Während des Zweiten Weltkriegs dokumentierte Lee Miller die Gräueltaten der Nazis mit ihrer Kamera. Trotzdem ist ihr Name kaum bekannt. Mit dem Biopic „The Photographer“ könnte die US-Amerikanerin endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient.
In einer Welt, in der historische Erinnerungen verblassen und politische Extreme wieder an Boden gewinnen, wird es immer wichtiger, sich mit den Lehren der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Insbesondere die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die Verbrechen des Nationalsozialismus dürfen nicht vergessen werden. Die Geschichten von Menschen, die diese Zeit dokumentiert oder überlebt haben, spielen dabei eine zentrale Rolle.
Umso erstaunlicher ist es, dass der Name Lee Miller hierzulande kaum jemandem ein Begriff ist. Ihre Fotografien sind ein unerschütterlicher Beweis für das Ausmaß der Verbrechen der Nazis. Doch obwohl ihr Nachlass zu den eindrucksvollsten Bilddokumenten des 20. Jahrhunderts zählt, ist ihr Name außerhalb von Fachkreisen oft unbekannt. „The Photographer“, das Regiedebüt der Kamerafrau Ellen Kuras, könnte dieses Manko beheben und Miller endlich die Aufmerksamkeit verschaffen, die sie verdient. Ihre Bilder, insbesondere jene aus den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald, sind historische Zeugnisse – ein Zeugnis für die Abgründe menschlicher Verderbtheit, die niemals vergessen werden dürfen.
Alkohol, Kunst und Krieg
England in den 1970er Jahren. Die mürrische, von Krieg und Alkohol gezeichnete Lee Miller (Kate Winslet) wird von dem jungen Reporter Tony (Josh O’Connor) über ihr Leben befragt. Widerwillig willigt sie ein, seine Fragen zu beantworten und beginnt ihre Geschichte in den 1930er Jahren, einer Zeit, in der Lee – einst Muse und gefragtes Modell – heute selbst fotografiert und mit ihren Künstlerfreunden in den Bergen Cornwalls Urlaub macht. Zu ihnen gehören die französische Journalistin Solange D’Ayen (Marion Cotillard), der surrealistische Dichter Paul Éluard (Vincente Colombe) und seine Frau Nusch (Noémie Merlant), von Beruf Schauspielerin und Muse. Während sie halbnackt Wein trinken, Käse essen und ihr hedonistisches Bohemien-Leben genießen, fachsimpeln sie auch über Adolf Hitler und die gerade erstarkenden „hässlichen Nazis“. Doch noch immer erkennen sie nicht die Gefahr, die ihnen droht.
Als der britische Kunstsammler und Künstler Roland Penrose (Alexander Skarsgard) zur Gruppe stößt, ist es Liebe – oder zumindest Hingabe – auf den ersten Blick. Nach ein paar gemeinsamen Nächten beschließt Lee, die die Freiheit liebt und nie lange an einem Ort bleibt, mit Roland nach London zu gehen und sich dort niederzulassen. Kurz darauf bricht der Zweite Weltkrieg aus. Während sich ihre Freunde in Frankreich der Résistance anschließen, spürt auch Lee, dass sie nicht tatenlos zusehen kann, wie Hitler Europa zerstört. Für die britische „Vogue“, deren Herausgeberin Audrey Withers (Andrea Riseborough) zur Freundin wird, fotografiert sie zunächst Frauen mit Schutzmasken oder Models vor Kriegsgebieten, doch sie will mehr.
Die Frau in Hitlers Badewanne
Mithilfe ihres US-Passes wird Lee gemeinsam mit dem „Life“-Fotografen David Sherman (Andy Samberg) als zivile Kriegsberichterstatterin an der Front akkreditiert, wo sie die nächsten Jahre damit verbringt, Quartiere und Lazarettzelte der Alliierten zu inspizieren und schließlich selbst im Zentrum der Grausamkeit Fotos von sich selbst schießt. Je länger sie bleibt, je mehr sie sieht, desto mehr verfällt sie dem Alkohol.
Als sich zumindest in Großbritannien, fernab der Front, das Kriegsende abzeichnet, ist die Stimmung wieder bestens. Roland reist nach Paris, um Lee zur Rückkehr zu überreden, doch sie hat zu viel erlebt, um jetzt aufzuhören. Sie sei jedenfalls „immer die Letzte gewesen, die die Party verließ“, wie sie Tony im Off erzählt. Lees Fotografien und schließlich auch ihre Reportagen werden regelmäßig in der britischen „Vogue“ veröffentlicht. Das Publikum bekommt auch viele ihrer berühmtesten Schnappschüsse zu sehen, darunter das Porträt von ihr in der Badewanne in Hitlers Wohnung in München – aufgenommen am Tag seines Selbstmords, von dem sie noch nichts wusste.
„The Photographer“ zeigt anschaulich, wie wichtig Lee Millers Werk war und ist – nicht nur als künstlerischer Ausdruck, sondern auch als historische Verpflichtung zur Bewahrung der Wahrheit. Allerdings ist das Biopic in der Art und Weise, wie es seinen Hauptprotagonisten beschreibt, eher enttäuschend. Anstatt Millers vielschichtige Persönlichkeit voll zur Geltung zu bringen, wird die Geschichte zu chronologisch und nüchtern erzählt. Dadurch verliert der Film eine gewisse Dynamik und Tiefe, die Millers Leben verdient hätte.
Kate Winslet ist in Topform
Ihr radikaler Nonkonformismus – als populäres Model der 1920er Jahre, das sich in der Welt der schnellen Liebesaffären und der freien Sexualität wohlfühlte – wird nur am Rande gestreift. Dabei war diese Facette ein wesentlicher Teil dessen, was Miller zu einer so außergewöhnlichen Person machte. Ihr Verhältnis zur Kunst, zu Freiheit und Selbstbestimmung in einer von Männern dominierten Welt hätte mehr Raum verdient, aber diese Aspekte ihres Lebens gehen in der allzu linearen Erzählung verloren.
Erst im letzten Drittel des Films, als der Krieg im April 1945 zu Ende geht und Miller bei der Befreiung der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald die Gräueltaten der Nazis mit eigenen Augen sieht, ist Kate Winslets Schauspielkunst am besten. Die 48-Jährige liefert eine herausragende Leistung und porträtiert meisterhaft den inneren Kampf ihrer Figur zwischen der emotionalen Belastung der Geschichten, die sie dokumentiert, und der dringenden Notwendigkeit, sie für die Nachwelt aufzuzeichnen. Aber es ist schade, dass es so lange dauert, bis der Film diese emotionale Tiefe erreicht.
Winslets Rolle verkörpert die Verantwortung, die nicht nur Historiker und Künstler tragen, sondern wir alle. Wenn wir vergessen, wenn wir zulassen, dass diese Erinnerungen verblassen, öffnen wir denjenigen die Tür, die die Geschichte verzerren und leugnen wollen. Angesichts der zunehmenden Tendenz, dass rechtspopulistische Bewegungen in vielen Ländern wieder an Einfluss gewinnen und revisionistische Interpretationen der Geschichte sich verbreiten, ist ein Film wie „The Photographer“ mehr als nur ein Biopic. Er ist ein Akt des Widerstands gegen das Vergessen. In einer Welt, die immer weiter nach rechts rückt, in der Nationalismus und Intoleranz wieder auftauchen, bietet der Film einen leisen, aber kraftvollen Protest. Er zeigt, dass die Erinnerung an die Gräuel des Dritten Reichs nicht nur eine historische Pflicht, sondern eine ethische Notwendigkeit ist.