
Ursprünglich sollte es in diesem Panel um die Bedrohung der Kultur durch Technologie gehen. Doch nachdem sich der Satiriker Jan Böhmermann und Kulturstaatsminister Wolfram Weimer mit einer halben Stunde Verspätung im völlig ausverkauften Saal niederließen, war ein so großer Elefant im Raum, dass Moderatorin Eva Schulz fast mit dem Finger darauf gezeigt hätte. Jeder im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) spürt, dass er noch einmal besprochen werden muss: der Skandal um die Ausladung des Rappers Chefket zum geplanten Konzert am 7. Oktober. Das T-Shirt, das Israel durch Palästina ersetzte. Den Druck, den Weimer mit der Ankündigung, noch am selben Tag ein Konzert mit einem Künstler zu veranstalten, „der antisemitische Inhalte verbreitet“, auf Böhmermann ausübt, empfindet er als „Provokation“. Eva Schulz bringt die beiden gleich auf den Punkt, indem sie fragt, ob es nun so sei, dass sich die Kulturstaatsministerin „in die Programmplanung einmischt“.
In den nächsten Minuten wird deutlich, dass die beiden den Eingriff völlig unterschiedlich sehen. Das Thema Antisemitismus sei „groß und giftig“, sagt Weimer und nennt einige Beispiele, von jüdischen Kindern auf dem Schulweg bis zum möglichen Boykott Israels beim kommenden ESC. Für Böhmermann, der letztlich selbst die Entscheidung traf, das Konzert abzusagen, ging einiges schief. So baute der Medienprofi Weimer durch eine Pressemitteilung sofort Druck auf, sodass Böhmermanns freche Aussage, wenn irgendwo Antisemiten auftauchen, „wir uns an den Armen packen und sie von der Bühne schlagen“, nicht mehr ausreichte.
Nein, es brauchte keine Worte und Erklärungen, sondern Taten. Und Böhmermann musste das entscheiden, ertragen und durchziehen. Deshalb sehen wir an diesem Abend einen mal nervös aufgeregten, mal etwas trüben und selbstkritischen Satiriker. Es gibt Hinweise darauf, dass er zum Schutz des HKW öffentlich die volle Verantwortung für die Katastrophe übernommen hat.
„Ich finde es toll, dass du hier bist“
Zwei Tage zuvor hatte Böhmermann bei einem Panel mit Medienanwalt Christian Schertz auf gleicher Bühne bereits gesagt, was er von Chefkets Instagram-Posts halte. „Ich finde Chefkets Trikot scheiße, ich kann und will es nicht verteidigen.“ Aber auch: „Ich möchte, dass wir lernen, so etwas zu tolerieren und zu diskutieren.“ Dann fügt er die Formel hinzu, die er an beiden Abenden verwendet hat: „Wer bin ich, um zu urteilen?“ Er wollte die Räume offen halten bzw. „in die Lücken gehen“ und niemandem einen Stempel aufdrücken. Aber genau das ist schwierig geworden. Böhmermann leidet darunter. Zeitweise sucht der Mann im grauen Kapuzenpulli seine Rolle auf der Bühne. „Zwischen Wolfram Weimer und mir gibt es keine ‚Welt am Sonntag‘“, scherzt er, aber der Witz unterstreicht nur die Tatsache, dass er von Mächten herumgeschubst wurde, die größer sind als er selbst. „Warum hast du mich nicht angerufen?“ er fragt den Staatsminister für Kultur. Der Satz offenbart tiefe Enttäuschung. Böhmermann weiß nicht, dass Wolfram Weimer nicht kommuniziert, sondern befiehlt.
Es vergehen viele Minuten, bis sich die beiden einigermaßen auf die Interpretation der Ereignisse geeinigt haben. Weimer betont, was verbindet. „Wir in der Mitte – du in der linken Mitte, ich in der bürgerlichen Mitte.“ Böhmermann kann sich nicht zurückhalten: „Ich bin eine radikale Mitte! Ich bin eine extreme Mitte!“ Ein weiterer Gag, der außer Lachen nichts bringt, denn Weimer gewinnt den Streit. Böhmermann selbst gibt zu, dass ihm das Datum 7. Oktober durch die Lappen gegangen sei; er sei „mit leichtem Herzen und konzeptioneller Unvernünftigkeit“ an die Sache herangegangen. Der Versuch des Moderators, etwas darüber zu erfahren, „was in Gaza passiert“, scheitert. Weimer und Böhmermann streiten protokollarisch über den Begriff „Pflichtgebühren“, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und – im Ernst – Gender. Im vielleicht schönsten, wärmsten Moment des Abends ruft Böhmermann aus: „Ich finde es toll, dass du hier bist, dass wir das hier haben können!“ Und für zwei Sekunden schießt die emotionale Kurve steil nach oben.
