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Krieg in der Ukraine: Flamingo zerstört Putins Öldepots

In der Nacht des vergangenen Montags schreckte ein Pony die Menschen in Serpuchow, Russland, aus dem Bett. Der Feuerschein warf Schatten über die 127.000 Einwohner zählende Stadt, 111 Kilometer südlich von Moskau. Bürgermeister Pavel Zalesow sagte am nächsten Morgen, dass ein leerer Tanker Feuer gefangen habe. Die Einwohner von Serpuchow machten Fotos von himmelhohen Flammen und dichten schwarzen Rauchwolken und schickten sie um die Welt. Und so lügten sie die Stadtoberhäupter Lügen: Es sei nicht ein Lastwagen gebrannt, sondern das Öldepot. Mit 29 Panzern einer der wichtigsten zur Versorgung der russischen Hauptstadt.

Ein kleines Depot für die Nation, lebenswichtig für Moskau und die Region. Später am Montag konnte die Lüge nicht mehr aufrechterhalten werden: Die russische Luftverteidigung meldete, dass es einen ukrainischen Drohnenangriff auf das Land gegeben habe. 193 Raketen wurden abgeschossen, 34 davon in der Hauptstadtregion – 450 Kilometer von der Grenze entfernt. Auch an diesem Wochenende: Ein neuer Angriff führte zu einem Totalausfall in mehreren Moskauer Vororten. Dies zeigt, dass die Ukraine seit langem eigene Langstreckenwaffen entwickelt, baut und einsetzt.

Über welche Waffen und welche Reichweite verfügt die Ukraine?

In den vergangenen drei Jahren des seit Februar 2014 andauernden russischen Angriffs auf ihr Heimatland haben ukrainische Wissenschaftler ein ganzes Arsenal serienreifer Langstreckenwaffen entwickelt. Der bodengestützte Marschflugkörper „Flamingo“ soll eine Reichweite von bis zu 3.000 Kilometern haben; „Neptune“ und „Long Neptune“ sollen bis zu 1000 Kilometer weit fliegen. „Sea Baby“ und „Bober“ heißen zwei ukrainische Drohnen, die bis zu 1.500 Kilometer weit fliegen können. Der nach einem ukrainischen Weißbrot benannte Marschflugkörper „Palianytsia“ soll bis zu 700 Kilometer weit fliegen und zeichnet sich dadurch aus, dass er metergenau trifft. Ukrainische Waffenhersteller haben auch eine Reihe anderer Raketen erfunden. Der erfolgreiche Einsatz der Systeme konnte nachgewiesen werden. Es ist unklar, wie genau sie einschlagen und in welchen Mengen sie derzeit produziert werden.




Auf wen und was schießt das ukrainische Militär mit diesen Waffensystemen?

Insbesondere die Öl- und Gasinfrastruktur Russlands. Sie treffen das Regime in Moskau nun hart. Einige Geheimdienste sagen sogar, dass die Folgen für Russland schlimmer seien als die vom Westen verhängten Sanktionen. Offene Quellen und öffentlich zugängliche Zahlen, Medienberichte und russische Pressemitteilungen zu den ukrainischen Angriffen deuten darauf hin, dass Russlands Energieversorgung in diesem Jahr erheblich beeinträchtigt wurde. Experten der Nachrichtenagentur Reuters rechnen derzeit mit einem Verlust von mindestens 1,4 Millionen Barrel Öl. Ökonomen der Harvard-Universität in den USA schätzen, dass 16 der 38 russischen Raffinerien schwer oder vollständig beschädigt sind. Sie schätzen den monetären Schaden für Öl auf rund 78,2 Millionen Euro pro Tag, allein in diesem Jahr bisher auf 2,346 Milliarden Euro. Für die russische Erdgasindustrie werden es in diesem Jahr bisher voraussichtlich 250 Millionen Euro sein. Unterdessen meldet das russische Außenministerium, dass infolge ukrainischer Luftangriffe zwischen dem 1. Januar 2024 und dem 26. Oktober 2025 18 Zivilisten getötet und 127 verletzt wurden.

