Der russische Präsident Wladimir Putin mit dem stellvertretenden Leiter des Föderalen Antimonopoldienstes, Berichten zufolge am 4. November.Bild: Pool Sputnik Kreml / Gavriil Grigorov
International
Aktuelle Recherchen zeigen: Der russische Präsident Wladimir Putin gibt regelmäßig vorproduzierte Treffen als aktuell aus. Aber Fehler passieren.
5. November 2025, 13:40 Uhr5. November 2025, 13:40 Uhr
Auf den offiziellen Kanälen des Kremls scheint es immer so, als sei Wladimir Putin äußerst beschäftigt. Wenn der russische Präsident Akten im Fernsehen durchsieht oder mit Gouverneuren spricht, soll das ein Signal an die Öffentlichkeit senden: Der Kreml-Herrscher arbeitet immer. Doch nicht jedes Video ist authentisch.
Recherchen des Investigativprojekts „Sistema“ legen laut dem unabhängigen russischen Exilmedium „Meduza“ nahe: Der Kreml veröffentlicht regelmäßig vorproduzierte Videos mit Putin und verkauft sie als Echtzeittermine.
Solche Clips werden in Russland „Konserven“ genannt. Laut Journalisten geschieht dies immer dann, wenn Putin tatsächlich nicht in der Öffentlichkeit auftritt. Russische Journalisten hatten bereits im vergangenen Jahr ähnliche Fälle dokumentiert – die Investigativreporterin Farida Rustamova schrieb damals, die Praxis habe „eine neue Dimension angenommen“. Jetzt häufen sich die Beispiele erneut.
Putins Timing: Fake-Video erscheint genau an Kabaevas Geburtstag
Laut „Meduza“ unter Berufung auf „Sistema“ seien allein in den Monaten April, Mai und ab Mitte August 2025 mindestens zehn solcher Videos entdeckt worden. Die Recherche basiert auf Details in Putins Arbeitszimmer im Kreml: etwa Bücherregalen und Bleistiftbechern, deren Inhalt je nach Erscheinung sichtbar variiert.
Wer Aufnahmen von Wladimir Putin sieht, kann nicht immer sicher sein, dass diese aktuell sind.Bild: Pool Sputnik Kreml / Alexander Kasakow
Als Journalisten die Buchbestellung und die Schreibutensilien verglichen, fiel ihnen auf: Manche Bücher standen tagelang exakt gleich da, verschwanden dann oder veränderten ihre Position – nur um später millimetergenau wieder aufzutauchen wie zuvor.
Besonders auffällig: Die vermeintlich aktuellen Videos sollen gezielt an Tagen veröffentlicht worden sein, an denen Putin sonst nicht auftauchen würde. Ungefähr am 12. Mai, als Putin angeblich den Gouverneur der Region Iwanowo offiziell empfing.
An diesem Tag feierte Alina Kabajewa – die Frau, die seit Jahren als Putins enge Vertraute gilt – ihren 42. Geburtstag. Wie „Meduza“ berichtet, wird Kabajewa immer wieder als mögliche Partnerin und Mutter seiner Kinder beschrieben; der Kreml bestreitet dies vehement. Die Journalisten glauben nicht, dass es ein Zufall ist, dass ein solches gefälschtes Video genau an diesem Tag aufgetaucht ist.
Outfits, Armbänder, Ohrringe: Details verraten Fälschungen aus dem Kreml
In neuen Fällen fiel auch auf, dass Staatsbeamte an den Entlassungstagen in genau den gleichen Outfits auftreten, wie sie im Video mit Putin zu sehen sind. Dies deutet darauf hin, dass ihnen gesagt wird, sie sollen wieder die gleiche Kleidung tragen. Dadurch soll die Illusion eines aktuellen Termins erzeugt werden. Doch offenbar hält sich nicht jeder fehlerfrei daran.
Ein Beispiel ist Svetlana Chupsheva, Leiterin der Agentur für strategische Initiativen. Laut „Meduza“ soll sie zweimal an solchen Aufnahmen beteiligt gewesen sein: im Frühjahr und im Herbst 2025. Sie trägt in allen Clips den gleichen schwarzen Blazer mit goldenen Knöpfen.
Offiziell fanden an einem Tag drei Termine statt: Treffen mit Putin, Regierungssitzung, Vertragsunterzeichnung. Doch die Bücher im Hintergrund und deren Accessoires sprechen dagegen. Denn: „Ihre Ohrringe verrieten, dass sie ‚konserviert‘ war: Sie kam mit einem Paar in den Kreml, bei anderen Terminen trug sie andere“, heißt es in dem Bericht.
Ähnlich erging es Swetlana Radionowa, der Chefin der russischen Umweltaufsichtsbehörde. Im Putin-Video trägt sie ein Armband. Als sie am Tag der Veröffentlichung scheinbar dieselbe Kleidung trägt, trägt sie plötzlich eine Uhr und einen Ring statt eines Armbands.
Ein weiterer Hinweis: Eine Anthologie mit Fallschirmjägergedichten wird erst im August 2025 in Putins Regal erscheinen. Ein Treffen mit Radionova, das offiziell im Oktober stattfand, zeigt jedoch ein Regal ohne dieses Buch. Dem „Meduza“-Bericht zufolge wurde das Video vermutlich spätestens im September aufgenommen.
Selbst Vizepremier Dmitri Grigorjenko, der alles richtig gemacht haben soll – er trug den gleichen Anzug und die gleiche Uhr – konnte die angebliche „Konservenware“ nicht verschleiern. Auch hier fehlte im Hintergrund der betreffende militärische Gedichtband.
Fake-Videos zur Verschleierung: Was sich hinter der „Konserve“ verbirgt.
Laut Meduza beantwortete der Kreml keine Fragen zu diesem Thema. Die Methode selbst ist nicht neu und laut Experten strategisch motiviert: Damit soll vermittelt werden, dass Putin ständig arbeitet, auch an Tagen, an denen er scheinbar überhaupt nicht sichtbar ist.
Denn Präsenz ist Macht – insbesondere in autoritären Systemen. Und ein Präsident, der nicht erscheint, könnte Fragen auslösen: Wo ist er? Warum tritt er nicht auf? Dies wäre äußerst gefährlich für die russische Staatspropaganda. Die Antwort könnten diese gefälschten Clips sein.
