Dabei soll es sich um ein KI-Projekt handeln, das es in dieser Art in Deutschland noch nicht gibt: Auf dem Steinäcker-Gelände im Heilbronner Stadtteil Neckargartach soll auf einer Fläche von rund 42 Fußballfeldern ein kreisförmiger KI-Campus entstehen. Den offiziellen Startschuss für das Großprojekt gab Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Dienstag gemeinsam mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Mit dabei waren auch Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) und Digitalminister Karsten Wildberger (CDU).
Baukosten in Milliardenhöhe
Die Baukosten für den gesamten IPAI CAMPUS dürften nach SWR-Informationen bei rund drei Milliarden Euro liegen. Hauptinvestor ist die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland, Geld kommt außerdem vom Land und der Dieter-Schwarz-Stiftung. Über die Gesamtinvestition gibt es keine offiziellen Angaben.
Der Besuch der Kanzlerin fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Umgebung des Geländes wurde abgesperrt. Die Polizei hatte zudem ein Flugverbot für Drohnen über das Gebiet angeordnet. Größere Beeinträchtigungen für die Autofahrer waren nicht zu erwarten. Zahlreiche Polizeikräfte waren im Einsatz.
Auf dem künftigen IPAI CAMPUS Mehr als 5.000 Menschen werden eines Tages ihren Arbeitsplatz haben. Teams aus Unternehmen und Wissenschaftlern können an angewandten neuen KI-Lösungen für ihre Unternehmen arbeiten, sich austauschen und vernetzen. In einem großen Besucherzentrum soll künstliche Intelligenz erklärt werden, eine Art KI-Experiment.
Heilbronner KI-Projekt soll „ermutigen“
Vor allem Moritz Gräter und sein Team freuten sich schon lange auf den ersten Spatenstich. Der 42-Jährige ist Geschäftsführer des IPAI (Innovationspark für Künstliche Intelligenz). Er freue sich, dass Bundeskanzler Merz persönlich den Spatenstich mache. Dies unterstreicht besonders die Bedeutung des Projekts.
Ich möchte der Bundeskanzlerin auch sagen, dass es in Deutschland tolle Projekte gibt, die uns dazu ermutigen, die Zukunft aktiv zu gestalten. Davon sollte es mehr geben.
Viele Menschen wollen sich aktiv mit KI auseinandersetzen, bemerkt Gräter. Das zeigte sich auch beim großen KI-Festival in Heilbronn im Sommer mit Tausenden Besuchern.
Wir müssen große Anstrengungen unternehmen, um die Menschen auf dieser KI-Reise mitzunehmen. Dafür steht auch IPAI. Wir wollen zeigen, was KI kann, aber auch, wo die Grenzen und Gefahren liegen.
IPAI hat bereits über 80 Mitgliedsunternehmen
Der Innovationspark für Künstliche Intelligenz verfügt seit Mitte 2024 über sein erstes eigenes Gebäude – im Zukunftspark Wohlgelegen in Heilbronn. Interessierte können KI in den „IPAI Spaces“ bereits jetzt live erleben. Teams kleiner und großer Unternehmen verfügen über Büros vor Ort, um an Projekten zu arbeiten.
Zu den Unternehmen zählen bekannte Namen wie SAP, Telekom, Claas, Porsche, Stihl oder Recaro und Vodafone. Auch zahlreiche Unternehmen aus der Region Heilbronn-Franken wie Würth, Ziehl-Abegg, Bechtle und Schunk sind vor Ort. Auch der VfB Stuttgart ist Mitglied.
Audi erhofft sich von der IPAI viele Impulse
Zu den Mitgliedern gehört auch der Automobilhersteller Audi mit einem Werk in Neckarsulm (Kreis Heilbronn). Seit 2023 ist das Unternehmen „Mitglied“ der IPAI. Audi sieht künstliche Intelligenz als „Schlüsseltechnologie für die Produktion der Zukunft“. Der Standort Neckarsulm soll eine Vorreiterrolle für den gesamten Audi-Konzern einnehmen.
Die Audi-Filiale Böllinger Höfe liegt unweit des künftigen KI-Campus. Audi sieht diesen Standort als echtes Labor für die vollvernetzte und smarte Fabrik. Dort soll ab 2027 ein neuer Elektro-Sportwagen gebaut werden. Andreas Kühne ist Programmleiter für Künstliche Intelligenz im Bereich Produktion und Logistik bei Audi. Er setzt auf viel Dynamik vom wachsenden KI-Campus.
Das IPAI erregt europaweit Aufmerksamkeit und lockt Fachkräfte, innovative Start-ups und Technologieunternehmen an. Als Audi nutzen wir externe Impulse und Expertise für die digitale Transformation und die Integration von KI-Technologie in unsere Prozesse.
Konkret setzt Audi KI im Bereich Karosseriebau ein. Beim Schweißen am Unterboden entstehen sogenannte Schweißspritzer. Diese haben scharfe Kanten und könnten Kabel beschädigen. Früher suchten Mitarbeiter sie mit bloßem Auge und schleiften sie dann von Hand ab. Das ist ein großer Aufwand.