Welche weiteren Auswirkungen haben die Angriffe?

Machthaber Wladimir Putin hat den Export von Benzin verboten. Dadurch sollte verhindert werden, dass Landwirte die diesjährige Ernte nicht einfahren können. Der Preis für einen Liter staatlich geförderten Diesel stieg für Verbraucher von 0,64 Euro zwischen dem 1. Januar 2024 und 0,79 Euro am 20. Oktober 2025. Auch Zahlen des russischen Landwirtschaftsministeriums deuten darauf hin, dass die Ernte 2025 teilweise deutlich unter der der Vorjahre lag. In manchen Regionen lagen die Erträge bis zu 24,5 Prozent niedriger als in den Vorjahren. Ministerialbeamte machten dafür „Dürre und logistische Probleme“ verantwortlich. Beispielsweise wurde für die südrussische Region Rostow, eine der ertragreichsten russischen Getreidespeicher, ein Ernterückgang von 20 Prozent gegenüber 2024 dokumentiert. Moskau beruft außerdem zunehmend Reservisten ein, die rund um die Uhr Flugabwehrstellungen besetzen und so kritische Infrastrukturen schützen sollen.

Wie tief im russischen Hinterland griff die Ukraine die Infrastruktur an?

Der Angriff auf Orenburg, das 1.076 Kilometer von der Grenze und unweit der Grenze zu Kasachstan entfernt liegt, ist nachgewiesen. Hier wurde am 19. Oktober nach Februar und Juli 2025 erneut eine Gasaufbereitungsanlage getroffen, über die russische Exporte in das Nachbarland abgewickelt werden. Tagelang konnte weder Gas geliefert noch kasachisches Öl über eine ebenfalls zerstörte Pipeline zur Raffinierung nach Russland transportiert werden. Auch zahlreiche Öldepots und Raffinerien – bis nach Sankt Petersburg, 875 Kilometer von der Grenze entfernt – wurden russischen Quellen zufolge ebenfalls getroffen. Bei dem Angriff in Serpuchow wurde auch das Gelände der Militäreinheit Nr. 87 181, eines der größten russischen Panzer- und Reparaturdepots, angegriffen. Auf Satellitenfotos sind moderne russische Kampfpanzer der Serien T-80U und T-90 sowie Schützenpanzer vom Typ BMP-2 und BMP-3 zu sehen. Das Gebiet ist etwa 140 Fußballfelder groß.

Benötigt die Ukraine trotz eigener Produktion noch westliche Langstreckenwaffensysteme wie die Tomahawk-Marschflugkörper der USA?

Ja, die ukrainischen Streitkräfte brauchen sie. Denn die massiven russischen Luft-, Raketen- und Drohnenangriffe fordern nicht nur hohe Todeszahlen unter der Zivilbevölkerung. Gleichzeitig ist die Energieversorgung der Ukraine seit fast vier Jahren stark beeinträchtigt, was zu Produktionsausfällen führt. Dennoch versuchen ukrainische Verteidigungsunternehmen, mehr Drohnen und Langstreckenwaffensysteme zu produzieren. Erstmals sollen in diesem Jahr 4,5 Millionen Kurz- bis Mittelstreckendrohnen hergestellt werden. Im nächsten Jahr sollen laut Regierungskreisen 600 Flamingo-Marschflugkörper sowie „Hunderte ballistische und weitreichende Präzisionssysteme“ die Werkshallen verlassen. Das bedeutet, dass das ukrainische Militär für den Rest dieses und das kommende Jahr auf westliche Systeme wie den britischen „Storm Shadow“ oder den Tomahawk aus den USA angewiesen sein wird, um den Kampf gegen russische Energielieferungen kontinuierlich zu führen. Die Lieferung dieser Waffensysteme könnte Putin auch politisch an den Verhandlungstisch zwingen.

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