Das Berliner Jazzfestival beginnt
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		Wenn die Welt brennt – fliehen Sie nach Moabit!
Jazz-Fans sind schon gespannt, denn am Donnerstagabend geht es los: Das Jazzfest Berlin. Eines der wichtigsten Festivals der Szene weltweit. Und immer gut für musikalische Entdeckungen. Von Jens Lehmann
Das Motto des Jazzfestivals Berlin ist in diesem Jahr nicht besonders lebendig: „Where do you run, when the world’s on fire“ – sprich: „Wohin gehst du, wenn die Welt in Flammen steht?“ Festivalleiterin Nadin Deventer hat diese drängende Frage einem Lied des Gitarristen und Sängers Marc Ribot entlehnt.
Sie sieht beunruhigende Zeiten auf uns zukommen, die, wie sie sagt, ihren Sohn genauso beunruhigen wie ihre Großeltern. Die Frage beschäftigt auch ihren Chef, den Intendanten der Berliner Festspiele, Matthias Pees.
„Ich denke, wir würden die Musik insgesamt überfordern, wenn wir von ihr konkrete Antworten auf weltpolitische Fragen erwarten würden. Aber was man in der improvisierten Musik natürlich besonders hören und spüren kann, sind die emotionalen Herausforderungen. All das kann die Musik widerspiegeln.“
Ein Festival voller musikalischer Stammgäste
Eine besonders laute und mitreißende Reaktion auf das Festivalmotto kommt von der Vibraphonistin Patricia Brennan und ihrem Septett. Sie ist wohl eine der spannendsten Künstlerinnen der aktuellen Jazzszene – und ist ein Jahr nach ihrem Berlin-Debüt wieder als Bandmitglied dabei.
Mit ihrem Septett steht sie am Samstag auf der großen Bühne im Berliner Festspielhaus – am selben Abend wie Mary Halvorsons Amaryllis-Sextett, vor einigen Jahren Artist in Residence beim Jazz Festival. Am Freitagabend ist Signe Emmeluth mit ihrer neuen Formation zu sehen – sie ist bereits zum vierten Mal in sechs Jahren dabei.
„Ja, ich bin treu“
Treue zu bestimmten Künstlern ist ein Markenzeichen von Nadin Deventer – und wird oft kritisiert. Zu viel Wiederholung – zu wenig Neues. Deventer sieht das natürlich anders:
„Ja, dem halte ich treu, und das sind immer noch Namen, die in unserer internationalen Jazzwelt noch nicht so verbreitet sind. Und ich glaube, wenn man Künstlerinnen entdeckt, kann man deren Karrieren ein wenig dokumentieren. Stichwort: Mary Halvorson. 2018 war sie Artist in Residence, da hat sie gerade erst begonnen, international durchzustarten. Und jetzt ist sie wieder auf Tour. Das ist einfach eine Wahrheit. Und diese Tourneen sind wichtig für die Musiker.“
Sternschnuppen treffen auf Legenden
Auch in diesem Jahr treffen Neuentdeckungen – auch aus der Berliner Szene – auf tourende Shootingstars abseits des Mainstreams. Aber es gibt auch Legenden wie den Saxophonisten David Murray, den Trompeter Wadada Leo Smith und den Bassisten Barry Guy mit seinem London Jazz Composers Orchestra, das 1972 bei den Berliner Jazztagen erstmals aufgeführt wurde.
Generell sind in diesem Jahr auffallend viele Großformationen zu sehen. Das gilt auch für das legendäre „Fire! Orchestra“ des Free-Jazz-Berserkers Mats Gustavsson, einer mittlerweile weiblich dominierten, wilden, frei improvisierenden Bigband, die vor elf Jahren beinahe die Akademie der Künste zum Einsturz gebracht hätte.
Community Lab in Moabit
Eine Antwort auf das Festivalmotto „Wo rennst du, wenn die Welt brennt“ könnte auch „Moabit“ sein. Denn genau dort setzt das Jazzfest seine Community-Arbeit vom letzten Jahr fort. Seit Anfang der Woche spielen Musiker in kleinen Läden bei freiem Eintritt – und Dutzende Jugendliche konzipieren und produzieren seit Wochen mit Künstlern und Institutionen aus der Nachbarschaft einen Musikfilm.
Nadin Deventer möchte, dass etwas davon erhalten bleibt: „Es wäre mir ein großer Wunsch, dass diese Art von Arbeit, die ich gerade in den heutigen Zeiten großer gesellschaftlicher Unsicherheit oder Spaltung für unglaublich wichtig halte, wahrgenommen und darauf reagiert wird und sich insbesondere als Institution, als Jazzfest Berlin, im Rahmen der Berliner Festspiele diesen Aufgaben widmet und versucht, sie als integralen Bestandteil des Festivals zu etablieren.“
Während das Community Lab in Moabit am Freitag zu Ende geht, geht das große Festival am Abend erst richtig los. 120 Künstler aus mehr als 20 Ländern sind dann im Haus der Berliner Festspiele sowie in den nahegelegenen Spielstätten A-Trane, Quasimodo und der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu erleben.
Weitere Informationen (und Restkarten) unter jazzfest-berlin.de
Ausstrahlung: rbb24 Inforadio, 30. Oktober 2025, 7:55 Uhr
 
			 
					