Reportage
Beim EU-Lateinamerika-Gipfel in Kolumbien geht es eigentlich um eine engere Zusammenarbeit. Doch die jüngsten US-Angriffe auf mutmaßliche Drogenboote überschatten das Treffen – und die EU scheint dem Thema ausweichen zu wollen.
Das Fischerdorf Taganga, direkt an der Karibikküste Kolumbiens: Seit 70 Jahren reist Juán mit seinem kleinen Kutter weit hinaus aufs Meer. „León del Mar“ – Seelöwe steht in hellblauen Buchstaben auf dem Boot. Manchmal bleiben er und sein Bruder bis zu zwölf Tage auf See. Allerdings haben sie sich nicht so weit gewagt, seit US-Präsident Donald Trump vor zwei Monaten damit begann, mutmaßliche Drogenboote abzuschießen.
Juan ist besorgt. Sie sind Hochseefischer, und wenn Boote plötzlich bombardiert würden, könnte es leicht passieren, dass sie versehentlich hineingeraten. Diese Angst wurde von allen Reisenden in der Gegend geteilt. „Wir beten zu Gott, dass uns nichts passiert“, sagt der 81-jährige Fischer, während er hinter dem Steuer steht. Ein Mann aus der Nachbarstadt ist bereits gestorben.
Seit 70 Jahren segelt Juán mit seinem kleinen Kutter weit hinaus aufs Meer.
Das kleine Fischerdorf liegt nur eine halbe Autostunde von Santa Marta entfernt, wo ab heute der Gipfel zwischen der Europäischen Union und der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) stattfindet. Zwei Tage lang diskutieren mehr als 60 Delegationen darüber, wie die Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Klimawandel und internationale Sicherheit verbessert werden kann.
Ein Dutzend Staats- und Regierungschefs werden erwartet, doch viele haben abgesagt. Der Präsident Mexikos sowie die Präsidenten Argentiniens und Chiles werden nicht nach Santa Marta reisen.
US-Angriffe überschatten Gipfel
Der Gipfel findet inmitten von Spannungen statt, die durch Trumps außergerichtliche Angriffe auf mutmaßliche Drogenschmuggler in der Region ausgelöst wurden. Nur drei Tage vor Beginn des Treffens starben erneut drei Menschen bei einem US-Militärangriff auf ein Boot in karibischen Gewässern – ohne Durchsuchung, ohne Beweise. Das bedeutet, dass in nur zwei Monaten 18 Boote versenkt und mindestens 69 Zivilisten getötet wurden.
Nach den US-Angriffen auf Boote mutmaßlicher Drogenschmuggler haben die Fischer der Region Angst.
Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva spricht offen darüber, was hinter den Kulissen viele Emotionen auslöst. Beim EU-CELAC-Gipfel wird es auch Versuche geben, über Venezuela und die Präsenz US-amerikanischer Streitkräfte im Karibischen Meer zu sprechen. Die Polizei habe jedes Recht, den Drogenhandel zu bekämpfen, aber Washington solle helfen – und nicht drohen, erklärte der brasilianische Regierungschef im Vorfeld des Gipfels.
Offiziell sind die US-Kriegsschiffe vor den Küsten Venezuelas und Kolumbiens im Kampf gegen den Drogenschmuggel stationiert, doch für viele in der Region ist es ein Symbol amerikanischer Einmischung. Trump hat es geschafft, die Region darüber zu spalten.
Das Hauptziel ist der venezolanische autoritäre Staatschef Nicolás Maduro. Eigentlich ist Venezuela ein Transitland für Drogen, produziert selbst aber kaum Kokain. Für viele Beobachter scheint der Kampf gegen den Drogenschmuggel ein Vorwand zu sein. Trump geht es wahrscheinlich mehr um die Ressourcen der Region. Venezuela verfügt über riesige Ölreserven. Ein Regimewechsel würde Trump entgegenkommen.
Experte: Bootsangriffe des US-Militärs im Widerspruch zum Völkerrecht
Für Rosa Merlín Rodríguez, Rechtswissenschaftlerin an der mexikanischen Universität UNAM, sind die US-Angriffe eindeutig völkerrechtswidrig: „Donald Trump legitimiert diese Angriffe, indem er sie mit dem Kampf gegen den Drogenterrorismus rechtfertigt. Aber dieses Argument gibt es im Gesetz nicht.“ Es handele sich um eine politische Konstruktion, die er nutze, um seinen Einfluss auszuweiten und gegen diejenigen vorzugehen, die er für seine Feinde halte, oder gegen Regierungen wie die von Venezuela, wo er intervenieren wolle, sagte Merlin Rodríguez.
Trump hat bereits mit der Landung von Operationen in Venezuela gedroht und den Konflikt weiter eskaliert, indem er einen gigantischen Flugzeugträger in die Region geschickt hat. Auch der kolumbianische Präsident Gustavo Petro ist dem US-Präsidenten ein Dorn im Auge. Die US-Regierung hat Sanktionen gegen den linken Präsidenten verhängt und ihm vorgeworfen, nicht gegen Drogenkartelle vorzugehen. Trump nannte ihn einen „Drogendealer“, einen „Gangster“ und einen „Bösen“.
Der Sprachlosigkeit die EU
Die europäischen Staats- und Regierungschefs scheinen eine Diskussion über die US-Anschläge – ein heikles Thema – lieber zu vermeiden. Bundeskanzler Friedrich Merz und der französische Präsident Emmanuel Macron sagten ihre Teilnahme am Gipfel ab und auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zog es im letzten Moment vor, die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas zu ihrer Vertretung zu entsenden.
Die geringe Wahlbeteiligung sei teilweise auf die zunehmend aggressive Haltung Washingtons in der Region zurückzuführen, sagten anonyme diplomatische Quellen auf der Nachrichtenplattform Bloomberg. Niemand scheint sich die Finger verbrennen zu wollen. Auf Wunsch des ARD Ein Sprecher sagte auf der Regierungspressekonferenz zu den US-Bootsangriffen kurz: „Es liegt in der Verantwortung der USA und nicht von uns, zu beweisen, dass diese Aktivitäten mit dem Völkerrecht vereinbar sind.“
Kurzfristig hat der deutsche Außenminister Johann Wadephul nun seine Teilnahme am EU-CELAC-Gipfel bestätigt. Deutschland will gemeinsam mit Lateinamerika und der Karibik Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Region übernehmen. Es bleibt abzuwarten, wie konkret dies ausfällt.
