Es war schwer zu sagen, wie groß das Ausmaß der Aufregung war. Dass, wie in den deutschen Medien zu lesen war, „ganz Nordirland wütend auf Julian Nagelsmann war“, schien etwas übertrieben. Die Aussagen des Bundestrainers nach dem 3:1-Sieg im Hinspiel, Nordirland habe so viele lange Bälle gespielt, was „nicht schön anzusehen“, aber „sehr effektiv“ sei, sorgten allerdings auch in den Tagen vor dem Wiedersehen für Gesprächsstoff.
Der nordirische Trainer Michael O’Neill wollte nicht über Respektlosigkeit sprechen, wurde jedoch von der BBC mit den trockenen Worten zitiert, dass es nicht seine Aufgabe sei, seine Mannschaft so spielen zu lassen, wie es den Gegnern gefiel. Und dass Deutschland auch mit langen Bällen agiert. Die erste Pointe vor dem Rückspiel an diesem Montag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur WM-Qualifikation und bei RTL) ging an die Nordiren.
Als Julian Nagelsmann am Sonntagabend das Pressepodest im Windsor Park betrat, schien es zunächst, als wolle er sein Spiel durchziehen. Den Hinweis auf die langen Bälle wiederholte er fast wörtlich. Es zeigte sich jedoch schnell, dass Nagelsmann an einer anderen Interpretation interessiert war.
Ein Kompliment dafür, wie Nordirland mit vergleichsweise einfachen Mitteln viel „Stress“ erzeugt: Wenn nach dem langen Schlag hinter der Kette viele Nordiren im Schlussdrittel „um den zweiten, dritten oder gar vierten Ball“ kämpfen. „Lange Bälle mit einer Idee“, nannte Nagelsmann es. Und fügte hinzu, wie wichtig es sei, sie gut zu verteidigen.
Passend dazu saß Nico Schlotterbeck neben dem Bundestrainer auf dem Podium. Nicht nur der Bundestrainer setzt große Hoffnungen in den Dortmunder, der monatelang verletzungsbedingt ausfiel. Nagelsmann ließ es am Sonntag so klingen, als wären Schlotterbeck und Jonathan Tah vorerst seine Vertrauten in der Innenverteidigung. „Schlotti weiß, wie viel ich in ihm habe, und Jonathan hat sich bei den Bayern wirklich gut stabilisiert“, sagte Nagelsmann und fügte hinzu, dass alle anderen „eingeladen sind, die beiden unter Druck zu setzen.“
Schlotterbeck selbst sagte, er sei „selten so fit und so gut trainiert“ gewesen. Dass er neben seiner Tatkraft jede Menge Vorfreude auf das Spiel ausstrahlte, hatte noch einen weiteren Grund: die Atmosphäre im Windsor Park. Laut Nagelsmann war es in der Mannschaft ein Thema, dass die Nordiren in ihrem Heimstadion – ihrer „Festung“, wie er sagte – seit fast zwei Jahren ungeschlagen waren. Was den Deutschen letzten Freitag passierte: Weil O’Neills Team auch gegen die Slowakei gewann, geht Deutschland als Tabellenführer in dieses Duell, punktgleich mit Nordirland und der Slowakei.
Nagelsmann wollte nicht allzu genau auf die Tabelle schauen, es sei aber ein „wichtiges Spiel“ gewesen. Laut Bundestrainer sind wir mit einem Sieg „noch nicht ganz durch“, ein weiterer Erfolg würde aber eine „gute Ausgangslage“ im Rennen um den Gruppensieg und damit den Weg in Richtung Weltmeisterschaft im nächsten Jahr bedeuten. Möglicherweise möchte Nagelsmann das Spiel in der gleichen Formation angehen wie gegen Luxemburg, doch das Trainerteam will nur eine Position prüfen – welche genau, verriet der Bundestrainer nicht.
Er wollte dies als Lob für die jüngste Leistung verstehen, auch wenn man – undiplomatisch ausgedrückt – gegen die zehn Luxemburger noch weit davon entfernt war, ein fußballerisches Vorbild zu sein. Diesmal ist es möglich, dass im eigenen Spiel einfache Mittel wichtig sind: sich schnell vom Druck befreien und den direkten Weg zum Ziel suchen – alles andere, also schöner Fußball, kommt erst danach.
Es klang alles nach einem hochemotionalen Fußballabend. Er wisse, was auf die Mannschaft zukomme, es werde „sehr eng, sehr laut“, sagte Nagelsmann. „Emotionen kommen von der Tribüne, aber ich glaube, dass wir als Team Emotionen zurückgeben können und werden.“ Sollte jemand seine Kommentare respektlos finden, werde er sich entschuldigen, antwortete Nagelsmann auf Englisch auf die Frage eines nordirischen Reporters.
Dass es vielleicht etwas lauter ist als sonst – aber dafür hat er selbst gesorgt.