So zerschlagen Sie Google ganz einfach
Nach 55 Minuten, kurz vor 22 Uhr, erinnert sich Eva Schulz an das eigentliche Thema des Abends, das beworben wurde: „Technologie tötet Kultur?“ Äh! Klar. Völlig vergessen. Die Männer müssen nur klären, wie es zum Titel kam. Böhmermann wollte es mit einem Ausrufezeichen, Weimer mit einem Fragezeichen, Weimer bekam seinen Willen. Und nun lenkt der Politiker ab, und niemand versteht warum: Er will wissen, warum Böhmermann Jan heißt, und dann sagt ihm Weimer ungefragt, warum er Wolfram heißt. Zum Glück gesellt sich der erfahrene Moderator, der an diesem Abend alles richtig macht – hier bremsen, dort beschleunigen – zum nebensächlichen Plausch mit der Staatsministerin für Kultur. „Warum wollten Sie Google jetzt auflösen?“

Natürlich! Zerschmettere Google! Das hat er neulich gesagt. Alle sind auch interessiert. Das Publikum ist sehr gespannt darauf, wie man Google kaputt macht. Böhmermann stellt die Frage, die uns allen in unserem Inneren pulsiert: „Wie macht man das?“ Ganz einfach: beim Kartellrecht, durch EU-Regulierung und beim Steuerrecht. Wolfram Weimer ist praktisch schon da. Und wenn der Mann „mit dem großen Schreibtisch“ drüben in Washington damit ein Problem hätte, dann wird Weimer nächstes Jahr wiederkommen. Aber er sitzt praktisch schon da und sagt: „Wir schreiben es jetzt.“ Es ist lustig zu spüren, wie sich unter dem technikkritischen Publikum – wir sind etwa tausend Leute, vielleicht mehr, der Laden ist ausverkauft – eine Art zuversichtliche Stimmung ausbreitet, schon bei der bloßen Vorstellung, dass jemand hingehen und „das jetzt schreiben“ wird, und wenn Trump ihn mit irgendwelchen Superzöllen daran hindert, dann kommt er nächstes Jahr einfach zurück und schreibt es.
Jeder muss aufstehen und gegen die AfD kämpfen
Es folgt ein Satz, den sowohl der Reporter als auch sein Nachbar nicht ganz verstehen: Wolfram Weimer erwähnt Bertolt Brecht und Thomas Mann, woraufhin einige Leute im Publikum kichern, sodass Böhmermann, sich an Weimer wendend, lachend ausruft: „Ich hätte gerne deine Eier!“ Natürlich haben wir mitgelacht, auch wenn wir die Idee völlig seltsam fanden. Gleich danach geht es weiter mit dem Kampf gegen die AfD (wir müssen, sagt Weimer) und das Exil (das wäre vielleicht etwas für ihn, sagt Böhmermann, wenn es in Deutschland so weitergeht). Aber nein, sagt Weimer mit Nachdruck, alle Demokraten müssen da bleiben und weiter gegen die AfD kämpfen, niemand dürfe ins Exil gehen! Ein weiterer Moment der Männervereinigung und Waffenbrüderschaft, aber nur für kurze Zeit. Es geht zu Ende.
In den Publikumsfragen antwortet Laura Neuhaus, die neue Leiterin der Duden-Redaktion, mit einem kritischen Kommentar zu Weimers Geschlechtervorstellungen. Sie erhält sofort eine Einladung ins Kanzleramt, wo Weimer sein Büro hat. Sie setzen sich mit vier oder fünf Personen zusammen und sprechen noch einmal in Ruhe über Geschlechterfragen. Ein teuflischer Mann, dieser Wolfram Weimer.
Weimer würde alles wieder tun
Psychologen könnten sich fragen, ob Böhmermann in den letzten zwei Wochen so erschöpft ist, dass seine Widerstandskraft nachlässt. Als der Moderator die beiden fragt, ob sie sich mit dem Wissen, das sie heute haben, genauso verhalten würden wie vor zehn Tagen, wird der Satiriker weicher. Er sagt: „Wir hätten den 7. Oktober freilassen sollen. Das hat nicht geklappt. Es tut mir unglaublich leid, dass wir das ausgelöst haben.“ Er sagt noch ein bisschen mehr, aber es geht alles in die gleiche Richtung. Deutlicher kann man nicht sagen, dass du die ganze Sache vermasselt hast.
„Und du?“ Eva Schulz fragt die Kulturstaatsministerin. Er wiegt seinen Kopf. Pause. „Das finde ich stark“, sagt er pseudo-emotional und zeigt auf Böhmermann. Aber das Publikum hätte nun auch gerne eine menschliche Geste von ihm gesehen, einen Hinweis darauf, dass er überreagiert und mit einer großen Kanone auf einen mittelgroßen Spatz geschossen hat. Aber nein, Weimer glaubt nicht, dass er etwas korrigieren muss. Er sagt: „Ich würde es wieder tun.“ Eine Stimme aus dem Publikum ruft: „Wieder wegen dpa?“ Dann bricht aus Böhmermann ein letztes Mal die Enttäuschung heraus: „Nächstes Mal einfach anrufen!“
Aber es ist nicht sein Stil – Teamarbeit, Kommunikation. Weimer verlor kein Wort darüber, dass ihn der berüchtigte Artikel in einem rechten Krawallportal dazu anspornte, Druck auf eine Kulturinstitution auszuüben und den Meinungskorridor einzuengen, den er angeblich erweitern wollte. Natürlich fragen sich vor allem jüngere Menschen, auch in diesem Raum, was der Zusammenhang zwischen dem Kampf gegen Antisemitismus und Israels Kriegsführung im Gazastreifen ist. Man müsste darüber sprechen, was ausgedrückt werden kann und was nicht. Ab wann schließt der Verweis auf menschliches Leid einen Künstler aus dem Gespräch oder der Bühne aus? Die Dinge sind nicht so eindeutig. Künstler in vielen europäischen Ländern haben damit zu kämpfen. Die Freiheit der Kunst: Auch darüber wurde an diesem Abend gesprochen. Es ist jedoch zu befürchten, dass viele Menschen nicht mehr wissen, was das bedeutet.