Jetzt gibt es eine KI-Lösung mit Bilderkennung. Die Schweißspritzer werden durch Licht markiert. Künftig soll ein Schleifroboter die Flecken entfernen. Für Audi ist diese KI-Lösung ein Fortschritt, da die Mitarbeiter von belastenden Aufgaben entlastet werden. Mit Image AI werden auch länderspezifische Aufkleber auf Fahrzeugkarosserien – zum Beispiel für Airbags – auf ihre korrekte Anbringung und den korrekten Einbau von Teilen überprüft.
Heilbronn sieht den IPAI CAMPUS als Glücksfall für den Wirtschaftsstandort
Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD) findet tolle Worte zum Baubeginn. Die Stadt befindet sich derzeit in einer spannenden Phase der Transformation vom traditionellen Wirtschaftsstandort zum Wissensstandort.
Dieser IPAI CAMPUS ist der Höhepunkt der Entwicklung. Es handelt sich um das ambitionierteste und wichtigste Zukunftsprojekt im Raum Heilbronn als Wirtschaftsstandort.
Für Mergel steht fest: In Zukunft wird es keine Behörde, kein Unternehmen, keine Branche mehr geben, die ohne künstliche Intelligenz (KI) wettbewerbsfähig sein wird. Umso wichtiger ist es, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Dieser KI-Park ist eine Lebensversicherung für die gesamte Region.
Die IHK sieht einen Wettbewerbsvorteil durch KI-Campusse
Die Industrie- und Handelskammer Heilbronn-Franken (IHK) sieht in dem Milliardenprojekt einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil für die regionale Wirtschaft. „Unsere Unternehmen, insbesondere der Mittelstand, haben direkten Zugang zu Schlüsseltechnologien der Zukunft“, sagte IHK-Präsidentin Kirsten Hirschmann auf SWR-Anfrage. Der Unternehmer ist überzeugt, dass das Großprojekt weitere Investitionen generieren wird.
Heilbronn entwickelt sich zu einem äußerst attraktiven Standort für Start-ups und Investoren. Dem Wirtschaftsstandort Heilbronn-Franken hätte nichts Besseres passieren können.
Ventilhersteller GEMÜ: Austausch im IPAI bringt Impulse
Seit Oktober 2024 ist auch das Unternehmen GEMÜ mit Sitz in Kupferzell (Hohenlohekreis) Mitglied der IPAI. Das Familienunternehmen ist auf Ventil-, Mess- und Regelsysteme für Flüssigkeiten, Dämpfe und Gase spezialisiert. Der Austausch im IPAI mit anderen KI-Teams liefert wertvolle Impulse, man kann eigene Ideen erproben und „Best Practices“ übernehmen.
Für GEMÜ ist das IPAI ein zentraler Baustein der digitalen Zukunft.
Konkret kommt KI in internen Prozessen des Hohenlohe-Unternehmens mit weltweit mehr als 2.500 Mitarbeitern zum Einsatz. Im ersten Schritt beantwortet ein KI-Bot automatisiert komplexe Produktanfragen. Dies soll die Abteilungen entlasten.
Künstliche Intelligenz sorgt zudem für mehr Effizienz im Verpackungsprozess. KI analysiert Produktions- und Auftragsdaten, um den Material- und Verpackungsprozess in einer vermeintlich optimalen Reihenfolge zu steuern. Mithilfe einer Kamera wird beispielsweise überprüft, ob alle Komponenten korrekt vorbereitet sind. Dies sorgt auch für weniger Verpackungsmaterial. Automatisierte Entscheidungen führten zu schnelleren Prozessen.
Die IG Metall wertet IPAI als ermutigendes Signal
Darüber hinaus soll der Innovationspark für Künstliche Intelligenz für neuen Aufschwung in der Region sorgen, nachdem sich die Automobilindustrie und Zulieferer derzeit in der Krise befinden. Die IG Metall Heilbronn Neckarsulm hat kürzlich errechnet, dass bis 2029 voraussichtlich rund 5.000 Arbeitsplätze bei Automobilzulieferern in der Unterregion wegfallen werden. Rudolf Luz, der erste Bevollmächtigte, sieht das IPAI-Projekt gerade in diesen Zeiten als ermutigend an.
Ich sehe hier im IPAI eine enorme Chance für die Region, auch für die Industrie. Es geht um KI in Produkten oder Produktionsprozessen. Das IPAI ist ein Innovationstreiber.
Gerade Automobilzulieferer könnten von smarten Produkten profitieren und so ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, sagt Luz. Dabei geht es nicht immer nur um Kostenfaktoren, sondern um Innovationsfaktoren, die Deutschland voranbringen. Und was sagt der Gewerkschafter dazu, dass insbesondere die Schwarz-Gruppe das Milliardenprojekt finanziell möglich macht? „Ich glaube, dass es immer Visionäre braucht. Ich sehe es als großen Glücksfall für die Stadt und die Region. Der Ansatz ist sehr durchdacht und strategisch sinnvoll“, so das Fazit des erfahrenen Gewerkschafters.
Die Wahrnehmung von Heilbronn wird sich verändern
Für viele Interviewpartner ist bereits jetzt klar: Heilbronn und die Region rücken mit einem völlig neuen Erscheinungsbild ins bundesweite Rampenlicht. Denn Künstliche Intelligenz (KI) ist das große Thema der Zeit. Heilbronn wird daher wohl häufiger als „HKIlbronn“ wahrzunehmen.