Bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank stehen Handelskonflikte und die durch sie ausgelösten wirtschaftlichen Turbulenzen im Mittelpunkt. Aber es könnte noch schlimmer kommen: durch KI.
Kristalina Georgieva steht vor einer blauen Wand mit allerlei Grafiken und vielen Pfeilen, die nach unten und oben zeigen. Jeder sieht ein wenig anders aus – aber im Grunde sagen sie alle dasselbe: Weltweit herrsche „außergewöhnliche Unsicherheit“, so der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Unsicherheit nimmt ständig zu. Kurz gesagt, sagt der bulgarische Ökonom und Politiker, der seit sechs Jahren den IWF leitet: „Unsicherheit ist die neue Normalität. Sie wird bleiben.“
Georgieva könnte kaum besser auf den Punkt bringen, was Finanzpolitiker, Notenbankchefs und Vertreter internationaler Banken und Organisationen auf der diesjährigen Jahrestagung von IWF und Weltbank am meisten beschäftigt: die mangelnde wirtschaftliche Stabilität und die Infragestellung der wirtschaftlichen Normalität – alles ausgelöst durch das aggressive Vorgehen insbesondere der USA mit ihrem Zollstreit. Dies hat die Grundfesten der globalen Handelsbeziehungen erschüttert und führt tendenziell zu allen möglichen wirtschaftlichen Umwälzungen.
Selbst geschaffene Unwägbarkeiten
Nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg war die Wirtschaft von solchen selbst geschaffenen Unwägbarkeiten geprägt, die nach Ansicht der meisten in Washington versammelten Experten langfristig vor allem zu einem führen: dem weiteren Schrumpfen der Mittelschicht und einer deutlichen Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich.
„Wir sehen, dass sich Vermögen und Vermögen zunehmend auf eine immer kleinere Bevölkerungsgruppe konzentrieren – und dass es sich dabei um die Menschen handelt, die in einem schwierigen Umfeld über genügend Kapital verfügen, um zu investieren und eine ausreichende Rendite für dieses investierte Kapital zu erzielen“, sagt Chris-Oliver Schickentanz von der Capitell Vermögensverwaltung, der die Hauptversammlung genau beobachtet. Gleichzeitig würden aber auch diejenigen Bevölkerungsgruppen, die über kein Eigentum und Vermögen verfügen, immer stärker unter den immer schwierigeren Bedingungen leiden.
In Europa sind wir froh, wenn es keinen Stillstand gibt
Tatsächlich rechnet der IWF angesichts der Unsicherheiten für die Weltwirtschaft nur mit einem begrenzten Wachstum. In der Sommerprognose lag sie für dieses Jahr bei drei Prozent. Nach dem heute vorgelegten aktuellen Ausblick liegt er überraschenderweise sogar noch stärker bei 3,2 Prozent. Aus europäischer Sicht, wo die Menschen froh sind, wenn die Wirtschaft in Ländern wie Deutschland nicht stagniert, klingt das nach viel. Allerdings sind diese Wachstumsraten für Schwellenländer relativ niedrig.
Die Verzerrungen des Handelskonflikts sind überall sichtbar, aber auch die Folgen früherer Krisen. Sie haben zu einer erheblichen Verschuldung geführt, worüber sich der Internationale Währungsfonds große Sorgen macht. In den USA, China, aber auch in Frankreich und anderen Ländern der Eurozone ist die Verschuldung inzwischen so hoch, dass Anleger deutlich vorsichtiger werden und Gelder abziehen.
„Wir lebten auf Kredit“
An den Anleihemärkten, insbesondere in Europa, herrscht Spannung. Die Regierungen müssen tiefer in die Tasche greifen und höhere Zinsen zahlen. „Wir haben eine Zeit lang einfach auf Kredit gelebt“, sagt Chris-Oliver Schickentanz. „Das war angesichts der Turbulenzen der Corona-Pandemie durchaus verständlich.“
In dieser völlig neuen Situation investierte die Politik Milliarden von Dollar, um die Wirtschaft einigermaßen durch diese Krise zu manövrieren. Doch dadurch wuchsen weltweit Schuldenberge. Das Ergebnis: „Wir werden in Zukunft nicht mehr die Flexibilität haben, in einer Krise mehr staatliche Konjunkturprogramme nutzen zu können“, sagte der Finanzexperte.
Der IWF kann nicht viel tun – außer die Regierungen immer wieder aufzufordern, ihre Staatshaushalte unter Kontrolle zu bringen und Wirtschaftsreformen umzusetzen – etwa in den Bereichen Bürokratie, Infrastruktur und Digitalisierung.
KI wird die Arbeitsmärkte enorm verändern
Allerdings sieht der IWF die zukünftige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt als wirklich dramatisch an: Laut einer Studie der Washingtoner Organisation wird künstliche Intelligenz (KI) rund 60 Prozent aller Arbeitsplätze in entwickelten Industrieländern beeinflussen.
„Diese Arbeitsplätze werden entweder besser, neu definiert oder sie verschwinden von der Bildfläche“, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgieva in einem Interview mit CNBC. Ihr Fazit: „Künstliche Intelligenz ist wie ein Tsunami, der über den Arbeitsmarkt hereinbricht!“
Die Welt steht daher vor massiven wirtschaftlichen Herausforderungen. Sie dürften den IWF nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den kommenden Jahren beschäftigen.