Punk mit Denkerstirn: Mit dem neuen Album „Artisans & Merchants“ erinnert sich die US-Band The Van Pelt in Songs ohne jegliche Nostalgie an schöne Zeiten.
Im Herbst des Lebens: Der Van Pelt Foto: La Castanya
„Die Fotos waren alle verschwommen / Aber man hat das Gefühl, dass sie schreien“: Verschwommene Erinnerungen dominieren „Punk Song“, das erste Lebenszeichen von The Van Pelt aus New Jersey seit 25 Jahren. Darin lässt Sänger Chris Leo die Zeit Mitte der Neunziger Revue passieren, als er mit seiner Band durch kleine Punk- und Underground-Clubs in den USA und Europa tourte: „Ich erinnere mich nicht an viel von der Show, die wir gespielt haben / Außer dass niemand es konnte.“ Ich verstehe auch nur ein einziges Wort, das ich zu sagen habe.
Begleitet wird der Song von einem Video, das diesen Blick zurück in die eigene Vergangenheit unterstreicht: unscharfe Super-8-Aufnahmen von unterwegs, Fotos aus dem Tourbus, Schnappschüsse aus Backstage-Räumen. Zwanzigjährige, die schüchtern und wütend, optimistisch und naiv auf die Welt blicken, während der 25 Jahre ältere Chris Leo angesichts der zu Bildern gewordenen Erinnerungen ein Gefühl zwischen Versagen und Trotz heraufbeschwört.
Der Song versuche, eine „Mischung aus Nostalgie und Enttäuschung“ zu vermitteln, erklärt Leo in einem Interview, eine Perspektive, die auf das gesamte Artisans & Merchants-Album zutrifft, das Chris Leo gemeinsam mit Brian Maryransky, Neil O’Brian und Sean P. verfasst hat. Greene, die Besetzung von 1997, aufgenommen.
Keine Verherrlichung der Vergangenheit
Wobei diese Nostalgie nie eine verherrlichende Wirkung hat, sie keine Beschwörung besserer Zeiten oder eine Feier der ewigen Jugend ist, sondern vielmehr eine Bestandsaufnahme und Dokumentation der Entstehungsstrukturen der Band, der Prägung, die dieses Lebensumfeld auf einen selbst hinterlassen hat, zum Ziel hat Biografie.
Der Van Pelt: „Kunsthandwerker und Händler“ (La Castanya/Gringo)
Auch wenn The Van Pelt musikalisch meilenweit von der politisierten Punkszene der Neunziger entfernt waren, lernten sie in dieser Welt Selbstermächtigung, den Do-it-yourself-Ansatz und künstlerisches Denken frei von engen Oberbegriffen.
Die Band veröffentlichte Mitte der 90er Jahre zwei Alben auf dem Underground-Label Gern Blendsten aus New Jersey, das sich auf Post-Punk-Sound spezialisiert hatte: Stealing from Our Favourite Thieves (1996) und im darauffolgenden Jahr Sultans of Sentiment. Damals wurde ihre Musik entweder als „Emo“ oder „Indie-Rock“ eingestuft, sie wurden jedoch fälschlicherweise in beide Kategorien eingeordnet.
Für Emo klingen die poetischen und doch politischen Texte zu sehr aufeinander zugerichtet, für Indie-Rock ist die Musik zu gebrochen und zurückhaltend. „Stealing from Our Favourite Thieves“ wird immer noch von verzerrten Gitarren und dem charakteristischen, überschlagenden und eher gesprochenen als gesungenen Gesang von Chris Leo dominiert, der in seinen Texten mit der Eindringlichkeit der Jugend das Politische im Persönlichen hinterfragt und vom Verlorensein in der Gesellschaft singt und der Druck, den Erwartungen der Erwachsenenwelt gerecht zu werden.
Ruhe und Gesellschaft
Mit dem zweiten Album „Sultans of Sentiment“ hatte die Band gelernt, ihre Herangehensweise in sanfteren Tönen zu formulieren, in ruhigen Liedern, die in poetischen Worten von Begegnungen und persönlichen Erlebnissen berichteten, aus denen sich stets auch Fragen nach gesellschaftlichen Zusammenhängen ableiten ließen. Insbesondere dieses Album begründete den Kultstatus von The Van Pelt, der nach ihrer Auflösung durch Mundpropaganda, kopierte Kassetten und MP3-Dateien bei zukünftigen Generationen punksozialisierter Menschen entstand.
2014 veröffentlichte das spanische Label La Castanya unveröffentlichte Aufnahmen der Band mit dem Titel „The Imaginary Third“. Sie waren ursprünglich für ein drittes Album geplant, das nie veröffentlicht wurde. Im Jahr 2022 wurden frühe Demoaufnahmen in einer Mini-Ausgabe auf Band veröffentlicht. Und nun gibt es „Artisans & Merchants“, das den musikalischen Ansatz von The Van Pelt fortführt.
Kaffee mit Gin
Fast alle Songs nehmen die Perspektive des „Punk Song“ ein, blicken in den Rückspiegel, beziehen die Gegenwart auf die Vergangenheit, rekonstruieren Fragmente biografischer Erinnerungen. „Miles from the Memories of Cafe Florent / Where the Days weren nights and the nights the days / Where we tranken Coffee gespickt mit Gin / With the Aging Drag Queens“, heißt es im Eröffnungssong „We Gotta Leave“. Musikalisch liegt der Sternenstaub der Erinnerungen auf allem, glitzernde Klaviaturen weisen darauf hin, dass ein Vierteljahrhundert vergangen ist, in dem Familien gegründet, Berufe erlernt, das Leben gelebt wurden.
Der Fokus liegt nicht auf dem Versuch, die Vergangenheit nachzuahmen – die Vergangenheit wird nur in den Texten skizziert – sondern die Songs strahlen eine Ruhe aus, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen. Die Band ist mit ihren Zuhörern älter geworden, die positive Aufregung der anbrechenden Neunziger ist passé. Doch genau wie damals stellen sich The Van Pelt bewusst den Erwartungen entgegen und schauen ihnen am Ende der Gegenwart tief in die Augen: „In deinen Augen sehe ich eine Vergangenheit / Eine Vergangenheit, die ich auch durchlebt haben muss.“
Das Lied heißt „Old Souls from Different Epochs“. Wie die alten Seelen des letzten Jahrtausends hat auch die aktuelle Band noch viel zu sagen.
gb02 De