Am Dienstagmorgen erschien Sanae Takaichi so, wie wir sie kennen: ein überschwängliches Lächeln voller Selbstbewusstsein, dazu Perlenohrringe und eine Perlenkette. Dieser Schmuckstil, der auch in ist Japan Sie gelten als Symbol des Konservatismus und sind ihr Markenzeichen. Dass sie es am Dienstag mit besonderem Stolz trug, hatte einen Grund: Sie sollte vom Parlament zur Premierministerin gewählt werden, und nach einigen Abstimmungsrunden geschah dies.
Japan reiht sich in die Reihe der Industrieländer ein, in denen es endlich einer Frau gelungen ist, Regierungschefin zu werden. Vor vielen Jahrhunderten saßen hier viele Frauen auf dem Kaiserthron. Doch heutzutage ist das ostasiatische Land dafür berüchtigt, Frauen im Alltag zu diskriminieren. Bei Gleichstellungsvergleichen liegt Japan regelmäßig auf den hinteren Plätzen. Wird es jetzt anders sein, mit einer Frau – wenn auch einer konservativen – an der Spitze?
Abgesehen davon, dass Takaichi als Frau im höchsten politischen Amt junge Frauen begeistern könnte, wird von der 64-Jährigen gesellschaftspolitisch wenig erwartet. Takaichi sagte einmal: „Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der die Menschen ihre Karriere nicht aufgeben müssen.“ Doch wie die Mehrheit ihrer konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP) ist sie gegen die Homo-Ehe und gleichzeitig für die Beibehaltung der Forderung nach gemeinsamen Nachnamen für verheiratete Paare. Sie unterstützt auch die geltende Regel, dass nur Männer Kaiser werden können.
Ihre Regierungspartei ist unbeliebter als je zuvor
Nicht nur auf dieser politischen Ebene wird Takaichi voraussichtlich keine großen Fortschritte machen. Generell besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ihre Regierung nur von kurzer Dauer sein wird. Die LDP, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs fast immer an der Spitze der Regierung stand, steckt in einer tiefen Krise. Sie ist unpopulärer als je zuvor: Nach zahlreichen Korruptions- und Spendenskandalen in den vergangenen Jahren hat die Partei in den letzten zwölf Monaten ihre Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments verloren.
Takaichis Vorgänger und Parteikollege Shigeru Ishiba versuchte sich fast ein Jahr lang an der Führung einer Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten. Doch Ishiba, der in seiner Partei als eher liberal gilt, konnte sich auf die Unterstützung eines langjährigen Koalitionspartners verlassen: Seit 26 Jahren kooperiert die LDP in gewohnter Weise mit der zentristischen buddhistischen Partei Kōmeitō. Doch da sich die LDP nach all den Skandalen der letzten Jahre nicht auf strengere Regeln für Parteispenden einigen will, beendete Kōmeitō letzte Woche die Zusammenarbeit.
In einer Situation, in der das Kräfteverhältnis nicht zu einer stabilen Mehrheit führt, folgte Takaichi schnell ihren politischen Neigungen – und suchte innerhalb weniger Tage einen Partner ganz rechts im Parteienspektrum. Die Nippon Ishin no Kai, was sich als Innovationspartei Japans (IJP) übersetzen lässt, fordert unter anderem eine Obergrenze für Ausländer im Land. Dies scheint nicht allzu weit von Takaichis Ideen entfernt zu sein. Sie hat auch immer wieder damit geworben, dass sie bei der Einwanderung streng sei.
Es ist eine Entwicklung, die gerade in Japan ironisch erscheint. Angesichts niedriger Geburtenraten und einer langfristig zögerlichen Migrationspolitik schrumpft Japan seit Jahren in rasantem Tempo. Das bedeutet, dass die Wirtschaft praktisch nicht mehr wächst. Um dies umzukehren, hat Takaichis LDP in den letzten Jahren konzertierte Anstrengungen unternommen, das Land für Arbeitsmigration zu öffnen und allgemein Vielfalt zu fördern. Bisher besitzen jedoch kaum drei Prozent der Menschen in Japan einen ausländischen Pass.