Mit einer Reform will die schwarz-rote Koalition härtere Sanktionen für Bürgergeldempfänger ermöglichen. Wirtschaftsforscher Fratzscher spricht von einer „populistischen Ablenkungsmanöver“. Auch Ver.di-Chef Werneke übt Kritik.
Die Kritik an der Bürgergeldreform hält an. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, kritisierte die von der Bundesregierung geplante Reform scharf. In der Neuen Osnabrücker Zeitung bezeichnete er das Projekt als „populistisches Ablenkungsmanöver“.
Er bezweifelt, dass die Reform mehr Menschen in Arbeit bringen wird. Es gebe nur sehr wenige Sozialhilfeempfänger, die das System missbrauchen, sagte der Wirtschaftsforscher. Die meisten Empfänger von Bürgergeld haben gesundheitliche Probleme oder sind nicht qualifiziert. Dann „nützt selbst die härteste Sanktion nichts, um sie zur Arbeit zu bringen.“ Ziel der Bundesregierung sei es, „vermeintlich Faule“ zu bestrafen, „damit es dem Rest der Bevölkerung besser geht.“
Auch Ver.di-Chef Frank Werneke äußerte in einem Interview mit den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland Kritik: Die Reform könne „mehr schaden als nützen“. Er warnte davor, unverschuldet in Not geratene Menschen zu stigmatisieren. Das Reformvorhaben gehe zu Lasten der Betroffenen, der Beschäftigten in Jobcentern und Gerichten, sagte Werneke. In den Jobcentern würden „in Zukunft noch mehr Konflikte ausgetragen“ und die Gerichte würden „viele der Verschärfungen anerkennen“.
Sozialverband befürchtet Verschärfung der Wohnungsnot
Auch der Deutsche Sozialverband kritisierte die Reform. Obwohl es an bezahlbarem Wohnraum mangelt, soll es in Zukunft möglich sein, die Mietkosten für Sozialhilfeempfänger vollständig zu eliminieren. „Das finden wir unverantwortlich“, sagte Geschäftsführerin Michaela Engelmeier den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Engelmeier betonte, dass es mit dieser Maßnahme nicht nur diejenigen betreffe, die gerügt werden müssten. Für Leistungsempfänger dürfte es noch schwieriger werden, eine Wohnung zu finden. „Die Vermieter wissen mittlerweile auch, dass die Vergabe einer Wohnung an Bürgergeldbezieher das Risiko birgt, dass das Amt die Miete nicht mehr zahlt.“
Ministerium sieht keine „wesentlichen Einsparungen“
Das Arbeitsministerium hat am Freitag einen ersten Entwurf zur Reform der Bürgerrente vorgelegt. Das Bürgergeld heißt künftig „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ und tritt im Laufe des nächsten Jahres in Kraft. Einer der Kernpunkte: Empfänger sollen ihre Leistungen früher und stärker als bisher gekürzt bekommen, wenn sie Termine verpassen oder ein Stellenangebot ablehnen. Bei mehrfachen Verstößen soll es sogar möglich sein, ihnen das Geld komplett zu streichen – inklusive Zahlungen für Miete und Heizung.
Dies dient in erster Linie dazu, Geld zu sparen. Allerdings liegen die im Entwurf aufgeführten geschätzten Einsparungen deutlich unter dem zuvor von Bundeskanzler Friedrich Merz genannten Ziel. Im kommenden Jahr könnten durch den Wechsel zur Grundsicherung 86 Millionen Euro eingespart werden, wie aus dem Gesetzentwurf hervorgeht ARD-Hauptstadtstudio vorhanden ist. Im Jahr 2027 werden die erwarteten Einsparungen derzeit auf 69 Millionen Euro geschätzt.
Demgegenüber stehen die Gesamtausgaben des Bundes für Bürgergelder. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren es im vergangenen Jahr rund 47 Milliarden Euro. Die Einsparungen allein durch die gesetzlichen Änderungen fallen daher kaum ins Gewicht.
Änderungen noch möglich
Dem Haushaltsentwurf für 2026 zufolge will das Arbeitsministerium bei der aktuellen Bürgerrente noch 1,5 Milliarden Euro einsparen. Diese Summe soll auch deshalb zustande kommen, weil neue Flüchtlinge aus der Ukraine nicht mehr von der Bürgerzulage erfasst werden, sondern stattdessen die geringeren Asylbewerberleistungen erhalten. Von Milliardeneinsparungen durch die neue Grundsicherung spricht das Ministerium allerdings nicht.
Änderungen am Entwurf sind noch möglich. Nach der regierungsinternen Abstimmung, Verbändeanhörungen und weiteren Verfahrensschritten soll die Reform noch in diesem Jahr vom Kabinett auf den Weg gebracht werden und dann den parlamentarischen Prozess durchlaufen. Im Detail kann sich noch viel ändern.