Ökonomen und Investoren auf der ganzen Welt reiben sich die Augen: OpenAI meldet Verluste in zweistelliger Milliardenhöhe pro Quartal und jeder YouTuber mit noch so kleinen Anlegertipps warnt mittlerweile davor, dass die KI-Blase kurz vor dem Platzen steht. Und doch pumpen Investoren weiterhin Geld in KI, während OpenAI-Chef Sam Altman sagt, dass ihm die Betriebskosten völlig egal seien. Wie lässt sich diese Diskrepanz zwischen Horrorzahlen und ungebrochener Investitionsfreude erklären?
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Die Strategie „Wachstum um jeden Preis“ ist bekannt: Amazon, Uber, Netflix – sie alle haben in den ersten Jahren Kapital verbrannt, um Märkte zu erobern. Doch ihre Verluste lagen im einstelligen Milliardenbereich pro Jahr, nicht mehr als elf Milliarden in einem einzigen Quartal. Und sie verfügten über Geschäftsmodelle, bei denen Skaleneffekte schließlich die Kosten senkten.

Redakteur Hartmut Gieselmann, Jahrgang 1971, ist seit 2001 bei c’t. Er leitet die Abteilung Anwendungen, Datenschutz & Internet und bearbeitet unter anderem aktuelle Themen aus den Bereichen medizinische IT, Netzwerkpolitik und Datenschutz.
OpenAI hingegen betreibt eine Technologie, deren variable Kosten – Chips, Strom, Rechenzentren – mit jeder Generationsstufe steigen. Einer Analyse der Unternehmensberatung Bain zufolge wären in der KI-Branche bis 2030 weltweite Jahresumsätze von zwei Billionen Dollar (sic!) nötig, um die benötigte Rechenleistung zu finanzieren. Die Lücke ist so groß, dass sie mit Abo-Modellen einfach nicht geschlossen werden kann. Es ist ein klares Signal an alle potenziellen Konkurrenten: Man kann hier nicht spielen, ohne sich selbst zu ruinieren.
Trotzdem zieht niemand den Stecker. Warum?
Bei OpenAI geht es nicht nur darum, ein neuer Akteur in der globalen Plattformökonomie zu werden. Es geht vielmehr um die Sicherung der geopolitischen Macht. Die USA behandeln fortgeschrittene KI mittlerweile wie ein nationales Infrastrukturprojekt. Es ist für sie Die großes geopolitisches Projekt des 21. Jahrhunderts, mit dem sie ihre Dominanz sichern wollen.
Palantir-Chef Alexander Karp forderte in seinem Buch „The Technological Republic“ offen eine solche groß angelegte nationale Anstrengung. Und Trumps Entscheidung, die leistungsstärksten Nvidia-Chips ausschließlich in den USA zu behalten, zeigt dies deutlich. Das Weiße Haus kündigte im Herbst an, dass es dem Ausbau von Rechenzentren als „kritische Infrastruktur“ Priorität einräumen werde. Was hier entsteht, ähnelt eher dem Manhattan-Projekt als dem nächsten iPhone aus dem Silicon Valley.
Wie beim Atomprogramm der 1940er Jahre entsteht ein technologisch, politisch und finanziell abgeschirmtes Großgebilde, das nur unter staatlichem Schutz funktionieren kann. Dann gelten andere Regeln: Nvidia, Microsoft, OpenAI und Co. werden von ausländischer Konkurrenz abgeschirmt, rechtlich privilegiert und politisch unterstützt. Bei den Verlusten handelt es sich nicht um eine schlechte Geschäftsplanung, sondern um Vorauszahlungen für ein Machtinstrument, das später kaum noch zurückzugewinnen ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Altman mit seinen nationalen Expansionsplänen und seiner demonstrativen Gleichgültigkeit gegenüber den gigantischen Kosten so wirkt, als stünde er an der Spitze eines neuen Manhattan-Projekts.
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Wer die technologische Infrastruktur kontrolliert, bestimmt die Standards, Protokolle und Abhängigkeiten der nächsten Jahrzehnte. Und die USA haben in ihrer Geschichte mehrfach bewiesen, dass sie zur Sicherung der technologischen und wirtschaftlichen Vorherrschaft auch schwere Kollateralschäden nicht scheuen und geopolitische Prioritäten über ökologische und soziale Folgen stellen. Der absehbare Schaden für Umwelt und Klima durch den Ausbau der KI gilt in Washington als akzeptabler Preis.
Strategische Warnungen vor dem Absturz
In diesem Zusammenhang sind die offenen Anspielungen von CEOs wie Mark Zuckerberg auf das mögliche Platzen der KI-Blase kein Alarmruf, sondern strategisch platzierte PR. Wer öffentlich vor einer Überbewertung warnt, signalisiert den Anlegern, dass nur die größten Player stabil genug sind, um einen Crash zu überstehen. Dies erschwert kleineren Wettbewerbern die Finanzierung und senkt ihren Übernahmepreis, sobald die Preise einbrechen.
Angesichts dieses Gigantismus muss Europa einen anderen Weg einschlagen als die USA. Weder Gigawatt-Rechenzentren noch milliardenschwere Chipfabriken sind eine realistische Option; ökologisch wären sie eine Katastrophe. Souveränität bedeutet vielmehr, die Kontrolle über Standards, Schnittstellen und Zugriffe zu behalten: offene Modelle, offene Daten, gemeinsame europäische Rechencluster, klare Interoperabilitätsanforderungen und eine demokratische Kontrolle der in Wirtschaft und Verwaltung eingesetzten KI-Systeme.
Mit dem Apertus-Programm zeigt die Schweiz, dass ein solcher Weg möglich ist. Langfristig könnte sich Europa vom KI-Tropfen der USA abkoppeln, ohne den Kontinent nach dem Vorbild Arizonas in eine zweite Rechenzentrumswüste zu verwandeln.
(Hexe)
