Willens“ und den beiden Olympiafilmen „Fest der Nationen“ und „Fest der Schönheit“ verschaffte sie dem NS-Regime im In- und Ausland ein positives Image. Sie empfand später nie Reue darüber. Sie versuchte immer, das, was sie tun musste, perfekt zu machen. Wenn sie später zu ihrer Verteidigung sagte, sie hätte diese Filme für die USA, die Sowjetunion oder andere gemacht, wenn ihr der Auftrag und die Mittel dazu gegeben worden wären, dann ist das nicht ganz falsch. Denn sie war keine Fanatikerin (nicht einmal Mitglied der NSDAP), sondern eine Opportunistin, die ihre Fähigkeiten jedem anbot, der dafür bezahlen wollte.
In ihrem Kontrollwahn versuchte Riefenstahl selbst zu entscheiden, was an ihr in Erinnerung bleiben und was vergessen werden sollte.
1932 faszinierte Hitler sie mit einer Rede, die sie im Berliner Sportpalast hörte, so sehr, dass sie am ganzen Körper zitterte – und schrieb anschließend einen Brief an Hitler mit der Frage, ob sie ihn persönlich treffen könne. Daraus ergaben sich zahlreiche Besprechungen – doch das Hauptanliegen Riefenstahls war stets die Auftragssicherung. Sie neigte dazu, mit niemandem Freundschaft zu schließen; für sie war alles eine Geschäftsbeziehung. Die anderen blieben für sie immer ihre Konkurrenten, gegen die sie sich zu behaupten versuchte. Auch das ist eine Konstante in ihrem Leben.
Sie hat schlechte Bewertungen nie verziehen. Nicht einmal der über „Der Heilige Berg“, einen Stummfilm von Arnold Fanck aus dem Jahr 1926, der sie mit seinen „Bergfilmen“ als Schauspielerin berühmt gemacht hat. Sie ließ ihn dann, wie alle, die sie nicht mehr brauchte, emotionslos zurück, als sie 1933 begann, Filme für die Nationalsozialisten zu drehen. 1927 schrieb der Filmkritiker Siegfried Kracauer in der „Frankfurter Zeitung“ eine vernichtende Kritik über „Der Heilige Berg“: „Dieser von Dr. Arnold Fanck in anderthalb Jahren geschaffene Film ist eine gigantische Komposition aus Körperkultphantasien, Sonnennarrheit und kosmischem Unsinn.“
Natürlich sind Frauen, die rücksichtslos ihren eigenen Weg gehen, keineswegs sympathischer als Männer, die das Gleiche tun. Béla Balázs, der ungarische Filmtheoretiker, Kommunist und Jude, arbeitete als Autor und Co-Regisseur an Riefenstahls erstem Film von 1932, „Das blaue Licht“. Der Film floppte in Deutschland und verschwand schnell aus den Kinos. Bald darauf musste Balázs Deutschland zur sowjetischen Emigration verlassen, ohne sein Honorar zu erhalten. Als Riefenstahl 1938 im NS-Staat als Regisseur etabliert wurde, lief „Das blaue Licht“ erneut im Kino – allerdings war Baláz‘ Name aus dem Vorspann verschwunden.
Es ist nicht bekannt, dass sich Riefenstahl jemals für verfolgte Kollegen eingesetzt hat (im Gegensatz zu Gustaf Gründgens, der ebenfalls im NS-Regime engagiert war und immer wieder Appellationsbriefe für andere verfasste). Als ihr Kameramann Willy Zielke, der den „Prolog“ zu den Olympiafilmen gedreht hatte, kurz darauf vor Erschöpfung zusammenbrach und in die Psychiatrie eingeliefert wurde, wurde er dort als psychisch kranker Mensch sterilisiert – ohne seinen Regisseur, der auf dem Laufenden gehalten wurde Datum, Intervention. Nein, sie hat keinen Finger für andere gerührt.
Doch sie konnte es nicht ertragen, die Gewalt mitzuerleben, die ihre Gönner Hitler und Goebbels über die Welt gebracht hatten. Sie war mit einem Kamerateam während des Überfalls auf Polen im Jahr 1939 dabei, musste jedoch anhalten, als sie Zeuge der Gräueltaten deutscher Soldaten wurde. Sie war am 12. September Zeuge einer Erschießung von Juden in Konskie – es gibt Fotos von ihrem Unglauben. Aber sie selbst würde später sagen, dass sie mit diesen Verbrechen nichts zu tun habe. Stattdessen telefonierte sie regelmäßig mit Albert Speer (Hitlers Architekt und Rüstungsminister), der 1966 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Denn seine „Erinnerungen“ waren zu einem Welterfolg geworden. Sie wollte wissen, was für Auftritte er machte. Beide waren aus dem gleichen Holz geschnitzt: Sie waren keine Fanatiker, sondern boten sich jedem an, der versprach, seine Talente einzusetzen.
Ja, es ist unangenehm, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass sie im Alter regelmäßig die Nuba im Sudan besuchte und von den großen, muskulösen Männern fasziniert war – und daraus natürlich einen effektvollen Bildband mit ihren Fotos gemacht hat. Die Welt der Effekte gehörte ihr – und sie lebt auch nach Riefenstahls Tod im Jahr 2003 im Alter von 101 Jahren auf katastrophale Weise weiter.
»Riefenstahl«: Deutschland 2024. Regie und Buch: Andres Veiel. 115 Min. Jetzt im Kino.
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