Ein Liebesdrama über den „Sondereinsatz des Militärs“, niedliche Panzer für die kleinen Zuschauer: In Russland flankiert und rechtfertigt die Kultur den Krieg. Es ist auch ein Angriff auf die eigene Gesellschaft.
Im vierten Kriegsjahr musste auch die zwölf Meter hohe Skulptur „Big Clay #4“ des Schweizer Künstlers Urs Fischer in der Moskauer Innenstadt verschwinden. Der formlose Stahlhaufen erinnerte zu sehr an einen riesigen Haufen Kot.
Nach dem Selbstverständnis des Staates ist dafür in der Hauptstadt einer kulturell und militärisch überlegenen Nation kein Platz mehr. Jetzt steht eine riesige rote Gartenschaufel, ein Werk von Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen, am Ufer der Moskwa – ganz im Sinne der Mobilisierung von oben.
Die zwölf Meter hohe Skulptur „Big Clay #4“ musste gehen – und wurde durch eine Schaufel ersetzt.
Stalin wurde als Führer und General gefeiert
Im Moskauer Siegespark werden Tonnen von Bronze in Form einer zerfetzten Briefecke platziert. In Kursivschrift sind Botschaften von Soldaten eingraviert: „Mama, vergib mir, ich bin an die Front gegangen, um die Faschisten zu besiegen.“ Oder: „Meine Liebe, ich komme bestimmt wieder.“
Der bisher vor allem mit Heldentum aufgeladene Zweite Weltkrieg wird nun mit persönlichen Schicksalen unterlegt – dahinter steckt der Versuch, die Emotionen von damals für heute zu aktivieren. Die Nachbildung eines historischen Reliefs an der U-Bahn-Station Taganskaja soll dasselbe bewirken: Stalin, umgeben von jubelnden Frauen, Kindern und starken Männern. Der Titel: „Dankbarkeit des Volkes gegenüber dem Anführer und General“
affektive Menschen Patriotische Lieder
Das Russische Geistliche Theater zeigt das Stück „Für unsere Freunde“, das sich auf die Soldaten der „speziellen Militäroperation“ bezieht, wie der Kreml den Krieg gegen die Ukraine nennt. Das Thema: die unerschütterliche russische Opferbereitschaft, der Schauplatz: die Glückseligkeit der Vergangenheit. Chorgesänge wechseln sich mit gefühlvollen patriotischen Liedern ab.
Während der Krieg auf der Bühne heroisch verherrlicht wird, obliegt es dem Film, ihn zu rechtfertigen. „20/22“ heißt die erste Spielfilmreihe über die „spezielle Militäroperation“, die im Frühjahr 2023 in Mariupol gedreht wurde. Regisseur ist der 40-jährige Andrej Simonov, besser bekannt für leidenschaftliche Dramen wie „Mehr als Liebe“ oder „Kuss über dem Abgrund“.
Auch in „20/22“ steht eine Liebesgeschichte im Mittelpunkt: Danila und Alisa studieren Journalismus in Moskau und sind ein Paar. Danila ist für den Krieg, er stammt aus Sewastopol auf der Krim und kennt die angeblich faschistische Situation im Nachbarland. Alisa ist gegen den Krieg und protestiert sogar mit anderen Studenten. Der Film lässt diese Gruppe – in Wirklichkeit waren es Tausende, die gegen den Krieg protestierten – ziemlich erbärmlich aussehen.
Danila schließt sich dem somalischen Angriffsbataillon im Donbass an, Alisa wird im brennenden Mariupol nach ihm suchen und wird angesichts der angeblichen Brutalität der ukrainischen Kämpfer zur Unterstützerin des Krieges. Nachdem sie „alles gesehen und alles verstanden“ hat, kann sie ihren heldenhaft sterbenden Liebhaber nur noch beruhigen. Die plötzliche Einsicht ehemaliger Kriegsgegner ist auch ein Leitmotiv in den Filmen „Der Zeuge“ und „Der Passagier“.
Süße Tanktops für die Kleinen
Um sich auf eine Zukunft ohne Überzeugungskraft vorzubereiten, setzt die russische Z-Kultur auf frühe militärische Bildung, etwa mit dem Zeichentrickfilm „Der kleine T-34“ – ein süßer, kuscheliger Panzer, der durch das Land und durch die Zeit rollt.
Der T-34 ist ein sowjetischer Kampfpanzer aus dem Zweiten Weltkrieg. Zur Erinnerung an den Sieg wurde er vielerorts auf Podeste gestellt. Doch die Zeiten änderten sich und eines Tages, so suggeriert der Film, wollten ihn maskierte Hooligans erneut vom Podium reißen. Der kleine Panzer verteidigt sich mit der einzigen Kanone, die er hat – die Aufschrift darauf: „Für die Heimat“
Der Kurzfilm endet mit einem Satz des russischen Generalissimus und Strategen Alexander Suworow aus dem 18. Jahrhundert: „Wenn du mit einer Pistole auf die Vergangenheit schießt, wird die Zukunft mit Kanonen auf dich schießen.“ Ziel ist die Ukraine, schließlich wurden im Nachbarland zahlreiche sowjetische Denkmäler entfernt. In Russland werden jedoch sogar Statuen von Iwan dem Schrecklichen wieder aufgestellt.
