Die Lage im oberbayerischen Ingolstadt ist derzeit nicht die einfachste: Die deutsche Autoindustrie steckt in der Krise, was die Sorgen um Audi und die umliegenden Zulieferer in der Region schürt. Ende vergangener Woche hatte Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD) hat wegen der angespannten Finanzlage eine Haushaltssperre verhängt. Und aller Voraussicht nach wird die Stadt bald einen neuen Oberbürgermeister brauchen, denn Scharpf will im nächsten Jahr als Wirtschaftsreferent nach München wechseln.
Jede Menge Arbeit und Einarbeitungsaufgaben also für einen Nachfolger, der mit dem geplanten Wechsel im März 2025 sein Amt antreten würde. Noch gibt es Kandidaten. Zwei Kandidaten aus dem regierenden Fünfparteienbündnis haben öffentlich Interesse bekundet, ebenso zwei aus der 2020 abgewählten Koalition. CSUWer antritt, entscheiden beide Seiten im Herbst – nachdem Scharpf voraussichtlich Ende Oktober in der Landeshauptstadt gewählt wird. Anfang des neuen Jahres sind die Ingolstädter dann aufgerufen, den neuen Oberbürgermeister, kurz OB, zu wählen.
Die derzeitige Mehrheit im Rat ist knapp
Derzeit sind zehn Parteien und Wählergruppen im 50-köpfigen Stadtrat vertreten, die Mehrheit des Fünfparteienbündnisses ist knapp. Wie eine stärkere AfDDie in den vergangenen Jahren bundesweit an Zuspruch gewonnene AfD würde die Machtverhältnisse im Rat verschieben – absehbar ist das bislang nicht. Auf eine Anfrage, ob die AfD einen eigenen Bürgermeisterkandidaten aufstellen will, antworteten die Fraktionsvorsitzenden der Partei nicht. Der neue Bürgermeister wird sich für seine Pläne jedenfalls koalitionsübergreifende Zustimmung im Rat holen müssen – das betonen zumindest die vier bekannten Interessenten. In ihren Stellungnahmen fallen immer wieder die Worte Einigkeit und Konsens.
Das Fünfparteienbündnis aus SPD, Grünen, Unabhängiger Wählervereinigung (UWG), Linkspartei und ÖDP wird seinen Kandidaten auf einer Delegiertenversammlung küren, einen genauen Termin gibt es aber noch nicht. Angetreten ist SPD-Fraktionschef Christian De Lapuente. Er wolle im Rat auf „Miteinander und nicht auf Ellbogenarbeit“ setzen, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er bringe Fähigkeiten mit, mit denen Amtsinhaber Scharpf in der Stadt „die Fenster aufgemacht“ und frischen Wind hereingebracht habe – Scharpf habe die Bürger überzeugt, München überzeugt. Dennoch gibt es auch einige, die seinen Weggang übel nehmen. Der amtierende Bürgermeister sagt, er gehe, um mehr Zeit für seine Familie zu haben, die in München lebt.
Der neue Bürgermeister muss sparen
Auch in der SPD gebe es „großen Trennungsschmerz“. De Lapuente empfiehlt sich allerdings als tief verwurzelter Ingolstädter. Er will dafür sorgen, dass Bauprojekte und Gewerbegebiete schneller vorankommen. Zudem hat er ein feines Gespür dafür, wo die Stadt öffentliche Mittel kürzen kann – und wo nicht -, was als unausweichlich gilt.
Bei der Delegiertenversammlung tritt er gegen den UWG-Kandidaten Michael Mißlbeck an. Der Kandidat, der noch nicht im Stadtrat sitzt, betont, die Lage in Ingolstadt sei keineswegs aussichtslos. „Wir haben Handlungsspielräume, und die müssen wir jetzt nutzen.“ Bürgermeister Scharpf habe den Stadtrat geeint – daran wolle er anknüpfen. Bei all den Wirtschaftsreformen dürfe man aber auch das Soziale nicht vergessen. Diesen Fehler habe der bisherige CSU-Bürgermeister Christian Lösel gemacht – er habe „vielleicht an der einen oder anderen Stelle den sozialen Aspekt unterschätzt.“
Alt-Bürgermeister will es noch einmal versuchen
Vorwürfe dieser Art halten Lösel allerdings nicht davon ab, erneut ein Auge auf die Stadtspitze zu werfen. Er ist einer der beiden CSU-Kandidaten. Nach sechsjähriger Amtszeit verlor er bei der Oberbürgermeisterwahl 2020 seinen Posten, nachdem die Ingolstädter CSU in einer Affäre um Lösels Vorgänger schweren Schaden erlitten hatte. Auch Lösel selbst ist in der lokalen Politiklandschaft umstritten. Der Kreisverband der Grünen warf dem Alt-Bürgermeister jüngst in einer Pressemitteilung „spalterische Machtpolitik“ vor.
Die Angst, dass sich so etwas wiederholen könnte, weist Lösel zurück. „Ich bin älter und ruhiger geworden“, sagt er. Tatsächlich könne man die Probleme der Stadt nur gemeinsam lösen, denn sie seien schwieriger denn je: „In einer solchen Situation war Ingolstadt noch nie.“ Das wissen auch die Kandidaten aller Parteien, deren Namen derzeit im Umlauf sind. Parteifreunde hätten ihn ermutigt, es noch einmal zu versuchen, sagt Lösel, seine Familie habe grünes Licht gegeben.
Urabstimmung in der CSU
Dass sich innerhalb der CSU ein anderer Kandidat um den Posten bewirbt, sei kein Machtkampf, sagt Lösel, sondern liege im Wesen einer Partei. Nach der Abstimmung sei es wichtig, „dass wir die Reihen schließen“.
Der andere Kandidat, stellvertretender Fraktionsvorsitzender Michael Kern, betonte, er sehe die Bewerbung um den Kandidatenposten nicht als „Konfrontationskurs“. Vielmehr wolle auch er mit seinem Kurs „alle einbeziehen und mitnehmen“. Dieser Kurs bedeute für ihn, öffentliche Finanzen zu schonen und zugleich die sozial Schwachen in der Stadt zu unterstützen. Und: Ingolstadt müsse einen breit angelegten wirtschaftlichen Spagat schaffen, Industrie jenseits des Automobilsektors anzuziehen, ohne diese zu verprellen.
Wer das CSU-Rennen gewinnt, entscheiden alle Ingolstädter Parteimitglieder in einer basisdemokratischen Abstimmung im November. Der Sieger tritt bei der Oberbürgermeisterwahl an, die voraussichtlich im Januar oder Februar stattfinden wird – also kurz bevor der aktuelle Amtsinhaber die Stadt verlässt.
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