Ein zehnjähriger Schüler aus Japan ist bei einem Messerangriff in Südchina gestorben. Es ist der dritte Angriff auf Ausländer innerhalb kurzer Zeit. Kritiker machen Xi Jinpings Außenpolitik und Propaganda für die Gewaltspirale verantwortlich.
Am vergangenen Donnerstag starb in China ein zehnjähriger Junge japanischer Staatsangehörigkeit. Er war am Vortag auf dem Weg zur japanischen Schule in Shenzhen mit einem Messer angegriffen worden. Die Polizei nahm den 44-jährigen Täter mit Nachnamen Zhong sofort fest.
Die Tragödie hat in Japan große Aufregung verursacht und droht die diplomatischen Spannungen zwischen den beiden Ländern zu verstärken. Die japanische Regierung forderte, dass Peking das „abscheuliche Verbrechen“ unverzüglich untersucht. China solle zudem die Sicherheitsmaßnahmen verstärken und eine Wiederholung des Verbrechens in Zukunft verhindern.
Japanische Unternehmen wollen ihren Mitarbeitern nun die Möglichkeit geben, mit ihren Familien nach Japan zurückzukehren. Ein Beispiel ist Panasonic. Der Elektronikhersteller bietet seinen Mitarbeitern zudem psychologische Betreuung und übernimmt die Kosten für den Umzug ins Heimatland.
Drei „Einzelfälle“ innerhalb weniger Monate
Chinas Medien berichteten über den Vorfall, allerdings mit einiger Verzögerung. Die öffentliche Diskussion in den sozialen Medien darüber unterliegt einer strengen Kontrolle, Kommentare unter Artikeln zum Thema werden oft deaktiviert oder streng moderiert. Weitere Informationen zum Fall, etwa ein mögliches Motiv des Täters, bewahren die Behörden geheim.
Die chinesische Regierung versucht, im In- und Ausland die Wogen zu glätten. Ein Sprecher des Außenministeriums in Peking bezeichnete den Anschlag als „Einzelfall“ und drückte das Bedauern und die tiefe Trauer der Regierung aus. China werde weiterhin für die Sicherheit aller Ausländer in China sorgen, sagte der Sprecher.
Die Bezeichnung „Einzelfall“ ist verharmlosend und kaum zutreffend. In den vergangenen Wochen und Monaten haben in China die tätli-chen Angriffe auf Ausländer auf offener Straße zugenommen. Im Juni attackierte ein 52-jähriger Mann an einer Bushaltestelle vor der japanischen Schule in Suzhou bei Shanghai eine Japanerin und ihr Kind mit einem Messer. Eine Schaffnerin warf sich dazwischen und wehrte die Messerstiche ab, die das Kind getroffen hätten. Die Chinesin erlag ihren Verletzungen. Nach ihrem Tod wurde sie von der Lokalregierung in Suzhou als „aufrechtes und mutiges Vorbild“ geehrt.
Im selben Monat wurden vier amerikanische Universitätsdozenten in einem öffentlichen Park in der nordchinesischen Stadt Jilin Opfer eines Messerangriffs. Der 55-jährige Chinese stach zudem auf einen chinesischen Touristen ein, der ihm zu Hilfe eilte. Die Verletzungen stellten keine Lebensgefahr für die Betroffenen dar.
Der Mord geschah am „Tag der Demütigung“
Auffällig ist: Bei den Tätern handelt es sich meist um Männer mittleren Alters. Bekannt ist zudem, dass der Mörder des 10-jährigen japanischen Jungen arbeitslos und vorbestraft war. Messerattacken auf Schulkinder sind in China häufig. Die NZZ zählte aufgrund von Medienberichten seit 2010 mindestens 34 solcher Attacken, davon 17 in den vergangenen fünf Jahren. China erklärt die Vorfälle mit psychischen Störungen einzelner Personen, aber auch der große gesellschaftliche Druck auf Männer in China könnte eine Ursache sein. Dieser habe sich in der angespannten Wirtschaftslage verstärkt, da viele von Geldsorgen geplagt seien.
Dass sich der Hass dieser Männer nun gezielt gegen Ausländer richtet, ist allerdings wohl kein Zufall. Die Politik von Partei- und Staatschef Xi Jinping fördert den Nationalismus und zeichnet ein einseitig negatives Bild vom regionalen Erzrivalen Japan und Chinas liebstem globalen Feind, den USA. Geschichtsbücher in Schulen und staatlichen Medien sind voll davon. Chinas Beziehungen zu beiden Ländern haben sich unter Partei- und Staatschef Xi Jinping und seiner konfrontativen Außenpolitik verschlechtert. Dies sei die Ursache der gegenwärtigen Gewalt gegen Ausländer in China, sagt der chinesische Journalist Wang Zhian in einer Videoanalyse.
Das Datum seines Anschlags lässt vermuten, dass der Mörder des zehnjährigen Schülers in Shenzhen antijapanische Propaganda betrieben haben könnte: Am 18. September 1931 verübten japanische Offiziere einen Bombenanschlag auf die Südmandschurische Eisenbahn. Dies markierte den Beginn der japanischen Invasion in der Mandschurei. China begeht diesen Tag als „nationalen Tag der Demütigung“. Der darauf folgende Krieg dauerte vierzehn Jahre und weitete sich 1937 von der Mandschurei auf ganz China aus. Er war unglaublich brutal. In Nanjing etwa ermordeten japanische Soldaten 1937 innerhalb weniger Tage schätzungsweise 200.000 Chinesen. Dieses Ereignis ist als Nanjing-Massaker tief in der chinesischen Kultur verankert.
Japan im Fokus kommunistischer Propaganda
Der Hass auf Japan in China zeigte sich auch deutlich, nachdem Japan im vergangenen Jahr angekündigt hatte, gereinigtes Abwasser aus dem Atomkraftwerk Fukushima ins Meer zu leiten. China stoppte den Import von Fisch aus Japan und Chinesen begannen, japanische Produkte zu boykottieren und Japaner mit Telefonanrufen zu terrorisieren. In der japanischen Bevölkerung gibt es auch eine gewisse antichinesische Stimmung. Sie betrachten China als territoriale Bedrohung und chinesische Einwanderer als unzivilisiert. Die japanische Regierung versucht jedoch bewusst, die Fremdenfeindlichkeit unter Kontrolle zu halten.
In China ist das nicht der Fall. Tatsächlich steht Japan besonders im Fokus der Partei- und Staatspropaganda. Die Schrecken der japanischen Besatzung werden täglich durch geschichtsverzerrende Fernsehserien wachgehalten, in denen kommunistische Helden japanische Soldaten besiegen. Die großen sozialen Plattformen des Landes unternehmen wenig, um Hassbotschaften im Internet zu bekämpfen, die sich gegen Japaner oder Amerikaner richten.
„Der Fall Shenzhen ist das Ergebnis einer chinesischen Regierung, die Emotionen und Ideologie nutzt, um ihre Kontrolle über die Gesellschaft zu maximieren“, sagte der bekannte China-Experte Perry Link von der University of California im Japanese Press Club in Tokio. „Ich denke, die Kommunistische Partei ist für die Vorstellung verantwortlich, dass die Japaner der Feind sind.“